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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


820. AUSWEISUNG UND ABSCHIEBUNG

Nr.92/2

Eine Ausländerin, die durch eigenes zumutbares Verhalten die Gefahr politischer Verfolgung abwenden kann (hier: durch freiwillige Rückkehr nach Vietnam auf der Grundlage des zwischen der deutschen und der vietnamesischen Regierung geschlossenen Reintegrationsabkommens), genießt keinen Abschiebungsschutz nach §51 Abs.1 AuslG.

An alien who is able to avert the threat of political persecution by conduct which can reasonably be expected of her (in this case, her voluntary return to Vietnam on the basis of the reintegration agreement concluded between the German and the Vietnamese governments) cannot claim protection against deportation under sec.51 (1) of the Aliens Act.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 3.11.1992 (9 C 21.92), DVBl.1993, 324 (ZaöRV 54 [1994], 509)

Entscheidungsauszüge:

      Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen des begehrten Abschiebungsschutzes nach §51 Abs.1 AuslG, weil ihr die geltend gemachte politische Verfolgung bei einer Rückkehr nach Vietnam nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
      Der Verwaltungsgerichtshof ist in dem für seine Entscheidung maßgeblichen Beurteilungszeitraum Anfang 1992 davon ausgegangen, daß die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Vietnam wegen unerlaubten Auslandsaufenthalts politisch verfolgt werden würde. Es hat insoweit zunächst zutreffend festgestellt, daß die Klägerin sich mit der Ausreise aus der früheren DDR und dem Bemühen um Asyl in der Bundesrepublik Deutschland über die Modalitäten, unter denen ihr ein Aufenthalt im Ausland gestattet war, hinweggesetzt und damit den Straftatbestand des Art.89 Nr.1 des vietnamesischen StGB (VStGB) in der Variante des unerlaubten Verbleibens im Ausland erfüllt hat. ...
      Eine abschließende Antwort auf die Frage nach dem politischen Charakter der Strafvorschrift des Art.89 Nr.1 VStGB kann hier jedoch ... dahingestellt bleiben ..., denn zwischenzeitlich ist mit dem Inkrafttreten des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam vom 9.6.1992 über Finanzierungshilfen zur Existenzgründung und beruflichen Eingliederung von Fachkräften der Sozialistischen Republik Vietnam (künftig: "Reintegrationsabkommen") und dem Zusatzprotokoll vom selben Tage die tatsächliche Grundlage für die Prognose des Verwaltungsgerichtshofs, daß der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Vietnam mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Bestrafung wegen unerlaubten Aufenthalts im Ausland drohe, entfallen.
      ... Das Abkommen ist bereits in Kraft getreten. Nach einer dem Bundesbeauftragten übermittelten Auskunft des Auswärtigen Amtes hat die Stellvertretende Ministerin für Arbeit, Kriegsversehrte und Soziales der Sozialistischen Republik Vietnam der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland am 21.10.1992 mitgeteilt, daß die für das Inkrafttreten des "Reintegrationsabkommens" erforderlichen innerstaatlichen Voraussetzungen erfüllt seien; der Botschaft ... sei eine entsprechende Note des vietnamesischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten ... überreicht worden, die allerdings dem Auswärtigen Amt noch nicht vorliege. Damit ist die in Art.10 des "Reintegrationsabkommens" genannte Voraussetzung für sein Inkrafttreten - die vorgesehene schriftliche Mitteilung an die Regierung der Bundesrepublik Deutschland - unabhängig vom Zeitpunkt des Eingangs der diesbezüglichen Note im Auswärtigen Amt in Bonn erfüllt.
      Das "Reintegrationsabkommen" wirkt sich auf die Einschätzung der Verfolgungsgefährdung offenkundig dahin aus, daß im Rahmen dieses Abkommens freiwillig nach Vietnam zurückkehrende vietnamesische Staatsangehörige eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Bestrafung wegen unerlaubten Verbleibens im Ausland nicht mehr befürchten müssen. Nach Art.8 des Abkommens gestattet die Regierung Vietnams vietnamesischen Staatsangehörigen und deren Familienangehörigen, die sich in Deutschland aufhalten, die freiwillige Rückkehr. In einem völkerrechtlich gleichermaßen verbindlichen Zusatzprotokoll vom selben Tage stellt die Regierung Vietnams zwar fest, daß vietnamesische Staatsangehörige, die im Zusammenhang mit der Ausreise aus Vietnam und ihrem Aufenthalt im Ausland gegen vietnamesisches Recht verstoßen haben, den einschlägigen Rechtsvorschriften unterliegen; sie sichert aber zu, daß die Rückkehr auf der Basis der Freiwilligkeit und im Einvernehmen der beiden Regierungen unter Bedingungen von Sicherheit und Würde in Übereinstimmung mit nationalem wie Völkerrecht erfolgen werde, was den Verzicht auf jegliche Ahndung dieser Verstöße einschließe. Bei freiwilliger, auf der Grundlage des Abkommens erfolgender Rückkehr nach Vietnam muß die Klägerin somit nicht mit der von ihr befürchteten Bestrafung wegen unerlaubten Verbleibens im Ausland rechnen. Dies gilt zumindest bei Anlegung des Prognosemaßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der für unverfolgt aus ihrem Heimatstaat ausgereiste Schutzsuchende im Abschiebungsschutzverfahren des §51 Abs.1 AuslG ebenso wie im Asylanerkennungsverfahren maßgeblich ist ...
      Der Klägerin ist auch zumutbar, die durch das "Reintegrationsabkommen" eröffnete Möglichkeit der straffreien Rückkehr nach Vietnam in Anspruch zu nehmen. Sie könnte sich daher nicht darauf berufen, trotz des Abkommens mit einer Bestrafung nach Art.89 Nr.1 VStGB rechnen zu müssen, da sie eine freiwillige Rückkehr in ihre Heimat nicht in Erwägung ziehe. Nach übereinstimmender Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht ... bedarf des Schutzes vor politischer Verfolgung im Ausland nicht, wer den gebotenen Schutz vor ihr auch im eigenen Land finden (BVerfGE 54, 341, 359 ff. ...) oder - in entsprechender Anwendung dieses Grundgedankens - durch eigenes zumutbares Verhalten die Gefahr politischer Verfolgung abwenden kann. Diese Möglichkeit bietet der Klägerin hier das "Reintegrationsabkommen". Wegen dieses im Laufe des Revisionsverfahrens eingetretenen Umstands ist die Klägerin nicht mehr im Sinne des §51 Abs.1 AuslG verfolgungsgefährdet. Der Senat geht dabei davon aus, daß die Klägerin als "sonstige Arbeitnehmerin" unter das "Reintegrationsabkommen" fällt (Art.1 Abs.2 Buchst.c des Abkommens) und ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland so lange geduldet wird, bis sie die Möglichkeit zu straffreier Rückkehr nach Vietnam auf der Grundlage des Abkommens in Anspruch nehmen kann.