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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


830. RECHTSSTELLUNG VON AUSLÄNDERN IM INLAND

Nr.86/1

Ist der Amtshaftungsanspruch eines Ausländers, dessen Heimatstaat Deutschen Haftungsansprüche nicht gewährt, gemäß §1542 RVO auf einen inländischen Sozialversicherungsträger übergegangen, so steht ihm das Fehlen der Gegenseitigkeit nicht entgegen.

The liability of the state for injuries to an alien will not be precluded by the fact that the alien's home state does not grant equivalent claims to Germans (lack of reciprocity), when the claim for damages of the alien has devolved on the domestic social security authorities by virtue of Sec.1542 of the Reich Insurance Code.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.10.1986 (III ZR 151/85), BGHZ 99, 62 (ZaöRV 48 [1988], 58)

Einleitung:

      Nach einer im Lande Hessen bis zum 31.12.1984 geltenden Regelung, die im vorliegenden Fall noch anwendbar war, haftete der Staat für Amtspflichtverletzungen seiner Beamten gegenüber Ausländern grundsätzlich dann nicht, wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt war (vgl. §7 Preußisches StaatshaftungsG vom 1.8.1909, Art.80 AGBGB, §35, 33 Abs.3 Hess. AGBGB vom 18.12.1984). Ein Polizeibeamter des Landes hatte einen beim klagenden Sozialversicherungsträger versicherten Jordanier angeschossen und schwer verletzt. Der BGH verneinte einen Anspruch gegen den Beamten selbst, weil die Klägerin aus übergegangenem Recht das Land in Anspruch nehmen könne, obwohl die Gegenseitigkeit mit Jordanien nicht verbürgt war.

Entscheidungsauszüge:

      Die Klägerin kann den beklagten Beamten schon deshalb nicht ... wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch nehmen, weil aufgrund des Art.34 GG an die Stelle einer Eigenhaftung des beklagten Beamten die Staatshaftung des mitbeklagten Landes getreten ist.
      1. Die Haftungsverlagerung nach Art.34 GG stellt eine befreiende Schuldübernahme kraft Gesetzes dar mit der Folge, daß der Beamte, der seine Amtspflicht verletzt hat, dem geschädigten Dritten nicht haftet, soweit die Staatshaftung eintritt ...
      2. Die befreiende Schuldübernahme nach Art.34 GG gilt allerdings nicht ausnahmslos. Da die Verantwortlichkeit für Amtspflichtverletzungen in Ausübung öffentlicher Gewalt den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht, nur "grundsätzlich" trifft, sind ... die reichs- und landesrechtlichen Haftungsvorschriften insoweit in Kraft geblieben, wie sie die verfassungsmäßigen Grundsätze durch Regelung im einzelnen ergänzen und beschränken ... Die die Staatshaftung beschränkenden oder ausschließenden Regelungen sind allerdings als Ausnahmen von dem Verfassungsgrundsatz eng auszulegen und nur insoweit zulässig, wie sie von der Sache her gerechtfertigt werden können; sie dürfen nicht willkürlich getroffen werden, müssen auf sachgerechten Erwägungen beruhen und sich an der Grundentscheidung der Verfassung ausrichten (BGHZ 25, 231, 237; 62, 372, 377 f. ...)
      3. Nach dem im Lande Hessen bis zum 31. Dezember 1984 geltenden Recht (§7 PrStHG v. 1. August 1909, GS S.291; Art.80 AGBGB v. 17. Juli 1899, RegBl. S.133), das auf den vorliegenden Fall noch Anwendung findet (vgl. §§35, 33 Abs.3 Hess. AGBGB v. 18. Dezember 1984, GVBl. I S.344), haftet der Staat für Amtspflichtverletzungen seiner Beamten gegenüber Ausländern grundsätzlich dann nicht, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist. Ein solcher Haftungsausschluß ist zulässig ...; er ist gerechtfertigt durch das Ziel, die Verbesserung der Rechtsstellung deutscher Staatsangehöriger im Ausland dadurch zu fördern, daß für ausländische Staaten ein Motiv zur Herstellung der Gegenseitigkeit gesetzt wird (BVerfG NVwZ 1983 S.89 ...). Allerdings ist er schon deshalb eng auszulegen, weil die immer engere internationale Verflechtung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen eine Differenzierung zwischen Deutschen und Ausländern im Rahmen der Staatshaftung heute fragwürdig erscheinen läßt ...
      4. Die Haftung des Staates oder der sonstigen Körperschaft, in deren Dienst ein Amtsträger steht, der eine ihm einem Ausländer gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt hat, ist jedoch auch beim Fehlen der Gegenseitigkeit im Verhältnis zu dem Heimatstaat des Geschädigten nicht ausgeschlossen, wenn und soweit der Schadensersatzanspruch des Verletzten nach §1542 RVO auf einen inländischen Sozialversicherungsträger übergegangen ist.
      a) Das deutsche Sozialversicherungsrecht macht bei der Beitragspflicht und der Leistungsberechtigung keinen Unterschied zwischen Inländern und Ausländern. Die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung in der Sozialversicherung gelten - mit hier nicht einschlägigen Ausnahmen (vgl. §§4, 5, 6 SGB IV) - für alle Personen, die im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs beschäftigt oder selbständig tätig sind oder, soweit eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht vorausgesetzt wird, ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§3 SGB IV). Auf die Staatsangehörigkeit kommt es für Versicherungspflicht oder -berechtigung dagegen nicht an ... Ein im Bundesgebiet beschäftigter Ausländer wie der Kläger unterliegt daher derselben Beitragspflicht wie ein deutscher Staatsangehöriger; umgekehrt stehen ihm dieselben Leistungsansprüche wie einem Deutschen zu. Aus den einschlägigen Regelungen des Sozialversicherungsrechts läßt sich daher nichts dafür herleiten, den deutschen Sozialversicherungsträger eines ausländischen Versicherten hinsichtlich der Möglichkeit, bei einem Schädiger Regreß zu nehmen, anders zu behandeln als den eines Deutschen.
      b) Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs läßt allerdings weder rechtsgeschäftliche Abtretung noch Erbfolge ... den in Ermangelung der Voraussetzungen der Staatshaftung gegen den Amtsträger, der pflichtwidrig gehandelt hat, gerichteten Amtshaftungsanspruch auf der Passivseite nachträglich auf den Staat übergehen. Dagegen "beseitigt (die Bekanntmachung der Gegenseitigkeit) ein Hindernis, das bis dahin der Durchführung des Anspruchs entgegengestanden hatte", und "folgeweise muß mit der Beseitigung des Hindernisses die Bahn frei sein für die Durchführung aller Ansprüche, denen bisher das Hindernis im Wege gestanden hatte" (RGZ 128, 238). Auch der nachträgliche Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch den Geschädigten kann - wie der Senat ... (BGHZ 77, 11) unter Aufgabe der gegenteiligen Rechtsprechung des Reichsgerichts ... entschieden hat - dazu führen, daß (nachträglich) an die Stelle des schadensersatzpflichtigen Beamten der Staat oder die sonstige Anstellungskörperschaft tritt.
      c) Im Gegensatz zu der Rechtslage bei rechtsgeschäftlicher Abtretung und regelmäßig auch bei späterem Eintritt eines Erbfalles geht der Ersatzanspruch des unmittelbar Geschädigten nach §1542 RVO auf den Sozialversicherungsträger über, soweit dieser dem Geschädigten "nach diesem Gesetz Leistungen zu gewähren hat". Der Übergang vollzieht sich bereits "in dem die Ersatzpflicht des Schädigers auslösenden Zeitpunkt" (BGHZ 48, 181, 189f.) ...
      Diese Regelung hat zur notwendigen Folge, daß Zweck und rechtfertigender Grund der Voraussetzung verbürgter Gegenseitigkeit für die Haftungsübernahme des Staates gegenüber einem durch eine Amtspflichtverletzung geschädigten Ausländer beim Forderungsübergang nach §1542 RVO keine Bedeutung gewinnen können. Soweit dieser Forderungsübergang reicht, hat der Ausländer ohne Rücksicht auf seine Staatsangehörigkeit einen Leistungsanspruch gegen den Sozialversicherungsträger; denn nur wenn und soweit ein solcher Leistungsanspruch besteht, gehen Schadensersatzansprüche auf den Sozialversicherungsträger über. In einem solchen Fall ermöglicht der Ausschluß der Staatshaftung es der Bundesrepublik Deutschland nicht, dem Heimatstaat des betroffenen Ausländers die Gleichstellung seiner Staatsangehörigen dafür anzubieten, daß er Deutschen entsprechende Rechte gewährt (vgl. BVerfGE 30, 409, 414); denn der Ausschluß trifft nicht den geschädigten Ausländer, sondern den deutschen Sozialversicherungsträger.
      Umgekehrt besteht keinerlei Anlaß dafür, in einem solchen Fall die (zumindest weit überwiegend) deutsche Versichertengemeinschaft mit dem Schaden zu belasten. Sie muß ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit des geschädigten Versicherten leisten. Deshalb sprechen auch die Gründe, die den Senat veranlaßt haben, die Leistungen der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung nicht mehr als anderweitigen Ersatz i. S. von §839 Abs.1 Satz 2 BGB anzusehen, soweit es um die Haftung des Staates geht (vgl. BGHZ 79, 26, 31 ff. ...), für den Verzicht auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit beim Übergang eines Amtshaftungsanspruchs von einem unmittelbar geschädigten Ausländer auf einen deutschen Sozialversicherungsträger.