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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


950. ASYLRECHT UND ASYLGRUNDRECHT

Nr.86/3

Folterpraktiken im Polizeigewahrsam verletzen zwar die Menschenwürde des Opfers, stellen aber nur dann politische Verfolgung dar, wenn sie wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung angewendet werden.

Torture in police custody, although violating the victim's human dignity, only amounts to political persecution when applied for reasons of race, religion, nationality, affiliation with a certain social group or political conviction.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.5.1986 (9 C 35.86 u.a.), BVerwGE 74, 226 (ZaöRV 48 [1988], 60)

Einleitung:

      Die Kläger, türkische Staatsangehörige, begehren in der Bundesrepublik Asyl, weil sie befürchten, im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei wegen ihrer Aktivitäten in extremistischen Gruppierungen des linken wie des rechten politischen Spektrums mit einem Strafverfahren nach den Bestimmungen des türkischen Staatsschutzrechts überzogen zu werden. Die nach Ablehnung der Asylanträge erhobenen Verpflichtungsklagen hatten in den gerichtlichen Vorinstanzen z.T. Erfolg. Die Revision des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten führte aber in allen Fällen zur Klageabweisung. Das Bundesverwaltungsgericht führt zunächst aus, daß in den von den Klägern befürchteten Ermittlungs- und Strafverfahren nach den türkischen Staatsschutzbestimmungen als solchen keine politische Verfolgung liege. Anderes könne für politisch motivierte Verfolgungsmaßnahmen durch unrechtmäßig handelnde Ermittlungsbeamte gelten.

Entscheidungsauszüge:

      Verletzungen der Menschenwürde, wie sie in der Anwendung von Folterpraktiken und anderen Mißhandlungen während des Ermittlungsverfahrens liegen, begründen einen Anspruch auf Asyl jedoch nur dann, wenn ihnen die Betroffenen gerade wegen ihrer durch das Asylrecht geschützten persönlichen Merkmale oder Überzeugungen ausgesetzt sind (... BVerwGE 67, 184, S.192ff.) Von diesem Grundsatz zutreffend ausgehend, mißt der Verwaltungsgerichtshof nicht jeder Mißachtung der Menschenwürde und damit staatlichen Exzessen jeder Art asylbegründende Wirkung bei, sondern verlangt das Hinzutreten der politischen Motive des seine Macht mißbrauchenden Staatsapparates. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht in den vorliegenden Fällen den politischen Charakter der für wahrscheinlich gehaltenen Übergriffe auf die Kläger im Zuge polizeilicher Voruntersuchungen begründet, halten jedoch der revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.
      Nach den mit der Revision nicht angegriffenen und das Revisionsgericht infolgedessen bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§137 Abs.2 VwGO) begünstigt die in der Türkei für den Ausnahmezustand durch Gesetz Nr.1402 vom 13. Mai 1971 geschaffene Möglichkeit, Beschuldigte bis zu anderthalb Monaten ohne Einschaltung eines Richters in "Isolationshaft" zu halten, die Anwendung - verbotener - Folterpraktiken gegen die Inhaftierten, denen auch die Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein würden. Mit Recht beanstandet die Revision jedoch, daß die von der Vorinstanz hierzu getroffenen Fetstellungen einen politischen Gehalt derartiger Übergriffe im Polizeigewahrsam nicht hervortreten lassen. Bei richtiger Betrachtung rechtfertigt der festgestellte Sachverhalt nicht die Annahme, daß die den körperlichen Mißhandlungen zugrundeliegenden Motive auf die asylrechtlich allein erheblichen Verfolgungsmerkmale zielen, von denen hier die politische Überzeugung oder das Volkstum der Kläger in Betracht kommen. Das ergibt sich aus folgendem:
      Das Berufungsgericht hat auf den politischen Charakter der von ihm für wahrscheinlich gehaltenen Mißhandlungen der Kläger in erster Linie deshalb geschlossen, weil diese Praktiken systematisch angewendet würden. Übergriffe während des Polizeigewahrsams sind, wie das Berufungsgericht ermittelt hat, in der Türkei weit verbreitet und gegenüber "politischen" wie "gewöhnlichen" Straftätern ein gängiges Mittel zur Erzwingung von Aussagen, insbesondere von Geständnissen, denen in der türkischen Strafverfahrenspraxis eine wichtige Funktion zur Überführung des Täters zukommt. Offensichtlich sollen auf diese unerlaubte Weise Mängel des kriminaltechnischen Aufklärungsinstrumentariums ausgeglichen und Aufklärung um jeden Preis gesucht werden. Liegen die Dinge jedoch so, dann erweist sich der Umstand, daß systematisch zu Foltermaßnahmen gegriffen wird, aus dem Blickwinkel des Asylrechts als nicht erheblich. Asylbegründend wäre ein solcher Vorgang nur, wenn Folter - was hier gerade nicht festgestellt ist - systematisch gegen bestimmte Volkszugehörige oder Träger einer bestimmten Gesinnung eingesetzt würde ... Systematisch in "üblicher Praxis" gegen jedermann zur Erlangung eines Beweismittels angewandte Mißhandlungen tragen demgegenüber keinen politischen Charakter, weil die Betroffenen gerade nicht nach asylerheblichen Kriterien ausgewählt und nicht wegen dieser Kriterien mißhandelt werden. Unter diesen Umständen können sich die Kläger nicht darauf berufen, daß der Folter ... Indizwirkung für das Vorliegen politischer Verfolgung zukommen kann. Diese Wirkung eignet ihr nämlich nicht, wenn die Übergriffe eine allgemein rechtswidrige Praxis darstellen. Soweit das Berufungsgericht festgestellt hat, die eines Staatsschutzdelikts Verdächtigen seien deshalb heftigerer Drangsalierung ausgesetzt, weil sie sich durch derartige Maßnahmen nicht so leicht Geständnisse und Aussagen abpressen lassen, führt dies zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Die Ursache für ihre schlechtere Behandlung ist nicht die Reaktion der Untersuchungsbehörden auf ihre Gesinnung oder ihr Volkstum, sondern ihre "weit geringere Neigung", sich auf diese "Mechanismen" in der Polizeihaft einzustellen und sich ihnen durch ein Geständnis, durch die Weitergabe von Informationen oder durch Unterwerfung unter militärische Disziplinaranforderungen zu entziehen.
      Das Berufungsgericht leitet den politischen Charakter der Mißhandlungen ferner zu Unrecht daraus ab, daß es den Sicherheitskräften über die - rein strafrechtliche - Aussageerzwingung hinaus darum gehe, die nach ihrem Staatsschutzverständnis als Feinde des Staates kompromittierten Personen unter Einsatz körperlicher Gewalt zu "disziplinieren", um sie gefügig zu machen und zur Annahme der dem einzelnen durch die Staatsordnung zugewiesenen Rolle des Gewaltunterworfenen zu bewegen. Das Kriterium der "Disziplinierung" ist allerdings in der Rechtsprechung des Senats ... als ein Indiz genannt, das den Rückschluß auf asylerhebliche Beweggründe des Verfolgers zuläßt. Aber dort ist nicht auf die Disziplinierung schlechthin, sondern darauf abgehoben, ob der Staat seine Bürger in den asylrelevanten Merkmalen zu disziplinieren trachtet oder ob er lediglich seine Herrschaftsstruktur aufrechtzuerhalten sucht und dabei die Überzeugung seiner Staatsbürger unbehelligt läßt. Das bloße Aufrechterhalten oder Wiederherstellen "staatsbürgerlicher Disziplin", also des Gehorsams der "Gewaltunterworfenen" gegenüber Gesetzen, die nicht ihrerseits asylrelevanten Inhalt haben, ist daher für sich allein - auch wenn hierbei mit großer Härte vorgegangen wird - keine politische Verfolgung.