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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1000. AUSLIEFERUNG UND SONSTIGE INTERNATIONALE RECHTSHILFE

Nr.93/2

[a] Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Auslieferung vom 26.11.1970 (BGBl. 1964 II, 1258; 1975 II, 1725) ist auf Rechtshilfeersuchen der Republiken Serbien und Montenegro anwendbar.

[b] Es obliegt der Bundesregierung als im Außenverkehr für die Bundesrepublik Deutschland handelndes Organ, die Anwendung völkerrechtlicher Vereinbarungen auf das Verhältnis zu Drittstaaten für die Gerichte verbindlich zu bestimmen.

[a] The Extradition Treaty between the Federal Republic of Germany and the Socialist Federative Republic of Yugoslavia of 26 November 1970 (Federal Law Gazette 1964 Part II, 1258; 1975 Part II, 1725) is applicable to requests for extradition by the Republics of Serbia and Montenegro.

[b] It is for the federal executive, i.e., the organ acting for the Federal Republic of Germany in foreign relations, to determine the application of international agreements to third states with binding force for the courts.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluß vom 9.12.1993 (4 Ausl (A) 325/93 - 132/93 III), MDR 1994, 504 ff. (ZaöRV 55 [1995], 860f.)

Einleitung:

      Der Verfolgte wendet sich vergeblich gegen einen Auslieferungshaftbefehl, der auf einem Festnahmeersuchen von Interpol Belgrad beruht, das ihm ein Tötungsverbrechen zur Last legt.

Entscheidungsauszüge:

      1. Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Anwendbarkeit des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages auf das Festnahmeersuchen der serbischen Behörden ... Der Bundesminister der Justiz hat auf ... Anfrage des Senats ... mitgeteilt, daß die Bundesregierung nach wie vor von der Wirksamkeit des Auslieferungsvertrages ausgehe. Demgemäß sei der Auslieferungsvertrag weiterhin auf Rechtshilfeersuchen der Republiken Serbien und Montenegro anzuwenden. ...
      a) ... Wirksamkeit und Fortbestand der zwischenstaatlichen völkerrechtlichen Vereinbarung [hängen] nicht von der positiven Beantwortung der Frage ab, ob die Republiken Serbien und Montenegro als Rechtsnachfolger der ehemaligen Republik Jugoslawien anzusehen sind. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Beurteilung dieser staats- und völkerrechtlichen Frage in den Zuständigkeitsbereich des Senats fällt. Davon abgesehen würde selbst die Verneinung der Frage der Rechtsnachfolge nicht zwingend und zwangsläufig zur Unwirksamkeit einer zwischenstaatlichen Vereinbarung führen. Auch im Völkerrecht gilt der Grundsatz der gegenseitigen Achtung wirksam geschlossener und bestehender Verträge (pacta sunt servanda). Da der Auslieferungsvertrag von keiner der vertragschließenden Parteien rechtswirksam aufgehoben oder gekündigt worden ist, ist zwangsläufig von der weiteren Wirksamkeit auszugehen.
      b) Die Frage der Anwendbarkeit des Vertrages auf Rechtshilfeersuchen ist schon deshalb ebenfalls positiv zu beantworten, weil die ermessensfehlerfreie entsprechende Beurteilung durch die Bundesregierung aus rechtsstaatlicher Sicht nicht zu beanstanden und für den Senat verbindlich ist. Es obliegt der Bundesregierung als im Außenverkehr für die Bundesrepublik Deutschland handelndes Organ, die Anwendung bestehender völkerrechtlicher Vereinbarungen auf das Verhältnis zu Drittstaaten - entweder einseitig für eine Übergangszeit bis zur endgültigen Regelung diplomatischer Beziehungen oder zweiseitig durch zwischenstaatliche Abreden oder gleichlautende Verbalnoten - zu bestimmen.
      Demgemäß sind u.a. entsprechende Vereinbarungen über die vorläufige Anwendung des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages mit Slowenien und Kroatien getroffen worden. Zumindest im gegenwärtigen Zeitpunkt bestehen keine Bedenken, bis zur endgültigen Klärung der rechtlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Republiken Serbien und Montenegro den deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrag auf Rechtshilfeersuchen dieser Staaten anzuwenden. ...
      Im übrigen ändert sich die Rechtslage für den Verfolgten auch im Falle der Nichtanwendbarkeit des Auslieferungsvertrages nicht entscheidend, da die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft auch auf der Grundlage der dann heranzuziehenden Regelung in §16 IRG gerechtfertigt wäre.
      2. Soweit der Verfolgte einwenden will, daß die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht gerechtfertigt seien, hindert dieser Umstand nicht die Zulässigkeit seiner Auslieferung und die Anordnung der Auslieferungshaft, da eine Nachprüfung des Tat- und Schuldverdachts aufgrund des geltenden formellen Prüfungsprinzips im europäischen Auslieferungsverkehr nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbK) und auch im Rahmen des dem EuAlÜbK nachgebildeten deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages nicht erfolgt.
      Einer der eng umgrenzten Ausnahmefälle für eine Abweichung von diesem Grundsatz liegt nicht vor. Denn es ist kein hinreichender Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß der ersuchende Staat seinen Auslieferungsanspruch mißbräuchlich geltend macht. Daneben liegen auch keine besonderen Umstände für eine gerechtfertigte Befürchtung dahingehend vor, daß der Verfolgte im Fall seiner Auslieferung einem Verfahren ausgesetzt wäre, welches gegen unabdingbare, von allen Rechtsstaaten anerkannte Grundsätze und damit gegen den völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard i.S.d. Art.25 GG verstoßen würde.

Hinweis:

      Vgl. Beschluß des Oberlandesgerichtes Stuttgart vom 8.3.1993 (3 Ausl.26/91), Die Justiz 1993, 231 ff.