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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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1050. EUROPÄISCHES AUSLIEFERUNGSÜBEREINKOMMEN VOM 13.12.1957 (BGBl. 1964 II S.1371)

Allgemeines

Nr.87/2

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Strafe und Verschulden gehört im Kernbereich zu den unabdingbaren Grundsätzen der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland und ist auch im Auslieferungsverkehr zu beachten.

The principle of proportionality of penalty and guilt in its essence is part of the indispensible principles of the constitutional order of the Federal Republic of Germany. It must be observed also in extradition matters.

Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 31.3.1987 (2 BvM 2/86) (s.212 [87/1])

Entscheidungsauszüge:

      B. ... 2. ... b) ... Allerdings gehört es zu dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, daß die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der gesetzlich angedrohten oder der verhängten Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen. Eine Strafandrohung oder Verurteilung darf nach Art und Maß dem unter Strafe stehenden Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein. Tatbestand und Rechtsfolge müssen sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (st. Rspr. ...). Der Kernbereich dieser Anforderungen zählt zu den unabdingbaren Grundsätzen der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und ist auch im Auslieferungsverkehr zu beachten (vgl. BVerfGE 63, 332 [337 ff.]). Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland wäre es verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die gegen ihn im ersuchenden Staat verhängt wurde, unerträglich hart, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erschiene. Entsprechendes gilt, wenn die im ersuchenden Staat verhängte Strafe mit Blick auf eine Nichtanrechnung oder Nichtberücksichtigung der in einem Drittstaat wegen derselben Tat erlittenen Strafe diese äußerste Grenze überschritte. Schließlich zählt es wegen Art.1 Abs.1 und Art.2 Abs.1 GG zu den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung, daß eine angedrohte oder verhängte Strafe nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein darf; die zuständigen Organe der Bundesrepublik Deutschland sind deshalb gehindert, an der Auslieferung eines Verfolgten mitzuwirken, wenn dieser eine solche Strafe zu gewärtigen oder zu verbüßen hat. Anderes gilt hingegen dann, wenn die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts bereits nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Das Grundgesetz geht von der Eingliederung des von ihm verfaßten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus (Präambel, Art.24 bis 26 GG). Es gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten. Das bedeutet, daß die Auffassung der deutschen Rechtsordnung von maß- und sinnvollem Strafen - zumal auf einem Gebiet wie dem der Betäubungsmitteldelikte, auf dem sich die entsprechenden Auffassungen der einzelnen Staaten insgesamt derart unterscheiden, daß vom Bestehen eines internationalen Mindeststandards nicht geprochen werden kann ... - im Auslieferungsverkehr nur insoweit zur Geltung zu bringen ist, als sie Bestandteil zwingender, unabdingbarer verfassungsrechtlicher Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland ist.