Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


Home | Inhalt | Zurück | Vor

Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1112. EINZELNORMEN DER EMRK

Art.5 Abs.4 EMRK

Nr.93/1

Nach Art.5 Abs.4 EMRK muß einem wegen Geisteskrankheit Untergebrachten im regelmäßigen Überprüfungsverfahren nach §§67d, 67e StGB in aller Regel von Amts wegen ein Verteidiger bestellt werden.

In the regular review proceedings according to §§67 (d), 67 (e) of the Penal Code, a defense attorney must under Art.5 (4) of the European Convention on Human Rights as a rule be assigned ex officio to a mentally ill person confined in an institution.

Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluß vom 13.3.1993 (2 Ws 34/93), MDR 1993, 788 (ZaöRV 55 [1995], 864)

Einleitung:

      Die Strafvollstreckungskammer hatte im turnusmäßigen Überprüfungsverfahren nach §§67d, e StGB die Fortdauer der Unterbringung eines geisteskranken Straftäters in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, ohne daß ein Verteidiger mitgewirkt hätte. Deshalb hob das Oberlandesgericht den Beschluß auf und verwies die Sache zurück.

Entscheidungsauszüge:

      Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens hätte für den Untergebrachten ein Verteidiger mitwirken müssen.
      a) Das Verfahren zur Prüfung der Frage, ob ein wegen der Begehung rechtswidriger Taten in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachter Geisteskranker weiter im Maßregelvollzug verbleiben muß oder ob die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§§67d, 67e StGB), stellt wegen der damit in aller Regel verbundenen Schwierigkeiten und der Tragweite der zu treffenden Entscheidung hohe Anforderungen an alle Verfahrensbeteiligten. Dabei wird häufig zweifelhaft sein, ob der Untergebrachte aufgrund seiner Krankheit und seiner regelmäßig gegebenen Unerfahrenheit in medizinischen und juristischen Fragen allein in der Lage ist, ... die aus seiner Sicht notwendigen Gesichtspunkte zum Ausdruck zu bringen. Deshalb hat bereits früher das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 70, 323) darauf hingewiesen, daß es u.U. von Verfassungs wegen geboten sein kann, dem Untergebrachten einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Nunmehr hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seinem Urteil vom 12.5.1992 (vgl. StV 1993, 88 ...) ausgesprochen, daß dem genannten Personenkreis in den weiteren Verfahren, die die Fortdauer, die Aussetzung zur Bewährung oder die Beendigung der Unterbringung betreffen, ein rechtskundiger Beistand zur Seite gestellt werden muß, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor. Der EMGR leitet diesen Anspruch aus Art.5 Abs.4 EMRK - die unmittelbar geltendes innerstaatliches Recht der Bundesrepublik Deutschland im Range eines einfachen Bundesgesetzes darstellt ... ab ... Nach den überzeugenden Ausführungen des EGMR kann bei dem genannten Personenkreis grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, daß er in der Lage ist, ...[sich] angemessen zu äußern. Hieraus folgt nach Ansicht des EGMR, der sich der Senat anschließt, daß ein Rechtsbeistand im Überprüfungsverfahren zu beteiligen ist, unabhängig davon, ob ein entsprechendes Begehren von dem Untergebrachten geäußert wird, und auch unabhängig davon, ob der Untergebrachte Anstalten macht, sich selbst zu verteidigen oder nicht. Will die Strafvollstreckungskammer von der Zuziehung eines Beistandes absehen, muß sie die besonderen Umstände darlegen, die ausnahmsweise eine solche Zuziehung überflüssig machen ...