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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1112. EINZELNORMEN DER EMRK

Art.6 Abs.3 lit.e EMRK

Nr.88/2

Aus Art.6 Abs.3 lit.e EMRK kann eine der deutschen Sprache nicht mächtige Angeklagte keinen Anspruch auf unentgeltliche Beiordnung eines Dolmetschers durch das Gericht zur Durchführung vorbereitender Gespräche mit ihrem Wahlverteidiger herleiten.

A defendant who does not understand German cannot derive from Art.6 (3) (e) of the European Convention on Human Rights a claim to have an interpreter assigned by the court free of charge for preparatory consultations with the defense counsel of her choice.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluß vom 6.12.1988 (1 Ws 1142 und 1194/88), NJW 1989, 677 (ZaöRV 50 [1990], 116)

Einleitung:

      Die der deutschen Sprache nicht mächtige Angeklagte war von dem Jugendschöffengericht wegen fortgesetzten Vergehens nach §§34, 20 AsylVfG zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hat sie Berufung eingelegt. Der Vorsitzende der Strafkammer hat ihr durch Beschluß vom 29.2.1988 auf ihren Antrag hin "zur Vorbereitung der Verteidigung mit ihrem Verteidiger" im Berufungsverfahren eine Dolmetscherin beigeordnet. Gegen diese Beiordnung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Beschwerde, die Erfolg hat.

Entscheidungsauszüge:

      II. ... Ein Anspruch des der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten auf unentgeltliche Beiordnung eines Dolmetschers zur Durchführung vorbereitender Gespräche mit dem Wahlverteidiger besteht nicht. Ein solcher Anspruch kann nicht aus Art.6 Abs.3 lit.e EMRK hergeleitet werden. Dort ist lediglich bestimmt, daß jeder Angeklagte das Recht hat, die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen, wenn er ... die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sich nicht darin ausdrücken kann. Von dieser Regelung ist die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu Gesprächen des Angeklagten mit seinem Wahlverteidiger zur Vorbereitung der Verteidigung nicht erfaßt. Sie gilt allein für die gerichtliche Hinzuziehung eines Dolmetschers bei Gerichtsverhandlungen, an denen der Angeklagte teilnimmt, und für das Verhältnis zwischen Gericht und Angeklagtem.
      Bei der Beantwortung der Frage, ob der Angeklagte, der die deutsche Sprache nicht versteht, zu den Gesprächen mit seinem Wahlverteidiger auf Staatskosten einen Dolmetscher hinzuziehen darf, ist auf die Grundsätze des Art.6 Abs.3 lit.c EMRK zurückzugreifen; denn der Anspruch auf unentgeltliche Heranziehung eines Dolmetschers kann nicht weiter gehen als der Anspruch auf unentgeltliche Verteidigung selbst. Ein solcher Anspruch auf unentgeltliche Verteidigung ist nach Art.6 Abs.3 lit.c EMRK nur gegeben, wenn der Angeklagte nicht in der Lage ist, die Mittel für die Bezahlung des selbstgewählten Verteidigers aufzubringen, und wenn die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Da zur Verteidigung des Angeklagten auch die Verständigung mit seinem Verteidiger gehört, ist diese Bestandteil der Verteidigung selbst. Daraus folgt, daß der Anspruch auf unentgeltliche Gewährleistung der Verständigung zwischen dem Angeklagten und dem Verteidiger nur unter denselben Voraussetzungen besteht, die in Art.6 Abs.3 lit.c EMRK für den Anspruch des Angeklagten auf unentgeltliche Bestellung des Verteidigers selbst bestimmt sind.
      Da ... ein Anspruch der Angeklagten auf unentgeltliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht besteht, kann sie auch nicht die unentgeltliche Beiordnung eines Dolmetschers für die mit ihrem Wahlverteidiger zu führenden Verteidigungsgespräche verlangen. Da in der bevorstehenden Berufungshauptverhandlung ein von dem Gericht hinzugezogener Dolmetscher teilnehmen wird, ist dem Gebot einer fairen Verfahrensführung genügt ...