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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


221. VERHÄLTNIS VON VÖLKERVERTRAGSRECHT UND INNERSTAATLICHEM RECHT

Nr.86/1 [a] Auch durch das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag können Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmt werden (Art.14 Abs.1 Satz 2 GG).
[b] Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit solcher Bestimmungen sind auch außenpolitische Gesichtspunkte (Pflege der Beziehungen zum dem anderen Vertragsstaat; Förderung des internationalen Luftverkehrs gemäß dem Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt vom 7.12.1944) zu berücksichtigen.
[c] Schränkt das Zustimmungsgesetz bestehende, aber praktisch in dem anderen Vertragsstaat nur schwer durchsetzbare Ansprüche Privater zwar ein, sichert sie jedoch in ihrem eingeschränkten Umfang und erleichtert ihre Durchsetzbarkeit, so ist dieser Ausgleich im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Bedeutung.
[d] Es kann nicht angenommen werden, daß es das internationale Nachbarrecht verbiete, einen Flughafen in Grenznähe zu genehmigen, der für die Bevölkerung des angrenzenden Staates weniger Lärmbelästigungen mit sich bringt als mancher inländische Flughafen.
[a] The content and limits of the right to property (Art.14 (1) clause 2 of the Basic Law) can also be determined by an act assenting to an international treaty.
[b] In scrutinizing the proportionality of such determinations, foreign policy aspects must be taken into account (international relations with the other state party; furtherance of international air traffic in accordance with the Convention on International Civil Aviation of 7 December 1944).
[c] If the act of assent to an international treaty restricts claims of private parties which, though existing, are difficult to enforce practically on the territory of the other state party, yet also secures these claims in their restricted form and facilitates their enforcement, this counterbalancing is an important factor in evaluating the proportionality of the restriction.
[d] It cannot be assumed that the international law concerning relations between neighbor states prohibits a state from licensing an airport close to its border if the airport causes less noise pollution to the detriment of the population of the neighboring state than some of the latter's domestic airports.

Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 12.3.1986 (1 BvL 81/79), BVerfGE 72, 66 (ZaöRV 48 [1988], 40)

Einleitung:

      Die Vorlage nach Art.100 Abs.1 GG betraf die in dem Vertrag vom 19. Dezember 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Auswirkungen der Anlage und des Betriebes des Flughafens Salzburg auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (StV - BGBl.1974 II, S.15) getroffene Regelung von Abwehransprüchen deutscher Grundstückseigentümer gegen Fluglärm, der von dem Betrieb des Flughafens Salzburg ausgeht. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts verstießen die vertraglichen Regelungen gegen Art.14 Abs.1 Satz 1 GG, weil sie durch Inbezugnahme von §11 LuftVG und §14 BlmSchG den lärmbetroffenen deutschen Grundstückseigentümern privatrechtliche Unterlassungsansprüche gegen den österreichischen Flughafenbetreiber abschnitten, ohne daß diese in Österreich ausreichenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gegen die Betriebsgenehmigung des grenznahen Flughafens hatten. Das Bundesverfassungsgericht hält demgegenüber das Eigentumsgrundrecht (Art.14 GG) für gewahrt.

Entscheidungsauszüge:

      C. ... II. Die zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Vorschriften bestimmen in zulässiger Weise Inhalt und Schranken des Eigentums.
      1. Bei der Erfüllung des ihm in Art.14 Abs.1 Satz 2 GG erteilten Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, muß der Gesetzgeber beiden Elementen des im Grundgesetz angelegten Verhältnisses von verfassungsrechtlich garantierter Rechtsstellung und dem Gebot einer sozialgerechten Eigentumsordnung in gleicher Weise Rechnung tragen; er muß die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen. .... Dem entspricht die Bindung des Gesetzgebers an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentümer aufzuerlegenden Beschränkungen.
      2. Diesen Grundsätzen entsprechen die zur verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellten Vorschriften.
      a) Den Betroffenen bleibt die Substanz ihres Grundeigentums erhalten. Selbst mit dem Grundeigentum ursprünglich verbunden gewesene Abwehransprüche gegen den Flughafenbetreiber wegen des vom Flughafen Salzburg ausgehenden Fluglärms werden nicht vollständig beseitigt. Vielmehr führt die in Art.4 Abs.3 Satz 2 StV angeordnete sinngemäße Anwendung von §11 LuftVG, §14 BImSchG dazu, daß ein vormaliger Anspruch auf Betriebseinstellung primär in einen Anspruch auf Schaffung von Schutzvorkehrungen und sekundär in einen solchen auf Schadensersatz umgewandelt wird.
      b) Vor Erlaß des Zustimmungsgesetzes war die Rechtsstellung der Kläger des Ausgangsverfahrens im Hinblick auf den vom Betrieb des Flughafens ausgehenden Fluglärm durch Unsicherheit gekennzeichnet. Einen nach deutschem Recht etwa bestehenden Anspruch gegen den Flughafenbetreiber auf Unterlassung der Beeinträchtigungen hätten sie nicht durchsetzen können. Wäre ein entsprechendes Urteil eines deutschen Gerichts ergangen, so hätten sie damit rechnen müssen, daß dessen Vollstreckung in Österreich am Vorbehalt des dortigen ordre public scheitern würde.
      Diese Unsicherheit haben Zustimmungsgesetz und Staatsvertrag behoben. Dabei ist der ausländische Flughafenbetreiber verbindlich in die Regelung einbezogen und so ein erheblicher Gewinn an Rechtssicherheit erzielt worden. Die mit dem Grundeigentum ursprünglich verbundenen Abwehransprüche gegen den Flughafenbetreiber wegen des Fluglärms sind, soweit sie urprünglich auf Betriebseinstellung gerichtet waren, in Ansprüche auf Schaffung von Schutzvorkehrungen oder Schadensersatz umgewandelt worden. ... Ihre Durchsetzbarkeit wird vom Staatsvertrag gewährleistet.
      c) Die zur Prüfung gestellten Vorschriften dienen im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einer legitimen Zielsetzung, zu deren Erreichung sie geeignet und erforderlich sind.
      Das Anliegen, das der Gesetzgeber mit ihrem Erlaß verfolgte, mußte sich nicht in dem Bestreben erschöpfen, die deutsche Bevölkerung vor Fluglärm zu schützen. Denn er stand hinsichtlich des Flughafens Salzburg gleichermaßen vor der Aufgabe, die Beziehungen zur Republik Österreich nicht zu gefährden und auf den internationalen Luftverkehr Rücksicht zu nehmen, zu dessen Förderung sich die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Beitritt zum Abkommen von Chicago über die internationale Zivilluftfahrt verpflichtet hat. Außerdem war zu berücksichtigen, daß der Flughafen Salzburg, gerade angesichts gutnachbarlicher Beziehungen zur Republik Österreich, geeignet ist, Verkehrsfunktionen für den südostbayerischen Raum zu übernehmen, von denen dieser und die dortige Bevölkerung profitieren können. Von dieser Ausgangslage her gesehen durfte der Gesetzgeber es jedenfalls dann für geboten erachten, das Bestehen des Flughafens Salzburg anzuerkennen und den Flughafenbetrieb auch aus deutscher Sicht auf eine gesicherte rechtliche Grundlage zu stellen, wenn im Rahmen einer Gesamtregelung der Schutz der deutschen Bevölkerung vor unzumutbaren Fluglärmbelästigungen ausreichend berücksichtigt wird. Zu diesem Zweck konnte auch bestimmt werden, daß aufgrund privatrechtlicher, nicht auf besonderen Titeln beruhender Ansprüche zur Abwehr benachteiligender Einwirkungen von einem Grundstück auf ein benachbartes Grundstück die Einstellung des Flughafenbetriebs nicht verlangt werden kann. Diese im Inland bewährte Regelung ist geeignet und erforderlich, um den dann erwünschten ungestörten Bestand des Flughafens zu gewährleisten.
      d) Die Gestaltung der Eigentumsposition der betroffenen deutschen Grundeigentümer und der mit ihr verfolgte Zweck stehen in einem angemessenen Verhältnis zueinander, ohne daß schutzwürdige Interessen der Beteiligten einseitig bevorzugt oder benachteiligt werden.
      Der Flughafenbetrieb belastet die betroffene deutsche Nachbarschaft nicht so schwerwiegend, daß eine andere Lösung als das Hinwirken auf seine Einstellung von vornherein ausscheiden müßte. Die mittlere Flughäufigkeit beim Flughafen Salzburg hält sich in Grenzen. Sie dürfte kaum diejenige der Flughäfen Bremen oder Nürnberg übersteigen ... . In der Bundesrepublik Deutschland gibt es ... eine Anzahl genehmigter Flughäfen, deren Lärmschutzbereiche in wesentlich größerem Ausmaß bebaut sind, als dies beim Flughafen Salzburg je der Fall sein könnte, würde für ihn ein Lärmschutzbereich festgesetzt. Dies läßt der These von der Völkerrechtswidrigkeit der österreichischen Zivilflugplatz-Bewilligung für den Flughafen Salzburg ... keinen Raum; es kann nicht ohne weiteres angenommen werden, daß es das internationale Nachbarrecht dem Nachbarstaat verbiete, einen Flughafen in Grenznähe zu genehmigen, der für die Bevölkerung des angrenzenden Staates weniger Lärmbelästigungen mit sich bringt als mancher inländische Flughafen für dessen einheimische Nachbarschaft.
      Dies berücksichtigt, wiegt die Einbuße an Rechtsmacht, die die deutschen Grundeigentümer durch die zur Prüfung stehenden Vorschriften erleiden, nicht besonders schwer. Mit dem Grundeigentum ursprünglich verbundene Abwehransprüche gegen den Flughafenbetreiber wegen des vom Flughafen Salzburg ausgehenden Fluglärms werden nicht vollständig beseitigt, sondern lediglich von Ansprüchen auf Betriebseinstellung in solche auf Schaffung von Schutzvorkehrungen oder Schadensersatz umgewandelt. ...
      Dies gilt um so mehr, als die neugestalteten "geminderten" Ansprüche wesentlich leichter durchzusetzen sind als ein vormaliger Anspruch auf Betriebseinstellung. Infolge des Abschlusse des Staatsvertrages ist jetzt nämlich von österreichischer Seite anerkannt, daß die deutschen Flughafennachbarn grundsätzlich Surrogatansprüche gem. §14 BImSchG, §11 LuftVG, Art.4 Abs.3 Satz 2 StV gegenüber dem österreichischen Flughafenbetreiber geltend machen können. Insgesamt ist durch den Abschluß des Staatsvertrages eine Verbesserung der Rechtsstellung der betroffenen deutschen Staatsbürger gegenüber dem bisherigen Zustand erreicht worden. Die Verbesserung folgt nicht allein aus der jetzt bestehenden Möglichkeit, Surrogatansprüche geltend zu machen. ...
      Die Auffassung, der Staatsvertrag bilde (auch) ein Instrument zum Schutz der betroffenen deutschen Bevölkerung, entbehrt daher nicht der Berechtigung. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß die auf den Vertragsabschluß folgenden beiderseitigen Bemühungen zur Festsetzung der neuen lärmmindernden Abflugroute WS 02 geführt haben.
      Die Umformung der Rechtsstellung der von den Fluglärmimmissionen betroffenen deutschen Grundeigentümer ist durch die genannten Regelungszwecke des Staatsvertrages gerechtfertigt. Der deutsche Gesetzgeber war befugt, der Aufrechterhaltung des Flughafenbetriebs in Salzburg gegenüber dem auf eine Betriebseinstellung abzielenden Bestreben der deutschen Grundeigentümer den Vorrang einzuräumen. Es bot sich für ihn an, das Ergebnis der Zusammenarbeit beider beteiligten Staaten zur Lösung der anstehenden Fragen zu akzeptieren. Denn die Zusammenarbeit hat zu wechselseitigen Konzessionen geführt, deren Grundgedanke darin liegt, daß von der Bundesrepublik Deutschland das Bestehen des Flughafens Salzburg anerkannt und der Flughafenbetrieb auf eine gesicherte Rechtsgrundlage gestellt wird, während die Republik Österreich das Interesse der deutschen Bevölkerung nach Schutz vor unzumutbaren Fluglärmbelästigungen anerkennt und im Rahmen des Möglichen berücksichtigt. Ferner unterliegt der Flughafenbetrieb vom Inkrafttreten des Staatsvertrages an einer auch unter deutschem Einfluß stehenden Kontrolle (vgl. Art.2, 10 und 12 StV), die es in einem hohen Maße unwahrscheinlich erscheinen läßt, daß der Schutz der deutschen Bevölkerung vor den Lärmimmissionen des Flughafens bei künftigen Entscheidungen über den Flughafenbetrieb vernachlässigt wird. Nach allem regeln die zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Vorschriften die Interessengegensätze nicht so einseitig, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wird.

Hinweis:

      English translation in: Decisions of the Bundesverfassungsgericht - Federal Constitutional Court - Federal Republic of Germany, Volume 1/Part II (1992), pp. 550-560.