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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1550. WIEDERVEREINIGUNG DEUTSCHLANDS

Nr.91/2

[a] Art.79 Abs.3 GG verlangt nicht, daß zur Wiedergutmachung von Enteignungsmaßnahmen einer fremden Staatsgewalt, die sich für den dem Grundgesetz verpflichteten Gesetzgeber als nicht hinnehmbar erweisen, die enteigneten Objekte zurückgegeben werden.

[b] Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß nach deutschem internationalen Enteignungsrecht die Enteignungsmaßnahmen eines anderen Staates einschließlich entschädigungsloser Konfiskationen, auch wenn diese mit der deutschen Verfassungsordnung unvereinbar sind, grundsätzlich als wirksam angesehen werden, soweit sie Vermögen im Gebiet des fremden Staates betreffen.

[c] Art.3 Abs.1 GG gebietet es, daß der Gesetzgeber auch für die nicht rückgängig zu machenden Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne von Anlage III Nr.1 des Einigungsvertrages eine Ausgleichsregelung schafft.

[a] Art.79 (3) of the Basic Law does not require the German legislature to indemnify by way of restitution in kind owners of property expropriated by a foreign state under circumstances which make the expropriation unacceptable according to the standards of the Basic Law.

[b] From a constitutional perspective, there is no objection to the German private international law rule concerning foreign expropriations according to which expropriations by a foreign state, including confiscations without compensation, are generally consider-ed as valid, even if they are incompatible with the German constitutional order, as far as they affect property located in the territory of the foreign state.

[c] Art.3 (1) of the Basic Law also requires the legislature to establish a compensation arrangement which covers irreversible expropriations made on the basis of occupation law or by authority of the occupying powers in the sense of Annex III No.1 of the Treaty on German Unity.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 23.4.1991 (1 BvR 1170/90 u.a.), BVerfGE 84, 90 (ZaöRV 53 [1993], 375 ff. und 440 ff.)

Einleitung:

      Im Zuge der Verhandlungen über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland gaben die Regierungen beider deutscher Staaten am 15.6.1990 eine Gemeinsame Erklärung zur Regelung offener Vermögensfragen ab, die auszugsweise lautet (Nr.1):
      "Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rückgängig zu machen. Die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik sehen keine Möglichkeit, die damals getroffenen Maßnahmen zu revidieren. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nimmt dies im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis. Sie ist der Auffassung, daß einem künftigen gesamtdeutschen Parlament eine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muß."
      Nach Art.41 Abs.1 des Vertrages vom 31.8.1990 über die Herstellung der Einheit Deutschlands (BGBl.1990 II S.889) - Einigungsvertrag (EV) ist diese Gemeinsame Erklärung Vertragsbestandteil (Anlage III). Zur ihrer verfassungsrechtlichen Absicherung wurde Art.143 Abs.3 GG in das Grundgesetz eingefügt, wonach Eingriffe in das Eigentum im Gebiet der DDR selbst dann nicht mehr rückgängig gemacht zu werden brauchen, wenn diese Bestandskraft dem Grundgesetz an sich widerspricht.
      Für entschädigungslose Enteignungen, die nicht unter Nr.1 der Gemeinsamen Erklärung fallen, gilt der Grundsatz, daß die enteigneten Objekte zurückgegeben werden, soweit dies nicht von der Natur der Sache her unmöglich ist oder in der Zwischenzeit natürliche Personen in redlicher Weise das Eigentum oder dingliche Nutzungsrechte daran erworben haben.
      Die Beschwerdeführer sind von entschädigungslosen Enteignungsmaßnahmen im Sinne der Nr.1 der Gemeinsamen Erklärung betroffen, die in der DDR u.a. im Zuge der sogenannten Bodenreform zwischen 1945 und 1949 durchgeführt worden sind. Sie halten den Ausschluß von Rückübertragungsansprüchen für grundrechtswidrig (vor allem wegen Verstosses gegen Art.1, 3, 14 und 20 GG). Die unmittelbar gegen das Zustimmungsgesetz zum EV gerichteten Verfassungsbeschwerden wurden zurückgewiesen.

Entscheidungsauszüge:

      B. ... I.1. Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen (Art.59 Abs.2 Satz 1 GG) können mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wenn der Vertrag Regelungen enthält, die unmittelbar in die Rechtssphäre des Einzelnen eingreifen (vgl. BVerfGE 6, 290 [294 f.]; 40, 141 [156]). Gleiches gilt für Zustimmungsgesetze zu Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, auch wenn diese nach dem Recht des Grundgesetzes nicht Ausland war (vgl. BVerfGE 36, 1 [13, 17, 23]).
      2. ... Die dargelegten Enteignungen sind als solche auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage zu qualifizieren.
      Soweit die Enteignungen ... in der Folge einer Sequestrierung nach dem Befehl Nr.124 der SMAD [sowjetische Miltiäradministration in Deutschland] erfolgt sind, beruhen sie zwar nur teilweise auf besatzungsrechtlicher Grundlage, denn die Enteignungen sind unmittelbar durch Vorschriften deutscher Rechtsetzungsorgane festgelegt worden ... Sie sind jedoch auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgt, da sie durch Akte der sowjetischen Besatzungsmacht gezielt ermöglicht worden sind und maßgeblich auf deren Entscheidung beruht haben. Für die deutschen Stellen hätte keine Möglichkeit bestanden, auf die von der Besatzungsmacht sequestrierten Objekte Zugriff zu nehmen, wenn ihnen diese nicht von der Besatzungsmacht zu diesem Zweck überlassen worden wären. Die maßgebliche Einflußnahme der Besatzungsmacht zeigt sich überdies darin, daß die SMAD im Befehl Nr.64 vom 17. April 1948 die durchgeführten Enteignungen ausdrücklich bestätigt hat. Die besatzungshoheitliche Grundlage der Enteignungen wird weder dadurch ausgeschlossen, daß deutsche Stellen daran einverständlich mitgewirkt haben, noch steht ihr entgegen, daß die hier in Frage stehenden Enteignungen - anders als im Falle der Inanspruchnahme von Reparationsleistungen - nicht zugunsten der Besatzungsmacht erfolgt sind.
      Ob die Enteignungen im Zuge der Bodenreform unter die angegriffene Regelung fallen, könnte zwar, wenn man allein von deren Wortlaut ausginge, zweifelhaft sein. Die Rechtsnormen, auf denen die Bodenreform beruhte, sind allein von deutschen Organen erlassen worden ... Gleichwohl ist begrifflich auch die Bodenreform als Maßnahme auf besatzungshoheitlicher Grundlage einzuordnen, denn der Geschehensablauf ergibt jedenfalls, daß sie von der sowjetischen Besatzungsmacht nicht nur hingenommen wurde, sondern ihrem erklärten Willen entsprach. Das wird vor allem dadurch deutlich, daß die SMAD mit Befehl vom 22. Oktober 1945 ... die bis dahin erlassenen Vorschriften der von ihr eingesetzten Landes- und Provinzialverwaltungen, denen sie förmlich noch keine Rechtsetzungsbefugnis eingeräumt hatte, für "gesetzkräftig" erklärt und damit die Vorschriften über die Bodenreform ausdrücklich bestätigt hat.
      Aus dem Ablauf der Vertragsverhandlungen im Zuge der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands und den dazu vorliegenden Materialien ergibt sich im übrigen zweifelsfrei, daß die in Frage stehende Regelung nach dem Willen der Partner des Einigungsvertrages und auch der Sowjetunion, die über die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen am Einigungsprozeß beteiligt war, in diesem Sinne zu verstehen ist. In der mündlichen Verhandlung haben Bundesminister Dr.Kinkel und Ministerpräsident a.D. de Maizière, die beide maßgeblich an den Vertragsverhandlungen beteiligt waren, bestätigt, daß insbesondere auch die Aufrechterhaltung der durch die Bodenreform geschaffenen Eigentumsverhältnisse eine zentrale Forderung der Deutschen Demokratischen Republik bildete. Diese Forderung entsprach der Position der Sowjetunion. Dies ist in der mündlichen Verhandlung durch die Angaben von Staatssekretär Dr.Kastrup bestätigt worden und ergibt sich im übrigen aus der von der sowjetischen Regierung am 27. April 1990 durch TASS veröffentlichten Erklärung sowie dem Aide-mémoire, das der deutschen Botschaft in Moskau am 28. April 1990 übergeben worden ist.
      ... Auch ... [willkürliche Enteignungsmaßnahmen] beruhten letztlich - selbst wenn sie unmittelbar allein von deutschen Stellen vollzogen worden sind - auf besatzungshoheitlicher Grundlage, weil der Besatzungsmacht in dieser Zeit noch die oberste Hoheitsgewalt zukam.
      C. Die Verfassungsbeschwerden sind nicht begründet. ...
      II. Die in Art.41 Abs.1 EV in Verbindung mit ... der Gemeinsamen Erklärung ... enthaltene Regelung, daß die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) nicht mehr rückgängig zu machen sind, verletzt die Beschwerdeführer nicht in den geltend gemachten Grundrechten. Die genannte Regelung ist durch Absatz 3 des gemäß Art.4 Nr.5 EV in das Grundgesetz eingefügten Art.143 GG ausdrücklich für verfassungsrechtlich bestandskräftig erklärt worden. Sie könnte daher nur dann gegen die Verfassung - und damit auch gegen die als verletzt gerügten Grundrechte - verstoßen, wenn Art.143 Abs.3 GG seinerseits nichtig wäre. Das ist nicht der Fall. ...
      2. Materiell ist Art.143 Abs.3 GG - wie jede Verfassungsänderung - am Maßstab des Art.79 Abs.3 GG zu prüfen. ...
      a) Art.79 Abs.3 GG verbietet Verfassungsänderungen, durch welche die in Art.1 und Art.20 GG niedergelegten Grundsätze berührt werden. Dazu gehört nicht nur der in Art.1 Abs.1 GG verankerte Grundsatz der Menschenwürde. Auch das in Art.1 Abs.2 GG enthaltene Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage der menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit erlangt insoweit Bedeutung; in Verbindung mit der in Art.1 Abs.3 GG enthaltenen Verweisung auf die nachfolgenden Grundrechte sind deren Verbürgungen insoweit einer Einschränkung grundsätzlich entzogen, als sie zur Aufrechterhaltung einer dem Art.1 Abs.1 und 2 GG entsprechenden Ordnung unverzichtbar sind. Ebenso wie der originäre Verfassungsgeber (vgl. BVerfGE 3, 225 [232]; 23, 98 [106]) darf auch der verfassungsändernde Gesetzgeber danach grundlegende Gerechtigkeitspostulate nicht außer acht lassen. ...
      b) Die Regelung in ... der Gemeinsamen Erklärung verbietet es, die Enteignungen als nichtig zu behandeln, und schließt es darüber hinaus aus, ihre Folgen durch eine Rückgabe der enteigneten Objekte umfassend zu bereinigen. Dagegen verbietet die Regelung nicht einen vermögenswerten Ausgleich der erlittenen Beeinträchtigungen. Ein solcher Ausgleich, dessen Höhe nicht festgelegt ist, wird vielmehr in ... der Gemeinsamen Erklärung dem Gesetzgeber ausdrücklich vorbehalten ...
      Es verstößt nicht gegen die dargelegten Schranken des Art.79 Abs.3 GG, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber die Regelung der Enteignungen für verfassungsrechtlich bestandskräftig erklärt hat.
      aa) Läßt man etwaige Ansprüche auf völkerrechtlicher Grundlage zunächst außer Betracht, bestand keine Rechtsposition der Betroffenen mehr, in die der Gesetzgeber mit der beanstandeten Regelung eingegriffen hätte. Ein verfassungsrechtlicher Makel unter diesem Gesichtspunkt scheidet danach von vornherein aus.
      (1) Die Frage, ob jemandem eine bestimmte Rechtsposition zusteht, kann nur im Blick auf eine konkrete Rechtsordnung beantwortet werden. Nach der Rechtslage im Gebiet der früheren sowjetisch besetzten Zone und späteren Deutschen Demokratischen Republik bestand eine solche Rechtsposition nach dem Vollzug der Enteignungsmaßnahmen nicht mehr. Die Enteignungsakte waren darauf gerichtet, den Eigentümern ihre Rechtsposition vollständig und endgültig zu entziehen. Die normativen Grundlagen der Enteignungen wurden sowohl von der Besatzungsmacht als auch von der deutschen Staatsgewalt in der sowjetisch besetzten Zone und in der späteren Deutschen Demokratischen Republik in vollem Umfang als rechtmäßig angesehen. Auch soweit die einschlägigen Rechtsgrundlagen exzessiv ausgelegt oder nach rechtsstaatlichen Maßstäben willkürlich ... angewandt worden sind, war grundsätzlich kein Rechtsschutz möglich; auch solche Enteignungen wurden als bestandskräftig behandelt.
      (2) Die Enteignungen im Gebiet der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands können unabhängig davon, ob sie unmittelbar von der sowjetischen Besatzungsmacht veranlaßt wurden oder ob den von dieser Besatzungsmacht eingesetzten deutschen Stellen insoweit ein eigener Entscheidungsspielraum zustand, nicht dem Verantwortungsbereich der dem Grundgesetz verpflichteten Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland zugerechnet werden. Die Bundesrepublik hat sich zwar seit jeher im Sinne der Präambel des Grundgesetzes für das ganze Deutschland verantwortlich gefühlt (vgl. BVerfGE 36, 1 [16]). Ihre Staatsgewalt beschränkte sich aber nicht nur tatsächlich, sondern auch staatsrechtlich auf das damalige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Art.23 Satz 1 GG). Eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne eines Einstehenmüssens für etwaige aus ihrer Sicht rechts- oder verfassungswidrige Maßnahmen der deutschen Staatsgewalt in der sowjetisch besetzten Zone bestand danach ebensowenig wie etwa gegenüber Maßnahmen ausländischer Staatsgewalten (vgl. zum letzteren BVerfGE 43, 203 [209]). Im übrigen können die Enteignungsmaßnahmen größtenteils schon deshalb nicht am Grundgesetz gemessen werden, weil es zum Zeitpunkt dieser Maßnahmen noch gar nicht in Kraft war.
      (3) Nach der Rechtslage, die in den westlichen Besatzungszonen und später in der Bundesrepublik bestand, war den Betroffenen ebenfalls keine vermögenswerte, durchsetzbare Rechtsposition verblieben.
      Nach deutschem internationalem Enteignungsrecht werden die Enteignungen eines fremden Staates einschließlich der entschädigungslosen "Konfiskationen" grundsätzlich als wirksam angesehen, soweit dieser Staat innerhalb der Grenzen seiner Macht geblieben ist. Eine Enteignung entfaltet danach Wirkung innerhalb des Hoheitsgebiets des fremden Staates und erfaßt das Vermögen, das zum Zeitpunkt der Enteignung der Gebietshoheit des enteignenden Staates unterlag - Territorialitätsprinzip - ... Die Hinnahme fremder Enteignungen wird insoweit nur durch den Vorbehalt zugunsten des ordre public (Art.30 EGBGB a.F. in Verbindung mit Art.220 Abs.1 EGBGB n.F.; Art.6 EGBGB n.F.) eingeschränkt, der aber nur eingreift, wenn und soweit eine hinreichende Inlands- und Gegenwartsbeziehung besteht ... Die Entschädigungslosigkeit der Enteignung oder ein ihr sonst nach inländischer Gerechtigkeitsvorstellung anhaftender Makel reicht danach, soweit die Enteignung Objekte im Territorium des enteignenden Staates betrifft, für sich allein nicht aus, um ihr die Wirksamkeit abzusprechen ...
      Gegen diese einfachrechtliche Lage bestehen von Verfassungs wegen keine Bedenken. Die Geltung des Territorialitätsprinzips beruht insoweit auf dem Interesse an internationaler Ordnung ..., der auch die Verfassungsordnung der Bundesrepublik verpflichtet ist. Überstaatliche Rechtsgrundsätze, die dem entgegenstehen, sind nicht feststellbar. Das Territorialitätsprinzip, das die Wirkung von Enteignungen einschließlich der entschädigungslosen Konfiskationen im dargelegten Sinn bestimmt, ist vielmehr international anerkannt (vgl. ... BGHZ 62, 340 [343] ...). Auch wenn, wie die Beschwerdeführer geltend machen, die in Frage stehenden Enteignungsmaßnahmen von Anfang an auf die Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Sinne einer sozialistischen Ordnung gerichtet waren, gilt nichts anderes. Es wird gerade zum Wesen einer solchen Änderung der gesellschaftlichen Ordnung gerechnet, daß dabei keine oder nur eine geringe Entschädigung geleistet wird, weil sonst die beabsichtigte soziale Umschichtung vereitelt würde. Für die Hinnahme einer solchen Umgestaltung in einem anderen Staat wird es, soweit deren Auswirkungen im Gebiet des anderen Staates in Frage stehen, nicht nur nach deutschem internationalem Enteignungsrecht, sondern - jedenfalls überwiegend - auch sonst im internationalen Rechtsverkehr nicht als entscheidend angesehen, ob sie mit der eigenen innerstaatlichen Verfassungsordnung vereinbar ist (vgl. die Nachweise bei Beitzke in: Festschrift für Raape, 1948, S.93 [95] über die Rechtsprechung zu den Sozialisierungsmaßnahmen in Rußland nach dem Ersten Weltkrieg).
      bb) Ob nach völkerrechtlichen Grundsätzen Ansprüche der einzelnen Betroffenen gegen die Besatzungsmacht überhaupt in Betracht kamen, inwieweit sie sich gegebenenfalls auf Rückgabe richten konnten und ob sie durch die angegriffene Regelung beseitigt worden sind, bedarf keiner Entscheidung. Derartige Ansprüche wären auch ohne die getroffene Regelung jedenfalls nicht durchsetzbar und damit praktisch wertlos gewesen. Auch ohne Art.143 Abs.3 GG hätte der Gesetzgeber daher zur Herbeiführung der staatlichen Einheit Deutschlands, die ein verfassungsrechtliches Ziel und Gebot von hohem Rang darstellte, einem Ausschluß derartiger Ansprüche zustimmen dürfen (vgl. BVerfGE 41, 126 [166 ff.]).
      cc) Auch unter dem Gesichtspunkt des nachträglichen Ausgleichs früheren Unrechts verstößt es nicht gegen Art.79 Abs.3 GG, daß in den erfaßten Fällen die enteigneten Objekte nicht an die früheren Eigentümer oder ihre Rechtsnachfolger zurückgegeben werden müssen. Soweit es sich um Enteignungen zugunsten der sowjetischen Besatzungsmacht handelt und die Objekte dem Einflußbereich der Bundesrepublik entzogen sind, folgt dies schon aus dem Fehlen der Möglichkeit einer Rückgabe. Aber auch wo die Möglichkeit der Naturalrestitution bestünde, würde Art.79 Abs.3 GG ihrem Ausschluß nicht entgegenstehen.
      (1) Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung zum Kriegsfolgenrecht anhand der Prüfung von Regelungen über die Abgeltung von Besatzungs- und Reparationsschäden entschieden, daß der Gesetzgeber der Bundesrepublik zwar nach der Wertordnung des Grundgesetzes, besonders im Hinblick auf das in Art.20 Abs.1 GG zum Ausdruck gekommene Sozialstaatsprinzip, verpflichtet ist, insoweit einen innerstaatlichen Lastenausgleich vorzusehen; er muß jedoch für Kriegsfolgeschäden nicht in gleicher Weise einstehen, wie wenn diese von den Staatsorganen der Bundesrepublik verursacht worden wären. Er hat bei der Regelung eines solchen Lastenausgleichs einen weiten Gestaltungsraum und darf die Ausgleichsleistungen nach Maßgabe dessen bestimmen, was unter Berücksichtigung der übrigen Lasten und der finanziellen Bedürfnisse für bevorstehende Aufgaben möglich ist (vgl. BVerfGE 27, 253 [270, 283 ff.]; 41, 126 [150 ff.] ...). Diesen Grundsätzen kann, soweit ihnen nicht schon mit den bestehenden Vorschriften des Lastenausgleichs genügt ist, mit der in ... [der Gemeinsamen Erklärung] vorbehaltenen Ausgleichsregelung hinreichend Rechnung getragen werden.
      (2) Der dem Grundgesetz verpflichtete Gesetzgeber kann sich allerdings veranlaßt sehen, nach der Übernahme der Staatsgewalt von einem auf andere Ordnungsvorstellungen gegründeten politischen System dessen frühere Maßnahmen, die sich nach rechtsstaatlichen Maßstäben als nicht hinnehmbar erweisen, durch eine über den allgemeinen Lastenausgleich hinausgehende Wiedergutmachung auszugleichen ... Auf diesem Grundgedanken beruht die im Einigungsvertrag getroffene Regelung für die entschädigungslosen Enteignungen, die nicht unter Nr.1 der Gemeinsamen Erklärung fallen.
      Inwieweit für die hier in Frage stehenden Enteignungen eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers besteht, eine Wiedergutmachung einzuführen ..., bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung; denn jedenfalls ist nach Art.79 Abs.3 GG eine Wiedergutmachung durch Rückgabe der enteigneten Objekte in Natur nicht geboten. Bei der Regelung der Wiedergutmachung früheren, von einer anderen Staatsgewalt zu verantwortenden Unrechts hat der Gesetzgeber schon allgemein einen besonders weiten Gestaltungsspielraum ... Das gilt auch hinsichtlich der Art der Wiedergutmachung.
      Die Wiedergutmachung früheren Unrechts im dargelegten Sinne kann ihre Wurzeln nur im Rechts- und Sozialstaatsprinzip haben. Diese Prinzipien werden in ihren Grundelementen, die der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht außer acht lassen darf, jedenfalls nicht verletzt, wenn die in Frage stehenden Enteignungen nicht im Wege der Restitution in Natur bereinigt werden.
      Die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie führt in diesem Zusammenhang zu keinem anderen Ergebnis. Die Wiedergutmachung ist nicht Ausfluß einzelner Grundrechte, sondern hat ihre Wurzeln ausschließlich im Rechts- und Sozialstaatsgedanken. Selbst wenn die Eigentumsgarantie berührt wäre, ließe sich aus ihrem durch Art.79 Abs.3 GG verbürgten Kernbereich nicht herleiten, daß eine Wiedergutmachung in der Form einer Restitution in Natur erfolgen müßte ... Die angegriffene Regelung schließt es im übrigen nicht aus, daß im Rahmen der beabsichtigten Ausgleichsregelung den Betroffenen auch die Möglichkeit eines Rückerwerbs ihres ehemaligen Eigentums eingeräumt wird, soweit dies im Einzelfall möglich und von der Interessenlage her angezeigt ist.
      (3) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Ausschluß der Restitution nach Nr.1 der Gemeinsamen Erklärung ergeben sich nicht daraus, daß bei den entschädigungslosen Enteignungen, die nicht unter diese Regelung fallen, die Rückgabe der enteigneten Objekte jedenfalls im Grundsatz vorgesehen ist ... Die Grundelemente des Gleichheitssatzes, die nach Art.79 Abs.3 GG unantastbar sind, werden dadurch nicht verletzt. Der Ausschluß der Restitution in der angegriffenen Regelung wird hinreichend dadurch gerechtfertigt, daß die Deutsche Demokratische Republik und die Sowjetunion auf der Einführung dieser Regelung bestanden hatten und die Bundesregierung nach ihrer pflichtgemäßen Einschätzung auf diese Bedingung eingehen mußte, um die Einheit Deutschlands zu erreichen.
      Die Anhörung von Bundesminister Dr.Kinkel, Ministerpräsident a.D. de Maizière und Staatssekretär Dr.Kastrup in der mündlichen Verhandlung hat den Vortrag der Bundesregierung bestätigt, daß bei den Verhandlungen über den Einigungsvertrag und bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, ohne deren erfolgreichen Abschluß die Einheit Deutschlands nicht hätte verwirklicht werden können, der Ausschluß der Restitution sowohl von der Deutschen Demokratischen Republik als auch von der Sowjetunion zur Vorbedingung gemacht worden ist. Beide Staaten hatten ihre Gründe für diese Haltung einleuchtend dargelegt. Der Deutschen Demokratischen Republik war vor allem daran gelegen, den sozialen Frieden in ihrem Gebiet nicht dadurch zu gefährden, daß die durch die Enteignungen geschaffenen neuen Eigentumsverhältnisse wieder in Frage gestellt wurden. Der Sowjetunion kam es dagegen, wie insbesondere durch die Angaben von Staatssekretär Dr.Kastrup deutlich geworden ist, im ganzen darauf an, daß die unter ihrer Oberhoheit als Besatzungsmacht durchgeführten Maßnahmen, die ihren rechts-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen entsprachen, nicht nachträglich zur Disposition des seinerzeit besiegten Deutschlands gestellt wurden. Die Bundesregierung durfte unter diesen Umständen davon ausgehen, daß die Chance zur Herstellung der Einheit Deutschlands nicht hätte genutzt werden können, wenn auf diese Bedingung nicht eingegangen worden wäre. Die Einschätzung dessen, was nach der Verhandlungslage erreichbar war, unterlag dabei der eigenverantwortlichen, pflichtgemäßen Beurteilung der Bundesregierung und entzieht sich der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung (BVerfGE 40, 141 [178]; 66, 39 [61]).
      III. Die in Art.41 Abs.1 EV in Verbindung mit ... der Gemeinsamen Erklärung enthaltene Regelung, daß die Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen dem Gesetzgeber vorbehalten bleibt, verletzt die Beschwerdeführer ebenfalls nicht in ihren Grundrechten.
      1. Allerdings machen die Beschwerdeführer zu Recht geltend, daß es unter den gegebenen Umständen nicht der freien Entscheidung des Gesetzgebers unterliegt, ob er überhaupt eine Ausgleichsregelung zugunsten der Betroffenen schafft. Das ergibt sich schon aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art.3 Abs.1 GG.
      a) Der Gleichheitssatz greift insoweit unmittelbar ein. ...
      Der Gesetzgeber hat für die entschädigungslosen Enteignungen, die nicht unter die Regelung in Nr.1 ... der Gemeinsamen Erklärung fallen, eine Wiedergutmachungsregelung getroffen, die vom Grundsatz der Rückgabe der enteigneten Objekte ausgeht ..., was auch für die Höhe der anstelle einer Restitution zu gewährenden Entschädigung von Bedeutung sein kann. Wählt er eine solche Lösung, darf er für die entschädigungslosen Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage nicht jegliche Wiedergutmachung ausschließen. Die rechtsstaatlichen Defizite, die beide Gruppen von Enteignungen nach den Gerechtigkeitsvorstellungen des dem Grundgesetz verpflichteten Gesetzgebers aufweisen, mögen verschieden sein. Diese Unterschiede können aber jedenfalls eine Ungleichbehandlung dieses Ausmaßes zu Lasten der Beschwerdeführer nicht rechtfertigen. Weitere Umstände, die für eine Differenzierung herangezogen werden können - etwa der größere zeitliche Abstand der von der angegriffenen Regelung erfaßten Enteignungen und die Tatsache, daß diese Enteignungen maßgeblich durch die Hoheitsgewalt der Besatzungsmacht veranlaßt oder jedenfalls gedeckt worden sind - rechtfertigen es ebenfalls vor Art.3 Abs.1 GG weder für sich allein noch zusammen mit den übrigen Umständen, daß für diese Enteignungen jegliche Ausgleichsleistung ausgeschlossen wird. ...
      Bei der Bemessung der Wiedergutmachungsleistungen darf der Gesetzgeber im Rahmen des ihm ohnehin zustehenden Gestaltungsraums auch darauf Rücksicht nehmen, welche finanziellen Möglichkeiten er unter Berücksichtigung der sonstigen Staatsaufgaben hat. Die für den Ausgleich der Kriegsfolgeschäden entwickelten Grundsätze gelten insoweit entsprechend ... Der Gesetzgeber darf danach das Gesamtvolumen der wiedergutzumachenden Schäden - zu denen nicht nur Schäden an Eigentum gehören - berücksichtigen. Bei der Gewichtung der Eigentumsschäden ist zu bedenken, daß in der fraglichen Zeit auch andere Güter - etwa Leben, Gesundheit, Freiheit und berufliches Fortkommen - beeinträchtigt worden sind ... Darüber hinaus darf der Gesetzgeber aber auch auf die Erfüllung der neuen Aufgaben Bedacht nehmen, die sich aus dem Wiederaufbau in den neuen Bundesländern ergeben. Bei der Einschätzung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage des Staates und der Gewichtung der einzelnen Staatsaufgaben kommt ihm dabei ein besonders weiter Beurteilungsraum zu ... Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage in den neuen Bundesländern, deren Bereinigung schon nach dem derzeit absehbaren Stand Zuschüsse in Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrages erfordert, besteht eine (originäre) verfassungsrechtliche Verpflichtung zu einer Wiedergutmachung, die wertmäßig einer Restitution gleichkäme, nicht. Allerdings muß der Gesetzgeber bei der gesamten Wiedergutmachungsregelung Art.3 Abs.1 GG beachten.
      Aus dem Umstand, daß sich ein Teil der enteigneten Objekte im Eigentum der öffentlichen Hand befindet, können die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang nichts für sich herleiten. Die durch die Mißwirtschaft in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik verursachte wirtschaftliche Bankrottlage, für die die Bundesrepublik nicht verantwortlich ist, wird durch diesen Vermögensposten nicht beseitigt. Die ehemaligen Eigentümer können auch nicht aufgrund der Zufälligkeit, daß gerade ihre Objekte noch verfügbar sind, eine wertmäßige Bevorzugung bei der Wiedergutmachung vor anderen Enteigneten oder vor Opfern von Unrechtsmaßnahmen, die Schäden anderer Art erlitten haben, verlangen. Dies gilt auch, wenn ihnen die Möglichkeit eines Rückerwerbs ihres ehemaligen Eigentums eingeräumt wird.

Hinweis:

      Siehe auch die Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 4.3.1996 (EuGRZ 1996, 386) und den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 18.4.1996 (1 BvR 1452/90 u.a. - EuGRZ 1996, 308).