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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1600. STATIONIERUNGSSTREITKRÄFTE

Nr.93/1

[a] Die unehrenhafte Entlassung eines Soldaten aus der US-Armee bei gleichzeitiger Einstellung des Militärstrafverfahrens begründet kein von den deutschen Strafverfolgungsbehörden zu beachtendes Verfahrenshindernis nach Art.VII Abs.8 des NATO-Truppenstatuts.

[b] Ein Verstoß gegen das Recht des Angeklagten auf alsbaldige und schnelle Verhandlung nach Art.VII Abs.9a des NATO-Truppenstatuts führt nicht zur Unzulässigkeit des Verfahrens schlechthin, ist aber bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

[a] The dishonorable discharge of a soldier from the U.S. Army with the simultaneous dismissal of military court proceedings does not constitute a procedural obstacle under Art.VII (8) of the NATO Status of Forces Agreement which German prosecuting authorities must observe.

[b] A violation of the right of the accused to a prompt and speedy trial under Art.VII (9) (a) of the NATO Status of Forces Agreement does not render the proceedings absolutely inadmissible but must be taken into account when determining the penalty.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluß vom 22.3.1993 (3 Ws 173/92), NZWehrR 1993, 125 ff. (ZaöRV 55 [1995], 892f.)

Einleitung:

      Im Jahre 1990 hatte ein Soldat der US-Stationierungsstreitkräfte eine deutsche Staatsangehörige vergewaltigt. Nachdem der Soldat deswegen unehrenhaft aus der Armee entlassen und das Militärstrafverfahren gegen ihn "without prejudice" eingestellt worden war, erhob die zuständige deutsche Staatsanwaltschaft gegen ihn Anklage. Das Landgericht lehnte wegen eines Verfahrenshindernisses die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.

Entscheidungsauszüge:

      II. ... 1. Der Angeklagte unterliegt der deutschen Gerichtsbarkeit. ... Die ihm in der Anklage ... vorgeworfene Straftat der Vergewaltigung ist sowohl nach amerikanischem Militärrecht als auch nach deutschem Recht mit Strafe bedroht und unterliegt somit der konkurrierenden Gerichtsbarkeit nach Art.VII Abs.1 und 3 NTS ... In den Fällen der konkurrierenden Strafgerichtsbarkeit kommt den ausländischen Militärbehörden ein sogenanntes Vorrecht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit grundsätzlich nur zu, soweit die strafbare Handlung in Ausübung des Dienstes begangen worden ist oder sich nur gegen den Entsendestaat bzw. eine dem Truppenstatut unterstehende Person richtet (Art.VII Abs.3a NTS). Bei allen sonstigen Straftaten - dazu gehört auch die vorliegend in Rede stehende ... Tat - steht grundsätzlich der Bundesrepublik Deutschland das Vorrecht zu, Art.VII Abs.3b NTS. Die Bundesrepublik Deutschland hat jedoch auf das ihr zustehende Vorrecht zur Ausübung der Gerichtsbarkeit nach Art.19 Abs.1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (im folgenden: ZusAbk-NTS) auch gegenüber den USA verzichtet, weil ein dieser Vorschrift entsprechendes Ersuchen vorliegt ... Dieser Verzicht läßt jedoch die deutsche Gerichtsbarkeit dem Grunde nach unangetastet. Mit dem Verzicht entsteht nicht eine ausschließliche Gerichtsbarkeit des Entsendestaates; es liegt nach wie vor ein Fall der konkurrierenden Gerichtsbarkeit vor ... Nach dem Ausscheiden des Soldaten aus den Stationierungsstreitkräften, ohne daß gegen ihn ein militärgerichtliches Verfahren durchgeführt worden ist, unterliegt er auch dann der deutschen Gerichtsbarkeit, wenn der Verzicht auf das Vorrecht nicht zurückgenommen worden ist, weil dann keine konkurrierende Gerichtsbarkeit der Stationierungsmacht mehr besteht ... An der Rechtslage hat sich durch die Wiedervereinigung Deutschlands nichts geändert ...
      2. Ein Verfahrenshindernis nach Art.VII Abs.8 NTS liegt ... nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann ein Angeklagter, der in einem Strafverfahren, das nach Art.VII NTS von den Behörden einer Vertragspartei gegen ihn durchgeführt worden ist, freigesprochen oder verurteilt worden ist und der seine Strafe verbüßt oder verbüßt hat oder begnadigt worden ist, nicht wegen derselben Handlung innerhalb desselben Hoheitsgebietes von den Behörden einer anderen Vertragspartei erneut vor Gericht gestellt werden ... Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. ... Mit dem Ausscheiden des Angeklagten aus der US-Army unterliegt dieser nicht mehr dem Militärrecht der USA ... Mit Rücksicht auf das das amerikanische Strafrecht beherrschende Territorialitätsprinzip kann er aber auch nicht, weil die Straftat auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland begangen worden ist, von den ordentlichen (Straf-)Gerichten der USA belangt werden ... Dennoch vermag der Senat der Einstellungsentscheidung des Gerichtsherrn ... nicht die Bedeutung eines Freispruchs im Sinne von Art.VII Abs.8 NTS beizumessen. Durch diese Vorschrift wird der Anwendungsbereich der "ne bis in idem"-Regel dahin erweitert, daß der bundesdeutsche staatliche Strafanspruch auch durch die dort genannten Urteile ausländischer Gerichte verbraucht wird ... Dieser Verbrauch des staatlichen Strafanspruchs wird ... an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, wobei eine dieser Voraussetzungen ... der endgültige - rechtskräftige - Abschluß des Verfahrens ist. ... [D]ie Einstellungsentscheidung des Gerichtsherrn [ist jedoch] nur eine vorläufige Entscheidung gewesen ...
      3. Auch ein Verstoß gegen das Recht des Angeklagten auf alsbaldige und schnelle Verhandlung nach Art.VII Abs.9a NTS begründet kein Verfahrenshindernis. Ein Verstoß gegen das Recht auf alsbaldige und schnelle Verhandlung erscheint vorliegend offensichtlich. ... Die in der Bundesrepublik Deutschland vertretene Ansicht geht davon aus, daß ein Verstoß gegen Art.VII Abs.9a NTS nicht zur Unzulässigkeit des Verfahrens schlechthin führt, vielmehr nur im Rahmen der Strafzumessung zu beachten ist ...