Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


Home | Inhalt | Zurück | Vor

Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1600. STATIONIERUNGSSTREITKRÄFTE

Nr.93/2

Das Betriebsverfassungsgesetz (BGBl.1989 I, 902) ist nicht anzuwenden auf Arbeitsverhältnisse der bei den Streitkräften der Russischen Föderation auf deutschem Gebiet tätigen Zivilbeschäftigten.

The Works Council Constitution Act is not applicable to employment relationships of civilian personnel working in German territory for the armed forces of the Russian Federation.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28.4.1993 (10 AZR 391/92), Arbeitsrechtliche Praxis §113 BetrVG 1972 Nr.24 (ZaöRV 55 [1995], 890f.)

Einleitung:

      Nach Stillegung eines Reparaturbetriebs (Betrieb "M.") durch die Westgruppe der Sowjetischen Streitkräfte wurde dem Kläger, einem deutschen Zivilbeschäftigten, am 23.10.1990 gekündigt. Der Kläger meint, die sowjetischen Streitkräfte hätten vor der Betriebsstillegung mit der 1989 gewählten Betriebsgewerkschaftsleitung wie mit einem Betriebsrat im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes einen Interessenausgleich versuchen müssen. Da dieses nicht geschehen sei, habe er gegen die Bundesrepublik Deutschland einen Anspruch auf Abfindung nach §113 BetrVG, den er vorliegend klageweise geltend macht. Die Klage blieb in allen drei Instanzen erfolglos.

Entscheidungsauszüge:

      Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung zu. Im Zeitpunkt seiner Entlassung fand das Betriebsverfassungsgesetz im Betrieb "M." der sowjetischen Streitkräfte keine Anwendung. ...
      I. Der Kläger hat seine Klage zu Recht gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben. Nach Art.21 Abs.3 des Vertrages vom 12.10.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ... (BGBl.II 1991 S.256ff.) sind für Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis der deutschen Zivilbeschäftigten bei den sowjetischen Truppen die deutschen Gerichte zuständig und hat ein Arbeitnehmer seine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten, die den Rechtsstreit in eigenem Namen für die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken führt. ...
      Der Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland steht nicht entgegen, daß die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zwischenzeitlich als Völkerrechtssubjekt und Partner des Aufenthalts- und Abzugsvertrages weggefallen ist. Zumindest die Russische Föderation ist als Vertragspartner an die Stelle der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken getreten. Die Russische Föderation hat durch eine Note vom 13.1.1992 (BGBl.II 1992 S.1016) der Bundesrepublik Deutschland mitgeteilt, daß sie die Ausübung der Rechte und Erfüllung der Pflichten aus den von der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken geschlossenen völkerrechtlichen Verträge fortführt und in diesem Zusammenhang bittet, anstelle der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken die Russische Föderation als Vertragspartei aller geltenden völkerrechtlichen Verträge anzusehen. Damit ist die Bundesrepublik Deutschland berechtigt, Rechtsstreitigkeiten aus Arbeitsverhältnissen der Zivilbeschäftigten bei den russischen Streitkräften auch jetzt noch im eigenen Namen - zumindest auch - für die Russische Föderation zu führen und der Kläger berechtigt, seine Klage aus seinem Arbeitsverhältnis gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten.
      II. Der Kläger kann seinen Anspruch nicht auf §113 Abs.3 BetrVG stützen. Als der Kläger ... entlassen wurde, fand das Betriebsverfassungsgesetz auf den Betrieb "M." und die hier beschäftigten deutschen Zivilbeschäftigten der sowjetischen Truppen keine Anwendung.
      1. Nach Art.21 Abs.1 des Aufenthalts- und Abzugsvertrages unterliegen die Beschäftigungsverhältnisse zwischen der Verwaltung der sowjetischen Truppen und den Zivilbeschäftigten, wie dem Kläger und den anderen Arbeitnehmern des Betriebes "M." dem deutschen Arbeits-, Arbeitsschutz- und Sozialversicherungsrecht. Aus dieser Vertragsbestimmung folgt jedoch nicht, daß für die Zivilbeschäftigten bei den sowjetischen Truppen auch das Betriebsverfassungsgesetz gilt. ... Der Begriff des Arbeitsrechts in Art.21 Abs.1 des Vertrages umschreibt ... einen engeren Bereich des Rechts der abhängigen Arbeit, der nicht notwendig auch das kollektive Arbeitsrecht und insbesondere das Betriebsverfassungsrecht umfassen muß. ...
      2. ... Das Betriebsverfassungsrecht ist ein Recht der privaten Wirtschaft, zu der Betriebe und Verwaltungen der Streitkräfte nicht gehören. §130 BetrVG nimmt Verwaltungen und Betriebe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts vom Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes aus. In diesen Betrieben und Verwaltungen gilt Personalvertretungsrecht, wie z.B. auch für die bei der Bundeswehr beschäftigten Arbeitnehmer. Gleiches gilt nach Art.56 Abs.9 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut für die Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften des Nordatlantikpaktes, wobei die Beteiligungsrechte der Betriebsvertretung durch das Unterzeichnungsprotokoll zum Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut gegenüber den Beteiligungsrechten der Personalvertretungen weiter eingeschränkt sind. Es wäre daher eine Systemwidrigkeit im deutschen Arbeitnehmervertretungsrecht, wenn für die Zivilbeschäftigten bei den sowjetischen Streitkräften das Betriebsverfassungsrecht, für die Zivilbeschäftigten bei der Bundeswehr und den Streitkräften der Stationierungsstreitkräfte des Nordatlantikpaktes - nur - Personalvertretungsrecht gelten würde, das eine §113 BetrVG vergleichbare Regelung nicht enthält. ... Die Bundesrepublik Deutschland hat vorgetragen, sie habe bei den Vertragsverhandlungen versucht, für die deutschen Zivilbeschäftigten bei den sowjetischen Truppen - wenigstens - den gleichen Status zu erreichen, wie ihn die Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften des Nordatlantikpaktes haben. Das sei politisch nicht durchsetzbar gewesen. Ob das zutrifft, kann dahingestellt bleiben. Ist es angesichts der zur Zeit der Vertragsverhandlungen bestehenden Rechtslage ... schon unwahrscheinlich, daß die Bundesrepublik Deutschland für die Zivilbeschäftigten bei den sowjetischen Truppen das Betriebsverfassungsrecht vereinbaren wollte, so erscheint es auf jeden Fall ausgeschlossen, daß die Sowjetunion dies ohne einen Vorbehalt und ohne jede Einschränkung durch die Vereinbarung von "deutschem Arbeitsrecht" in Art.21 Abs.1 des Vertrages akzeptieren wollte und so den bei ihren Streitkräften beschäftigten Zivilbeschäftigten stärkere Mitbestimmungsrechte einräumen wollte, als sie den Zivilbeschäftigten bei der Bundeswehr oder den Stationierungsstreitkräften des Nordatlantikpakt-Vertrages zustanden.
      In diesem Zusammenhang ist unerheblich, daß nach allgemeiner Meinung §130 BetrVG nur Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des deutschen öffentlichen Rechts vom Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausnimmt, so daß Verwaltungen und Betriebe internationaler und zwischenstaatlicher Organisationen oder fremder Staaten grundsätzlich dem Betriebsverfassungsgesetz unterfallen ... Die Frage, ob daraus für die Zivilbeschäftigten bei den sowjetischen Streitkräften die Anwendbarkeit des Betriebsverfassungsgesetzes folgen würde ..., stellte sich nur dann, wenn das Recht der Zivilbeschäftigten bei den sowjetischen Streitkräften vertraglich nicht geregelt wäre. Art.21 des Aufenthalts- und Abzugsvertrages enthält aber eine solche Regelung, die offensichtlich abschließend gemeint ist. Dieser läßt sich - wie dargelegt - nicht entnehmen, daß in den Betrieben der sowjetischen Streitkräfte für die hier beschäftigten Zivilbeschäftigten das Betriebsverfassungsgesetz Anwendung finden soll.
      3. Dem steht schließlich nicht entgegen, daß in dem Betrieb "M." die Zivilbeschäftigten am 14.11.1990 noch einen Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz gewählt haben, ohne daß dies offenbar von den Streitkräften beanstandet oder angefochten worden ist. Galt im Betrieb "M." im November 1990 das Betriebsverfassungsgesetz nicht, so war die Wahl dieses Betriebsrates nichtig. Einer Anfechtung dieser Wahl durch die Steitkräfte bedurfte es nicht. Wenn eine Reaktion auf diese Wahl - gleich aus welchen Gründen - unterblieben ist, so kann daraus jedenfalls nicht der Wille der Sowjetunion entnommen werden, mit Art.21 Abs.1 des Aufenthalts- und Abzugsvertrages die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes in den Betrieben ihrer Streitkräfte zu vereinbaren.
      4. Die durch Art.21 des Aufenthalts- und Abzugsvertrages geschaffene Rechtslage galt in den Betrieben der sowjetischen Streitkräfte seit dem 3.10.1990. Zwar ist dieser Vertrag erst am 12.10.1990 unterzeichnet, erst mit dem Gesetz vom 21.12.1990 ratifiziert worden und erst mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden am 6.5.1991 in Kraft getreten; nach seinem Art.27 war der Vertrag jedoch seit dem 3.10.1990 vorläufig anzuwenden. Mit dem Inkrafttreten des Vertrages durch den Austausch der Ratifikationsurkunden galt daher dessen Regelung und damit auch Art.21 seit dem 3.10.1990. Da der Vertrag am 12.10.1990 und damit vor der am 23.10.1990 erfolgten Entlassung des Klägers unterzeichnet wurde, liegt darin auch keine möglicherweise unzulässige Rückwirkung der Regelung.
      II. Unerheblich ist, ob auf die Arbeitsverhältnisse der Zivilbeschäftigten bei den sowjetischen Streitkräften bis zum 3.10.1990 das Betriebsverfassungsgesetz Anwendung fand und ob die am 12.4.1989 gewählte Betriebsgewerkschaftsleitung nach demokratischen Grundsätzen gewählt war und daher die Aufgaben und Rechte eines Betriebsrats wahrnehmen konnte. Der Senat geht daher zugunsten des Klägers davon aus.
      Das Akommen zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über Fragen, die mit der zeitweiligen Stationierung sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik zusammenhängen, vom 12.3.1957 (GBl.I S.237) enthält keine ausdrückliche Bestimmung über die Rechtsstellung der bei den sowjetischen Streitkräften tätigen Zivilbeschäftigten. Nach Art.3 des Abkommens verpflichtete sich die Sowjetunion lediglich, das in der Deutschen Demokratischen Republik geltende Recht zu achten und einzuhalten. ... Mit dem Gesetz über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik vom 21.6.1990 (GBl.I S.362) ... wurde auch das Betriebsverfassungsgesetz Bestandteil des Rechts der Deutschen Demokratischen Republik. Ob damit die Sowjetunion aufgrund Art.3 des genannten Abkommens verpflichtet war, auch das Betriebsverfassungsgesetz zu achten und einzuhalten, erscheint zumindest fraglich, kann aber zugunsten des Klägers angenommen werden. War die am 12.4.1989 gewählte Betriebsgewerkschaftsleitung nach demokratischen Grundsätzen gewählt worden ..., dann wären die sowjetischen Streitkräfte nach dem Beschluß von September 1990, den Betrieb "M." stillzulegen, verpflichtet gewesen, mit der bestehenden Betriebsgewerkschaftsleitung einen Interessenausgleich zu versuchen, §112 Abs.2 und 3 BetrVG.
      2. Daß dieser Versuch jedoch unterblieben ist, begründet allein noch keinen Anspruch des Klägers auf eine Abfindung. ... [Dessen] Voraussetzungen müssen zu einer Zeit erfüllt sein, in der das Betriebsverfassungsgesetz im Betrieb - noch - Anwendung findet. Der Kläger ist ... zu einer Zeit entlassen worden, als das Betriebsverfassungsgesetz - wenn es überhaupt je zur Anwendung kam - nach Art.21 des Aufenthalts- und Abzugsvertrages nicht mehr galt. Mit dem Aufenthalts- und Abzugsvertrag wurden die Betriebe der sowjetischen Streitkräfte zumindest von der weiteren Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes auf ihre Zivilbeschäftigten befreit. ... Entfällt mit dem Wegfall des Betriebsverfassungsgesetzes auch der Betriebsrat, können Beteiligungsrechte nicht mehr wahrgenommen werden.