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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1820. EUROPÄISCHES GEMEINSCHAFTSRECHT UND DEUTSCHES RECHT

Nr.88/1

Es verstößt weder gegen Gemeinschaftsrecht noch gegen Art.3 Abs.1 GG, daß der ausländische Ehegatte eines deutschen Staatsangehörigen nach Einleitung des Ehescheidungsverfahrens keine Aufenthaltserlaubnis mehr erhalten kann, während der ausländische Ehegatte eines EG-Ausländers unter diesen Umständen weiterhin aufenthaltsberechtigt ist.

It is contrary to neither Community Law nor Art.3 (1) of the Basic Law that the foreign spouse of a German national can no longer obtain a residence permit after the institution of divorce proceedings while the foreign spouse of a foreign EC national in the same circumstances still has a right of residence.

Oberverwaltungsgericht Koblenz, Beschluß vom 3.2.1988 (13 B 308/87), NJW 1988, 1477 (ZaöRV 50 [1990], 127)

Einleitung:

      Die Antragstellerin, eine Ausländerin aus einem Drittstaat, ist mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Nachdem dieser jedoch ein Scheidungsverfahren eingeleitet hatte, wurde ihre Aufenthaltserlaubnis nicht mehr verlängert. Die Antragstellerin beantragt einstweiligen Rechtsschutz nach §80 Abs.5 VwGO und macht geltend, sie werde gegenüber aus Drittstaaten stammenden Ehepartnern von EG-Ausländern in Deutschland unzulässig benachteiligt. Denn aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung (BVerwG, NJW 1985, 2099) seien diese auch bei Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft mit EG-Ausländern bis zur förmlichen Ehescheidung zu einem weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik berechtigt. Als Ehefrau eines Deutschen könne sie nicht schlechter stehen. Der Senat weist ihr Argument zurück.

Entscheidungsauszüge:

      Die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage stellt sich nicht nur im Ausländerrecht, sondern auch in einer Reihe anderer Sachgebiete, die dadurch gekennzeichnet sind, daß sie teilweise durch bzw. aufgrund Gemeinschaftsrecht, teilweise durch nationales Recht geregelt sind. Sofern dabei das für den EG-Ausländer im EG-Ausland geltende Gemeinschaftsrecht gegenüber dem für den EG-Bürger im eigenen Land geltenden nationalem Recht vorteilhafter ist, hat dieses Phänomen in die Literatur unter dem Stichwort "Inländerdiskriminierung" Einzug gehalten (vgl. z.B. Weis, NJW 1983, 2721ff. und Fastenrath, JZ 1987, 170 ...). Was die hier allein interessierende Frage des Verhältnisses des gemeinschaftlichen zum nationalen Aufenthaltsrecht für Ausländer angeht, ist geklärt, daß das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit, wie es in Art.7 EWGV seinen allgemeinen und in Art.48 EWGV einen speziellen Ausdruck gefunden hat, als Berufungsgrundlage für einen Inländer oder Personen, die - wie die Antragstellerin - infolge rechtlicher Verbundenheit mit ihm aus seinem Status Rechte für sich herleiten wollen, ausscheidet. Wie der EuGH im Fall Morson (NJW 1983, 2751) erkannt hat, können die genannten Bestimmungen nur herangezogen werden, soweit der betreffende Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt. Dies folge nicht nur aus dem Wortlaut der Art.7 und 48 EWGV, sondern auch aus ihrer Zielsetzung, nämlich zur Beseitigung aller Hindernisse für die Errichtung eines gemeinsamen Marktes beizutragen, in dem die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten die Möglichkeiten haben, sich im Hoheitsgebiet dieser Staaten frei zu bewegen und sich wirtschaftlich zu betätigen. Bei Arbeitnehmern, die niemals das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgeübt haben, liege kein Sachverhalt vor, der in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts falle ... Da vorliegend über ein Gebrauchmachen von dem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EG durch den deutschen Ehemann der Antragstellerin nichts vorgetragen und auch ansonsten nichts ersichtlich ist, fehlt es an einem dem Gemeinschaftsrecht unterfallenden Sachverhalt und scheidet nach der genannten Rechtsprechung des EuGH eine Verletzung der Art.7 und 48 EWGV aus.
      Der Senat verneint auch einen Verstoß gegen Art.3 Abs.1 GG. Dabei kann offenbleiben, ob Art.3 GG überhaupt einschlägig ist. Zweifel daran könnten deshalb berechtigt sein, weil es sich bei dem Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (AufenthG/EWG) und dem Ausländergesetz zwar formell um Regelungen desselben Hoheitsträgers handelt ..., das Aufenthaltsgesetz/EWG indes größtenteils lediglich die pflichtgemäße Verbindlichmachung von aufgrund des EWG-Vertrages ergangenen Richtlinien im Inland darstellt, die ihrerseits von einem anderen Hoheitsträger, nämlich der Europäischen Gemeinschaft, stammen. Für Regelungen, die von verschiedenen Hoheitsträgern herrühren, ist aber im Grundsatz durch die Rechtsprechung des BVerfG geklärt, daß sie nicht gegeneinander an Art.3 GG gemessen werden können. Der "Vergleichsbereich" endet mit der Zuständigkeit des einzelnen Hoheitsträgers (vgl. z.B. ... BVerfGE 51, 43 [58 f.] ...). Inwieweit die Beteiligung der einzelnen EG-Mitgliedstaaten - hier der Bundesrepublik Deutschland - am Zustandekommen der Richtlinien geeignet ist, diese Betrachtungsweise wieder zugunsten einer Heranziehung des Art.3 GG zu relativieren, kann ebenfalls dahinstehen. Denn selbst wenn man von einer Anwendbarkeit des Art.3 Abs.1 GG ausgeht, bleibt das Ergebnis dasselbe, weil gegen diese Bestimmung nämlich nicht verstoßen wurde. Dabei ist die vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung zu Art.3 Abs.1 GG entwickelte Auslegung im Sinne eines allgemeinen Willkürverbotes zugrundezulegen ... Art.3 Abs.1 GG ist danach nur verletzt, wenn sich für eine Differenzierung vergleichbarer Sachverhalte keine sachgerechten Gründe finden lassen ... Ob in diesem Sinne ein sachgerechter Grund für die Schlechterstellung eines Inländers bzw. der Personen, die von ihm Rechte herleiten, gegenüber einem EG-Ausländer bzw. den Personen, die von dessen Status profitieren (vgl. §1 AufenthG/EWG) bereits darin liegt, daß der eine Inländer, der andere Ausländer ist ..., kann offen bleiben. Es gibt nämlich darüber hinausgehende Gesichtspunkte, die in jedem Fall eine unterschiedliche Behandlung der Sachverhalte rechtfertigen. Diese fließen aus der Tatsache, daß das AufenthG/EWG mit konstitutiver bzw. deklaratorischer Wirkung in innerstaatliches Recht umgewandeltes Gemeinschaftsrecht (EWG-Vertrag, Verordnungen und Richtlinien) ist. Aufgrund entsprechender nationaler Gesetze oder Verordnungen gilt es mit gleichem Inhalt in allen anderen EG-Staaten und kann dort von Deutschen in Anspruch genommen werden. Verkürzt ausgedrückt kann man deshalb formulieren, daß die Bundesrepublik Deutschland bestimmten Ausländergruppen Privilegien eingeräumt und im Gegenzug dafür eine entsprechende Begünstigung Deutscher in den Heimatländern dieser Ausländer eingehandelt hat. Zu diesem bereits für sich allein für eine Differenzierung ausreichenden Gesichtspunkt kommt die für den Problemkreis "Inländerdiskriminierung" ... allgemein gültige Erkenntnis hinzu, daß die Besserstellung von EG-Bürgern im EG-Ausland gegenüber den Einheimischen geeignet ist, dem ausweislich des Vorspruchs zum EWG-Vertrag angestrebten immer engeren Zusammenschluß der Europäischen Völker und dem ausweislich des Vorspruchs der Einheitlichen Europäischen Akte zu verfolgenden Ziel einer Europäischen Union ... Vorschub zu leisten. Denn es liegt auf der Hand, daß der auch nur zeitweise Austausch von Teilen der Bevölkerung zum gegenseitigen Kennen- und Verstehenlernen beiträgt und so die Voraussetzungen schafft für die letztendlich angestrebte politische Vereinigung. Diese Gesichtspunkte lassen es für den Senat als zulässig erscheinen, EG-Ausländer bis zu einem bestimmten, von Sachgebiet zu Sachgebiet verschiedenen, vorliegend aber eingehaltenen Maß gegenüber Inländern zu privilegieren ...

Hinweis:

      Ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 20.12.1988 (18 A 750/87), InfAuslR1989, 201 (ZaöRV 50 [1990], 127).