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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1820. EUROPÄISCHES GEMEINSCHAFTSRECHT UND DEUTSCHES RECHT

Nr.89/1

[a] Soweit das anwaltliche Berufsrecht Sachverhalte ohne grenzüberschreitenden Bezug regelt, bleibt es von den Art.52 bis 58 EWG-Vertrag (Niederlassungsfreiheit) und Art.59 bis 66 EWG-Vertrag (Dienstleistungsfreiheit) unberührt.

[b] Es verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG), wenn Rechtsanwälte aus anderen EG-Mitgliedstaaten im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs im Inland weiterreichende Befugnisse haben als deutsche Rechtsanwälte.

[a] Insofar as the law regulating the practice of law covers matters with no transfrontier implications it is not affected by Arts 52 to 58 of the EEC Treaty (freedom of establishment) and Arts 59 to 66 of the EEC Treaty (freedom to provide services).

[b] The German attorneys' general right to equality (Art.3 [1] of the Basic Law) is not infringed by the fact that attorneys from other member states of the EC, exercising their freedom to provide services, enjoy more extensive competences in Germany than they do.

Bundesgerichtshof, Beschluß vom 18.9.1989 (AnwZ [B] 24/89), BGHZ 108, 342 (ZaöRV 51 [1991], 218)

Einleitung:

      Der Antragsteller, ein deutscher Rechtsanwalt, begehrte neben der bestehenden Zulassung beim Landgericht Köln erfolglos die Zulassung bei weiteren Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Er berief sich insbesondere auf Bestimmungen des EWG-Vertrages, auf Art.3 Abs.1 GG und auf einzelne Bestimmungen der EMRK.

Entscheidungsauszüge:

      II. ... a) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind die Vertragsbestimmungen über die Niederlassung (Art.52 bis 58 EWG-Vertrag) und den Dienstleistungsverkehr (Art.59 bis 66 EWG-Vertrag) auf rein interne Verhältnisse eines Mitgliedsstaates nicht anwendbar. Eigene Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates können sich nur dann gegenüber ihrem Staat auf diese Vertragsbestimmungen berufen, wenn sie sich gegenüber ihrem Heimatstaat in einer Situation befinden, die derjenigen anderer EG-Inländer vergleichbar ist, weil sie in einem anderen Mitgliedsstaat ansässig waren und dort eine nach Gemeinschaftsrecht anerkannte Qualifikation erworben haben oder in einem anderen Mitgliedsstaat wohnen (EuGH, Urt. vom 7. Februar 1979, Knoors ..., Rs.115/78, Slg.1979, 399 ...). Der Europäische Gerichtshof hat diese Grundsätze aus dem Urteil in der Rechtssache "Knoors" in den Rechtssachen "Auer" (Urt. vom 7. Februar 1979, ... Rs.136/78, Slg.1979, 437 ...), "Broekmeulen" (Urt. vom 6. Oktober 1981, ... Rs.246/80, Slg.1981, 2311 ...), "Klopp" (Urt. vom 12. Juli 1984, ... Rs.107/83, Slg.1984, 2971 ...) und neuerdings in der Rechtssache "Gullung" (Urt. vom 19. Januar 1988, ... Rs.292/86, NJW1989, 658) bestätigt, in der der Gerichtshof auf die Rechtssache "Knoors" Bezug nimmt ... Die Regelung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sowie der Berufszulassung und Berufsausübung für eigene Angehörige überläßt das Gemeinschaftsrecht, soweit es sich - wie hier - um rein interne Verhältnisse handelt, uneingeschränkt den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen ... Die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichthofs zur Dienstleistungsfreiheit der Rechtsanwälte vom 25. Februar 1988 (NJW1988, 887ff.) hat die Rechtslage insoweit nicht geändert. Das Urteil betrifft nicht die Niederlassungsfreiheit, sondern die Freiheit des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs von Rechtsanwälten i.S.d. Art.59 EWG-Vertrages.
      Der Grundsatz, daß die innerstaatliche Rechtsordnung bei rein internen Vorgängen durch die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts nicht verdrängt oder modifiziert wird, gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofs auch dann, wenn die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu einer Benachteiligung des Inländers in seinem Heimatstaat im Vergleich zu Angehörigen anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft führen. Bei rein internen Sachverhalten kann sich der Inländer gegenüber seinem Staat nicht auf das Diskriminierungsverbot des EWG-Vertrages berufen (Urteil vom 28. März 1979, ... Saunders, Rs.175/78, Slg.1979, 1029 ...; Urteil vom 27. Oktober 1982, Morson und Jhanjan ... , Rs.35 und 36/82, Slg.1982, 3723 ...)
      Die durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Februar 1988 (aaO) begründete Begünstigung von Anwälten aus anderen EG-Mitgliedsstaaten führt ... nicht zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung deutscher Anwälte im Sinne des Art.3 Abs.1 GG.
      Der Antragsteller sieht sich dadurch beschwert, daß er nicht wie ein Rechtsanwalt aus einem anderen EG-Mitgliedsstaat unter den vom Europäischen Gerichtshof genannten Voraussetzungen vor deutschen Gerichten auftreten kann, wenn nach deutschem Recht nur bei dem jeweiligen Gericht zugelassene Rechtsanwälte Prozeßvertreter sein können. Die vom Bundesverfassungsgericht bisher nicht enschiedene und im Schrifttum umstrittene Frage ..., ob Art.3 Abs.1 GG auf Fälle anwendbar ist, in denen nationale Vorschriften Inländer gegenüber Ausländern aus anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft, für die Europäisches Gemeinschaftsrecht gilt, benachteiligen, bedurfte hier keiner Entscheidung. Selbst wenn der Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG auf die sogenannte umgekehrte Diskriminierung anwendbar sein sollte, würde hier ein Verstoß gegen Art.3 Abs.1 GG nicht vorliegen. Denn für die Fallgruppen der Rechtsanwälte aus einem anderen EG-Mitgliedsstaat und der in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwälte gelten Unterschiede, die die hier in Rede stehende Regelung rechtfertigen. Im Unterschied zu einem dienstleistenden Rechtsanwalt mit einer Niederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat haben Rechtsanwälte, die in der Bundesrepublik Deutschland niedergelassen sind, das Recht, bei einem und unter besonderen Voraussetzungen auch bei mehreren Gerichten zugelassen zu werden und dort alle zur Vertretung oder Verteidigung von Mandanten notwendigen Tätigkeiten auszuüben. Diese Rechte hat ein dienstleistender Rechtsanwalt, der in einem anderen Mitgliedsstaat niedergelassen ist, nicht. Die vom Europäischen Gerichtshof zugunsten dienstleistender ausländischer Rechtsanwälte festgestellte Regelung erfaßt nur einen relativ kleinen Bereich der deutschen Anwälten eröffneten Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland. Sie erfaßt nur die in §52 Abs.2 BRAO geregelte Fallgestaltung, für die ein Anwaltszwang nach deutschem Recht nicht vorgesehen ist, und sie begünstigt nur die ausländischen Anwälte, die von ihrer Niederlassung in dem anderen Mitgliedsstaat dienstleistend und damit zeitlich begrenzt in der Bundesrepublik tätig werden.
      Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK; BGBl.1952 II, S.685ff.), die die deutschen Gerichte unmittelbar bindet ..., ist ebenfalls nicht einschlägig. Die Konvention enthält keine Gewährleistung der Berufsfreiheit, sondern Art.4 verbietet lediglich bestimmte Formen des Zwangs zur Arbeit ... Die zu Art.10 EMRK ergangenen Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 13. Juli 1983 (NJW 1984, 2751 Nr.3) und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 25. März 1985 (NJW 1985, 2885 Nr.2) enthalten keine Erwägungen zur Berufsfreiheit, sondern nur Ausführungen zu den Voraussetzungen, unter denen das in Art.10 Abs.1 EMRK geregelte Recht auf Meinungsfreiheit gemäß Art.10 Abs.2 EMRK aufgrund nationaler berufsrechtlicher Regelungen eingeschränkt werden darf.

Hinweis:

      Vgl. auch Bundesgerichtshof, Beschluß vom 4.12.1989 (AnwZ [B] 46/89), BGHZ 109, 286 (Leitsatz): "Die Vertragsbestimmungen des EWG-Vertrages über die Niederlassungsfreiheit (Art.52-58) sind auf einen deutschen Rechtsanwalt nicht anwendbar, der ursprünglich als Rechtsanwalt in der DDR zugelassen war und der nach seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt ..."