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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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1823. RECHTSSCHUTZ GEGEN DEUTSCHE MITWIRKUNGSAKTE AN BESCHLÜSSEN VON GEMEINSCHAFTSORGANEN

Nr.89/1

Das Bundesverfassungsgericht darf den Verhandlungsspielraum der Bundesregierung im Rat nicht durch eine einstweilige Anordnung beschränken, wenn sich dadurch die Gefahr erhöht, daß ein mit dem Grundgesetz unvereinbarer Akt des sekundären Gemeinschaftsrechts erlassen wird.

The Federal Constitutional Court may not issue an interim injunc-tion limiting the federal government's freedom to negotiate in the Council, if this increases the likelihood that an act of Community secondary legislation comes into being which is incompatible with the Basic Law.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 11.4.1989 (2 BvG 1/89), BVerfGE 80, 74 (ZaöRV 51 [1991], 216)

Einleitung:

      Die Bundesregierung beschloß am 8.3.1989, dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit im Rat zuzustimmen, falls eine befriedigende Regelung der Programmquoten erreicht werde. Die vorgeschlagene Vereinheitlichung betrifft insbesondere die Anteile an Fernsehproduktionen aus der Gemeinschaft in den Programmen der Fernsehveranstalter (Programmquoten), die Anteile der Produktionen freier Produzenten an den in der Gemeinschaft ausgestrahlten Fernsehprogrammen, die Weiterverwendung von Spielfilmen, die Art und den Inhalt, den Zeitpunkt und die Dauer der Fernsehwerbung, die Zulässigkeit gesponsorter Fernsehprogramme, den Schutz von Kindern und Jugendlichen und ein Recht der Gegendarstellung. Die Bundesländer lehnten den Richtlinienvorschlag ab, weil dieser im EWG-Vertrag keine hinreichende Grundlage finde und überdies in die grundgesetzlich garantierte Kulturhoheit der Länder eingreife. Die Bayerische Staatsregierung beantragte beim Bundesverfassungsgericht festzustellen, daß die Bundesregierung durch den Kabinettsbeschluß vom 8.3.1989 das antragstellende Land in seinen Rechten aus Art.30 GG verletzt habe. Zugleich beantragte sie, der Bundesregierung aufzugeben, den Kabinettsbeschluß einstweilen nicht zu vollziehen.

Entscheidungsauszüge:

      II.1. Das Bundesverfassungsgericht muß im Verfahren nach §32 BVerfGG die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Hauptsacheantrag aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Hauptsacheantrag aber der Erfolg zu versagen wäre ... Bei Würdigung der Umstände, die für oder gegen den Erlaß der einstweiligen Anordnung sprechen, muß die Erwägung, wie die Entscheidung in der Hauptsache lauten würde, grundsätzlich außer Betracht bleiben ...
      2. Die Abwägung führt dazu, daß die beantragte einstweilige Anordnung unterbleiben muß. Hierfür sprechen folgende Erwägungen:
      Ergeht die einstweilige Anordnung, so führt dies nach Auffassung der Bundesregierung, der insoweit ein Einschätzungsspielraum zusteht, dazu, daß sie jede Möglichkeit verliert, den Inhalt der Richtlinie in einem Sinne zu beeinflussen, daß er den Anforderungen entspricht, die nach Auffassung der Bundesregierung im Hinblick auf das bundesstaatliche Prinzip des Grundgesetzes und die sich daraus ergebenden Schranken einer Übertragung von Hoheitsrechten nach Art.24 Abs.1 GG gestellt werden müssen. Damit kann für den Fall, daß sich die Hauptsache später als unbegründet erweist, infolge des Erlasses der einstweiligen Anordnung gerade das eintreten, was auch im Interesse des antragstellenden Landes nach Möglichkeit verhindert werden muß, daß nämlich mit deutschem Verfassungsrecht unvereinbares sekundäres Gemeinschaftsrecht entsteht, das ohne einstweilige Anordnung so nicht entstanden wäre. Der sich daraus ergebende Konflikt zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland ist ein derart schwerwiegender Nachteil, daß schon aus diesem Grunde die begehrte einstweilige Anordnung unterbleiben muß. Das Bundesverfassungsgericht darf nicht die Hand dazu reichen, daß aufgrund seines Einschreitens ein Verfassungskonflikt entsteht, der anderenfalls vermieden worden wäre.
      Wird die einstweilige Anordnung nicht erlassen und erweist sich die Hauptsache späterhin als begründet, so wiegen die damit verbundenen Nachteile weniger schwer. In diesem Falle hat zwar die Bundesregierung eine verfassungsrechtliche Position der Antragstellerin verletzt und sich am Zustandekommen von sekundärem Gemeinschaftsrecht beteiligt, an das die Antragstellerin bei der Ausübung einer ihr verfassungsrechtlich zustehenden Kompetenz teilweise und vorläufig gebunden wäre. Nach Auffassung der Bundesregierung würden jedoch Inhalt und Ausmaß dieser Bindung in einer die Zuständigkeit der Länder schonenderen Weise gestaltet werden können, wenn die Bundesregierung ihren integrationspolitischen Handlungsspielraum ohne die einstweilige Anordnung situationsgerecht in den Beratungen nutzen kann. Nach dem Vortrag der Bundesregierung hängt es von ihrer grundsätzlichen Bereitschaft, die Richtlinie mitzutragen, ab, ob der Hörfunk von der Richtlinie ausgenommen bleibt, der Tatbestand der "europäischen Werke" auch auf Werke aus der DDR und aus anderen mittel- und osteuropäischen Staaten erstreckt wird, der Quotenregelung keine Rechtsverbindlichkeit und keine Justitiabilität zukommen wird und in der Präambel eine Aussage über die schrittweise Entwicklung einer umfassenden europäischen Medienordnung unterbleibt. Im übrigen ist sich die Bundesregierung der verfassungsrechtlichen Bedeutung bewußt, die Regelungen der Richtlinie über Fernsehwerbung und Sponsoring für die Ausübung der Gesetzgebungskompetenz der Länder im Bereich des Rundfunkwesens haben.
      Der von der Antragstellerin befürchteten Präzedenzwirkung des Verhaltens der Bundesregierung insbesondere auch für den Fall, daß sich die Bundesregierung mit ihren Vorstellungen im Rat nicht durchsetzen kann und damit überstimmt wird, läßt sich, sollte der Rechtsstandpunkt der Antragstellerin insoweit begründet sein, durch die Entscheidung in der Hauptsache in ausreichender Weise begegnen.

Hinweis:

      Mit Urteil vom 22.3.1995 hat das Bundesverfassungsgericht die Hauptsacheentscheidung getroffen (EuGRZ 1995, 125).