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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1841. FREIER WARENVERKEHR

Nr.93/2

Da das in §6e UWG enthaltene Verbot der Werbung mit Preisgegenüberstellungen keine Regelung des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten bezweckt, sondern für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, in gleicher Weise gilt, fällt es nach der Keck-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht in den Anwendungsbereich des Art.30 EWG-Vertrag.

As the prohibition of price comparisons in advertisement under §6 (e) of the Unfair Competition Act is not intended to regulate the movement of goods among member states but applies equally to all affected economic actors in Germany, it is not covered by Art.30 of the EEC Treaty, pursuant to the Keck decision of the European Court of Justice.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 30.12.1993 (2 U 180/93), NJW 1994, 741ff. (ZaöRV 55 [1995], 877)

Einleitung:

      Die Antragsgegnerin, ein überregional tätiges Einzelhandelsunternehmen, hatte in Tageszeitungen eine Werbeanzeige abdrucken lassen, in der blickfangmäßig der jetzige Preis verschiedener Produkte dem höheren früheren Preis gegenübergestellt wurde. Dagegen beantragte ein Verein zur Förderung gewerblicher Interessen eine einstweilige Verfügung wegen Verstosses gegen §6e UWG.

Entscheidungsauszüge:

      Daß die beanstandete Anzeige eine nach §6e Abs.1 UWG verbotene Preisgegenüberstellung enthält und daß sich die Antragsgegnerin nicht auf Art.30 EWGV berufen kann, weil es an einem Anhalt für Beeinträchtigungen des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union fehlt, hat das Landgericht mit zutreffender Begründung ... ausgeführt.
      Ohne Erfolg macht die Antragsgegnerin geltend, die (weitere) Anwendung des §6e UWG gegenüber Inlandssachverhalten verstoße gegen Art.3 Abs.1 GG, weil sich eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht feststellen läßt. Ob Art.3 Abs.1 GG auf Fälle anwendbar ist, in denen nationale Vorschriften inländische Gewerbetreibende gegenüber solchen Gewerbetreibenden, für die europäisches Gemeinschaftsrecht gilt, benachteiligt, ist ... umstritten. Mit dem Landgericht neigt der Senat zu der Annahme, daß der Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG auf die sogenannte umgekehrte oder Inländer-Diskriminierung grundsätzlich anwendbar ist. Entgegen der u.a. vom OLG Hamm (GRUR Int.1992, 834) vertretenen Ansicht geht es nämlich formal gesehen nicht um eine Ungleichbehandlung durch verschiedene Hoheitsträger, sondern darum, ob der deutsche Gesetzgeber einen Teil der Gewerbetreibenden unterschiedlich behandeln darf, weil er aus Gründen des europäischen Rechts den anderen Teil (mit Auslandsberührung) günstiger stellen muß ...
      Im Hinblick auf die Anwendung des §6e UWG läßt sich aufgrund der jüngsten Rechtsprechung des EuGH jedoch zur Überzeugung des Senats eine benachteiligende Ungleichbehandlung von inländischen Gewerbetreibenden mit EU-Auslandsberührung nicht (mehr) feststellen. Während der EuGH nämlich bisher in ständiger Rechtsprechung die - auch dem Urteil vom 18.5.1993 (NJW 1993, 3187 ... Yves Rocher) zugrundeliegende - Auffassung vertreten hat, Hemmnisse für den freien Warenverkehr, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften daraus ergäben, daß Waren aus anderen Mitgliedstaaten, die dort rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden seien, bestimmten Vorschriften entsprechen müßten, selbst dann, wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gälten, stellten nach Art.30 EWGV verbotene Maßnahmen gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung dar, sofern sich die Anwendung dieser Vorschriften nicht durch einen Zweck rechtfertigen lasse, der im allgemeinen Interesse liege und den Erfordernissen des freien Warenverkehrs vorgehe, hat er in seinem Urteil vom 24.11.1993 (EuZW 1993, 770 ... - Keck) ausdrücklich eine Änderung seiner Rechtsprechung zu Art.30 EWGV vollzogen.
      Diese ... Ausführungen, lassen nur den Schluß zu, daß der nationale Gesetzgeber nach nunmehriger Auffassung des EuGH durch Art.30 EWGV nicht (mehr) gehindert ist, Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, also auch Wettbewerbsregelungen, die z.B. den Weiterverkauf zum Verlustpreis oder auch eine bestimmte (Preis-)Werbung allgemein verbieten, in seinem Hoheitsbereich aufzustellen, sofern sie nur für sämtliche Wirtschaftsteilnehmer in gleicher Weise Geltung verlangen. Der Anwendungsbereich des Art.30 EWGV ist damit offenbar auf nationale Vorschriften beschränkt, die eine Regelung des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten bezwecken, also den Absatz der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in anderer Weise berühren als den Absatz der inländischen Erzeugnisse.
      Da §6e UWG keine Regelung des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten bezweckt, sondern für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, in gleicher Weise gilt, werden sich auch Gewerbetreibende, die Waren aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union beziehen, bei einer Werbung mit Preisgegenüberstellungen, die die Voraussetzung des §6e Abs.1 UWG erfüllt, jedenfalls zukünftig nicht (mehr) - wie z.B. in dem zuletzt vom BGH ... (DB 1993, 2480 ... Yves Rocher II) entschiedenen Fall - auf Art.30 EWGV berufen können. Diese Feststellung kann der Senat treffen, ohne daran durch die Entscheidung des EuGH vom 18.5.1993 (NJW 1993, 3187 ... Yves Rocher) gehindert zu sein, denn er ist gehalten, das Auslegungsurteil vom 24.11.1993 (EuZW 1993, 770 ... - Keck) zu beachten. Grundsätzlich sind die nationalen Gerichte an die Auslegungsurteile des EuGH gebunden, und zwar nicht nur die vorlegenden Gerichte im Ausgangsverfahren ... Da der EuGH selbst an seine frühere Auslegung nicht gebunden ist ..., sind auch die nationalen Gerichte selbstverständlich nicht verpflichtet, eine frühere, inzwischen aufgegebene Vertragsauslegung durch den EuGH zu beachten; sie sind vielmehr gehalten, das Gemeinschaftsrecht in der vom EuGH nunmehr gegebenen Auslegung anzuwenden oder aber erneut vorzulegen, etwa wenn Zweifel über die Tragweite und den Umfang einer geänderten Auslegungsrechtsprechung bestehen ... Da das Urteil des EuGH vom 24.11.1993 (... Keck) nach seinem Wortlaut eine Aufgabe der früher für richtig gehaltenen Auslegung des Art.30 EWGV bedeutet und es nicht angebracht ist, etwa verbleibenden Zweifeln hinsichtlich der Fortgeltung der in der Yves-Rocher-Entscheidung des EuGH vom 18.5.1993 ... aufgestellten Grundsätze im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung im Wege einer Vorlage nach Art.177 Abs.3 EWGV nachzugehen ..., ist jedenfalls im Eilverfahren von der Annahme auszugehen, daß auch §6e UWG eine nationale Regelung darstellt, die dem Anwendungsbereich des Art.30 EWGV nicht unterfällt.
      Betrifft damit aber das Verbot des §6e Abs.1 UWG alle Gewerbetreibenden in gleicher Weise, kann eine gegen Art.3 Abs.1 GG verstoßende Ungleichbehandlung zum Nachteil inländischer Gewerbetreibender ebenfalls nicht festgestellt werden.

Hinweis:

      Siehe hierzu auch Urteil des Senats vom selben Tage in dem ebenfalls die Beklagte betreffenden Rechtsstreit I ZR 210/91 (BB 1994, 378) sowie das Schreiben des zuständigen Generaldirektors der Kommission an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union vom März 1995, EuZW 1995, 368.