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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1842.5. VERORDNUNG (EWG) NR.1612/68

Art.11

Nr.92/1

Art.48 EWG-Vertrag und Art.11 der Verordnung Nr.1612/68 sind auf rein interne Sachverhalte nicht anwendbar. Daher kann die aus einem Drittstaat stammende Ehegattin eines Deutschen, der stets im Inland gelebt und gearbeitet hat, keine Rechte aus Art.11 der Verordnung Nr.1612/68 herleiten.

Art.48 of the EEC Treaty and Art.11 of Regulation No.1612/68 do not apply to purely internal factual situations. Thus, a non-EC citizen who has always lived and worked in Germany and is married to a German man cannot claim rights pursuant to Art.11 of Regulation No.1612/68.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.4.1992 (2 C 6.90), BVerwGE 90, 147 (ZaöRV 54 [1994], 539)

Einleitung:

      Die Klägerin begehrt Unterhaltsgeld in Höhe der Anwärterbezüge für Rechtsreferendare. Als tschechoslowakische Staatsangehörige, die bei ihrem deutschen Ehemann im Bundesgebiet lebt, ist sie nach Ablegung des ersten juristischen Staatsexamens vom beklagten Land in ein Ausbildungsverhältnis für den höheren Justizdienst aufgenommen worden. Das Land gewährte ihr als "freiwillige Leistung" ein Unterhaltsgeld, das niedriger lag als die Anwärterbezüge, weil sie nicht die Staatsangehörigkeit eines EG-Mitgliedstaats habe. Ihre Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Entscheidungsauszüge:

      II. ... 3. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch läßt sich ... nicht aus Art.48 des EWG-Vertrages (EWGV) in Verbindung mit der Präambel sowie Art.10 und 11 der VO (EWG) Nr.1612/68 ... herleiten. Diese Vorschriften haben zwar unmittelbare Wirkungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten und verleihen dem einzelnen Rechte, welche die innerstaatlichen Gerichte zu wahren haben (... EuGH ..., Slg.1974, 1337 ... Slg.1976, 1333). Sie überlagern auf der Grundlage des Art.24 Abs.1 GG entgegenstehendes innerstaatliches Recht und verdrängen dieses (vgl. BVerfGE 31, 145 [173 ff.]; 37, 271 [277 f.]). Die Anwendbarkeit der VO Nr.1612/68 ... würde, sie sich aus der Präambel ergibt, auch die Beseitigung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten in bezug auf Entlohnung bedeuten und einen Rechtsanspruch auf gleichen Lohn begründen.
      Der Europäische Gerichtshof hat ... (EuGRZ 1986, 558) entschieden, daß ein Studienreferendar Arbeitnehmer nach Art.48 EWGV ist. In diesem Urteil ist ausgeführt, daß der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne des Art.48 EWGV nicht nach jeweiligem nationalen Recht unterschiedlich ausgelegt werden könne, sondern daß er eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung habe; da der gemeinschaftsrechtliche Begriff des Arbeitnehmers gleichzeitig den Anwendungsbereich der Grundfreiheit der Freizügigkeit festlege, sei er weit auszulegen. In diesem Sinne hat der Europäische Gerichtshof die Besonderheiten des Beschäftigungsverhältnisses eines Studienreferendars, wie Ausbildungszweck, geringe Anzahl der Wochenstunden, öffentlich-rechtlicher Status und geringe Vergütung als unbeachtlich angesehen. Unbeschadet der hier nicht zu entscheidenden Frage, ob gemessen an den in diesem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aufgestellten Kriterien der juristische Vorbereitungsdienst - anders als der Vorbereitungsdienst eines Studienreferendars - im Sinne von Art.48 Abs.4 EWGV als "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" zu qualifizieren wäre, sind jedoch die weiteren Voraussetzungen von Art.11 VO Nr.1612/68 nicht erfüllt.
      Art.11 VO Nr.1612/68 erfaßt nach seinem Inhalt und dem Zusammenhang, in dem er steht, nur den Fall, daß der Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates mit seinem Ehegatten, der nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates besitzt, in einem anderen Mitgliedsstaat einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Art.1 und 11 VO Nr.1612/68 gehören in Verbindung mit Art.48 EWGV zu den Vorschriften, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer regeln. Die Freizügigkeit umfaßt u.a. das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, um dort eine Beschäftigung auszuüben, wobei jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen abzuschaffen ist. Die Freizügigkeit bedeutet demnach das Recht, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates einzureisen und dort eine Beschäftigung nach den dortigen rechtlichen Bedingungen aufzunehmen. Für diesen Fall gibt Art.11 VO Nr.1612/68 auch dem Ehegatten aus einem Drittstaat die dort genannten Rechte. Diese Rechte sind indes keine originären, sondern abgeleitete Rechte. Die Rechte des Ehegatten knüpfen an die Rechte an, die der EG-Angehörige seinerseits nach Art.48 EWGV und nach Art.1 ff. der VO Nr.1612/68 hat. Im Wortlaut des Art.1 VO Nr.1612/68 kommt dies durch die Formulierung "im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates" zum Ausdruck. Der EWGV verbietet daher nicht die Schlechterstellung der eigenen Staatsangehörigen (vgl. EuGH, ... Slg.1979, 399 ... Slg.1979, 437 ... Slg.1981, 2311). Die Bestimmungen des EWGV über die Freizügigkeit, insbesondere Art.48, sind demnach nicht auf Sachverhalte anwendbar, die einen Mitgliedsstaat rein intern betreffen, wie etwa auf den Fall des Angehörigen eines Mitgliedsstaates, der niemals in einem (anderen) Mitgliedsstaat gewohnt oder gearbeitet hat; ein solcher Staatsangehöriger kann sich nicht auf Art.48 berufen, um sich der Anwendung der Rechtsvorschriften seines eigenen Landes zu widersetzen (EuGH, ... EuGRZ 1984, 318 ... NVwZ 1992, 358). Die ... teilweise vertretene Auffassung, Art.11 VO Nr.1612/68 sei auch auf in der Bundesrepublik berufstätige Deutsche, deren Ehegatten keinem EG-Land angehören, anwendbar ..., übersieht, daß Art.11 VO Nr.1612/68 Bestandteil einer Regelung ist, die, soweit die Freizügigkeit nach Art.48 EWGV gilt, eine Diskriminierung von Staatsangehörigen anderer Mitgliedsstaaten beseitigen will. Art.11 VO Nr.1612/68 beinhaltet keinen über Art.48 EWGV hinausgehenden Anwendungsbereich.
      Daraus folgt auch, daß eine analoge Anwendung von Art.11 VO Nr.1612/68 auf den hier vorliegenden Streitfall nicht möglich ist. Da Art.48 EWGV selbst nicht auf Sachverhalte anwendbar ist, die einen Mitgliedsstaat rein intern betreffen, wie den Fall des Ehegatten eines EG-Angehörigen, der niemals in einem anderen Mitgliedsstaat gewohnt oder gearbeitet hat ..., kann auch die zur [Sicherung der] Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft erlassene VO Nr.1612/68 nur Sachverhalte erfassen, die dem sachlichen Geltungsbereich des Art.48 EWGV unterfallen. Eine Regelungslücke, die unter Berücksichtigung von Art.3 Abs.1 GG zu schließen wäre, liegt demnach nicht vor.
      Im Hinblick auf diese der zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entsprechende Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Regelung von Art.11 VO Nr.1612/68 in seinem Zusammenhang mit Art.48 EWGV ist ihr Inhalt derart offenkundig, daß die Notwendigkeit der Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gemäß Art.177 Abs.3 EWGV zu verneinen ist (zur Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof vgl. [Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts], NJW 1992, 678).

Hinweis:

      Vgl. auch die Parallelentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Trennungsentschädigung (Urteil vom 17.12.1992 - 10 C 6.91 - DVBl.1993, 560).