Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


Home | Inhalt | Zurück | Vor

Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1842.5. VERORDNUNG (EWG) NR.1612/68

Art.12

Nr.88/1

Studienbewerber aus anderen EG-Staaten haben den gleichen Anspruch auf Zulassung zu einem berufsqualifizierenden Studium ihrer Wahl wie deutsche Studienbewerber. Ihnen steht daher auch ein Anspruch auf gerichtliche Kapazitätsüberprüfung zu.

Applicants from other EC member states who seek to be granted a student slot at a university have the same right to obtain admission to a course of study leading to a professional qualification as German applicants. They thus also have the right to judicial review of available student capacity.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluß vom 2.3.1988 (9 S 2330/87), BWVP 1988, 279 (ZaöRV 50 [1990], 124)

Einleitung:

      Der Antragsteller, dessen Vater bis zu seinem Ableben in der Bundesrepublik als Arbeitnehmer tätig war, ist niederländischer Staatsangehöriger. Er begehrt eine Zulassung zum Medizinstudium. Das Verwaltungsgericht hatte die Auffassung vertreten, ihm stehe als ausländischem Studienbewerber in zulassungsbeschränkten Studiengängen nur ein Anspruch auf Zulassung zum Studium im Rahmen der Ausländerquote innerhalb der normierten Zulassungszahl zu. Dem tritt der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entgegen.

Entscheidungsauszüge:

      Nach Art.7 des EWG-Vertrages ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Für den Bereich der Berufsausbildung schreibt Art.128 des EWG-Vertrages vor, daß der Rat allgemeine Grundsätze zur Durchführung einer gemeinsamen Politik aufstellt, die zu einer harmonischen Entwicklung sowohl der einzelnen Volkswirtschaften als auch des Gemeinsamen Marktes beitragen kann. In diesem Zusammenhang hat der EuGH mit Urteil vom 13.2.1985 [Gravier] entschieden, daß die Voraussetzungen für den Zugang zur Berufsausbildung in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrages fallen und daß "jede Form der Ausbildung, die auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet oder die die besondere Befähigung zur Ausübung eines solchen Berufes oder einer solchen Beschäftigung verleiht, zur Berufsausbildung gehört, und zwar unabhängig vom Alter und vom Ausbildungsniveau der Schüler oder Studenten...". Ferner gewährleistet Art.12 der EWG-Verordnung Nr.1612/68, der gem. Art.189 Abs.2 des EWG-Vertrages in jedem Mitgliedstaat unmittelbar gilt, den Kindern eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates einer Erwerbstätigkeit nachgeht, die Teilnahme am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift werden vom Antragsteller erfüllt ... [D]a das Studium der Medizin einen berufsqualifizierenden Abschluß vermitteln soll, gehört es auch zur Berufsausbildung im Sinne dieser Vorschrift und der Rechtsprechung des EuGH.
      Der Antragsteller dürfte daher aus §27 Abs.1 und 3 HRG i.V.m. den genannten EG-rechtlichen Vorschriften einen Anspruch auf Zulassung zu dem von ihm gewählten Medizinstudium haben. Aus diesem einfach-gesetzlichen Anspruch dürfte ihm auch ein einfach-gesetzlicher Anspruch auf Kapazitätsüberprüfung erwachsen. Denn die Hochschulen sind nicht nur verfassungsrechtlich durch Art.12 Abs.1 GG, sondern gemäß §29 Abs.2 HRG auch einfachgesetzlich verpflichtet, die Zulassungszahlen in den sogenannten harten NC-Fächern nicht niedriger anzusetzen, als dies unter Berücksichtigung der personellen, räumlichen, sachlichen und fachspezifischen Gegebenheiten zur Aufrechterhaltung einer geordneten Wahrnehmung der Aufgaben der Hochschule in Forschung, Lehre und Studium unbedingt erforderlich ist. Eine danach zu niedrig festgesetzte Zulassungszahl verletzt daher den Antragsteller - als einen einem Deutschen gleichgestellten Ausländer - in seinem Recht auf Zulassung zum Studium seiner Wahl. Daß ihm diese Rechtsposition nicht von Verfassungs wegen zusteht, weil das Teilhaberecht aus Art.12 Abs.1 GG nur Deutschen einen Anspruch auf erschöpfende Nutzung vorhandener Ausbildungskapazitäten verbürgt ..., ist unerheblich.

Hinweis:

      Ebenso Hessischer VGH, Beschluß vom 18.4.1988 (V/V G 2424/86 T), NVwZ 1989, 387 (ZaöRV50 [1990], 124).