Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


Home | Inhalt | Zurück | Vor

Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1842.60. ASSOZIIERUNGSABKOMMEN MIT DER TÜRKEI

Nr.91/1

Art.6 und Art.7 des Beschlusses Nr.1/80 des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffenen Assoziationsrates vermitteln türkischen Staatsangehörigen kein originäres assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht.

Art.6 and 7 of Decision No.1/80 of the Association Council set up by the Agreement establishing an Association between the EEC and Turkey do not grant to Turkish nationals an original right of residence based on the legal order of the Association.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 6.5.1991 (1 S 2084/90), BWVP 1991, 210 (ZaöRV 53 [1993], 431)

Einleitung:

      Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wehrt sich unter Berufung auf Art.6 und Art.7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 gegen die Nichtverlängerung seiner befristeten Aufenthaltserlaubnis. Er hatte sich mehr als fünf Jahre ordnungsgemäß im Bundesgebiet aufgehalten und war dort auch mehr als vier Jahre ordnungsgemäß beschäftigt gewesen.

Entscheidungsauszüge:

      Dem Kläger steht ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ... auch nicht aus den Vorschriften des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 13.9.1963 - Abkommen - und des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen vom 23.11.1970 zu. Die die Freizügigkeit betreffenden Regelungen des Assoziationsabkommens (Art.12) und des Zusatzprotokolls (Art.36) sind nämlich als Programmsätze innerstaatlich nicht unmittelbar anwendbar, weil sie Inhalt und Umfang des Freizügigkeitsrechts nicht hinreichend bestimmen (EuGH, Urteil vom 30.9.1987, NVwZ 1988, S.325 ...). Auch aus dem Assoziationsratsbeschluß Nr.1/80 kann der Kläger einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht herleiten, weil dieser Beschluß türkischen Staatsangehörigen kein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland vermittelt.
      Zwar hatte der Kläger nach den Vorschriften des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrates im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung des Landratsamtes ... freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Dies gilt unabhängig davon, ob in seinem Fall Art.6 oder die Familienangehörige türkischer Arbeitnehmer betreffende Bestimmung in Art.7 des Beschlusses Nr.1/80 Anwendung findet, denn der Kläger kann sowohl eine vierjährige ordnungsgemäße Beschäftigung (Art.6 Abs.1, 3. Halbs.) als auch einen ordnungsgemäßen fünfjährigen Aufenthalt (Art.7 S.1, 2. Halbs.) im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung aufweisen. Dementsprechend war er auch im Besitz einer besonderen Arbeitserlaubnis (§2 Arbeitserlaubnisverordnung).
      Aus dieser arbeitsrechtlichen Privilegierung, die der Kläger nach den Bestimmungen des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 genießt, läßt sich aber ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet nicht ableiten. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, daß Art.6 und Art.7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 türkischen Staatsangehörigen kein Aufenthaltsrecht vermitteln ... Sie knüpfen an die aufenthaltsrechtliche Rechtstellung an, die der Arbeitnehmer nach der Rechtsordnung des jeweiligen Mitgliedsstaates besitzt, regeln diese aber nicht selbst und sichern demnach die Rechte auf dem Arbeitsmarkt nicht durch ein grundsätzliches assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht ab. Auch der Senat ist der Auffassung, daß der Assoziationsratsbeschluß Nr.1/80 lediglich einen Schritt zur Schaffung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellt, diese aber noch nicht endgültig herbeiführt. Die sich aus dem Fehlen eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts ergebende Unvollkommenheit der Rechtslage entspricht danach dem gegenwärtigen, in der Entwicklung befindlichen Zustand der Assoziation und zwingt nicht zu einer das Aufenthaltsrecht einschließenden Auslegung ...
      Das Urteil des EuGH vom 20.9.1990 (InfAuslR 1991, 2), auf das sich der Kläger beruft, gibt dem Senat keinen Anlaß, seine Auffassung zur Auslegung des Assoziationsrechts zu ändern. Zwar kommt der EuGH in dieser Entscheidung zu dem Ergebnis, daß die beurteilten Bestimmungen, insbesondere Art.6 Abs.1 des Beschlusses Nr.1/80, in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft unmittelbare Wirkung haben ... Auch der EuGH betont aber in diesem Urteil, daß Art.6 Abs.1 des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrats vom 19.8.1980 lediglich die beschäftigungsrechtliche, nicht jedoch die aufenthaltsrechtliche Stellung der türkischen Arbeitnehmer regelt. An diese Feststellung knüpft das Gericht allerdings die Erwägung, daß die beschäftigungsrechtlichen Bestimmungen, die den Arbeitnehmern nach einem bestimmten Zeitraum Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren, ein Aufenthaltsrecht "implizieren", weil andernfalls das Recht auf Beschäftigung wirkungslos wäre. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. Rittstieg, InfAuslR 1991, S.1; ... Huber, NVwZ 1991, S.242) leitet der EuGH damit aus den erwähnten Regelungen des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrats kein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht zur Sicherung des Rechts auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt her. Die eher beiläufig geäußerte und die Entscheidung nicht tragende Erwägung rechtfertigt nicht die Annahme, der EuGH entnehme den erwähnten arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 ein originäres Aufenthaltsrecht, das die Bestimmungen des nationalen Ausländergesetzes in zentralen Bereichen suspendiere und überlagere (so aber Huber, a.a.O.). Vielmehr hat der EuGH nach Auffassung des Senats mit dieser Entscheidung die grundsätzliche Trennung zwischen dem nach nationalem Ausländerrecht zu beurteilenden Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und den arbeitsrechtlichen Privilegierungen in den erwähnten Vorschriften des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 nicht in Frage gestellt, sondern erneut ausdrücklich betont. Der Senat sieht deshalb keine Veranlassung, gemäß Art.177 Abs.2 EWG-Vertrag eine Vorabentscheidung des EuGH zu der Frage einzuholen, ob die erwähnten Bestimmungen des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 ein Aufenthaltsrecht beinhalten ...

Hinweis:

      Nachdem der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 16.12.1992 (Rs.C-237/91 - Kus, Slg.1992, I-6781) ausdrücklich bestätigt hatte, daß die beschäftigungsrechtlichen Positionen von Türken aus dem Assoziationsratsbeschluß Nr.1/80 aufenthaltsrechtliche Positionen zwangsläufig implizieren, erklärten die Parteien des vorstehenden Verfahrens im anhängigen Revisionsverfahren die Hauptsache übereinstimmend für erledigt. Das Bundesverwaltungsgericht stellte daraufhin im Beschluß vom 14.4.1993 (1 C 14.92, InfAuslR 1993, 258) die Unwirksamkeit des vorstehend wiedergegebenen Urteils fest (§173 VwGO in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung des §269 Abs.3 Satz 1 ZPO). Die Verfahrenskosten erlegte das Bundesverwaltungsgericht dem Beklagten auf, weil die Revision des Klägers voraussichtlich Erfolg gehabt hätte (§§161 Abs.2, 154 Abs.1 VwGO).
      Vgl. jetzt VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.4.1993 (11 S 2124/92), InfAuslR 1993, 362, wonach im Anschluß u.a. an die Kus-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs türkische Staatsangehörige aus Art.6 Abs.1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 ein supranationales, dem deutschen Ausländerrecht vorgehendes Aufenthaltsrecht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit ableiten können.