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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1846. ALLGEMEINES VERBOT DER DISKRIMINIERUNG AUS GRÜNDEN DER STAATSANGEHÖRIGKEIT

Nr.92/1

Kraft Art.7 Abs.1 EWG-Vertrag darf EG-ausländischen Klägern die Leistung einer Prozeßkostensicherheit nicht auferlegt werden, wenn der Klagegegenstand im Anwendungsbereich des EWG-Vertrags liegt.

By virtue of Art.7 (1) of the EEC Treaty, plaintiffs from other member states must not be required to furnish security for costs if the subject-matter of their claim is within the scope of the EEC Treaty.

Oberlandesgericht München, Beschluß vom 17.11.1992 (7 W 2406/92), EuZW 1993, 199 (ZaöRV 54 [1994], 536)

Einleitung:

      Gemäß §110 Abs.1 ZPO haben ausländische Kläger dem Beklagten auf sein Verlangen wegen der Prozeßkosten Sicherheit zu leisten. Im vorliegenden Rechtsstreit hatte das Landgericht nach dieser Vorschrift einer klagenden Handelsgesellschaft mit Sitz in Großbritannien eine Sicherheitsleistung auferlegt. Auf die Beschwerde der Klägerin hob das Oberlandesgericht hob den Beschluß auf.

Entscheidungsauszüge:

      Das Landgericht hat zu Unrecht angenommen, daß die Klägerin gem. §110 ZPO zur Leistung einer Ausländersicherheit verpflichtet sei. §110 ZPO ist hier nicht anwendbar. Er wird durch europäisches Gemeinschaftsrecht verdrängt.
      Gem. Art.7 Abs.1 EWGV ist im Anwendungsbereich dieses Vertrags jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Dieses Verbot steht hier der Anordnung einer Ausländersicherheit zu Lasten einer Partei britischer Staatszugehörigkeit mit Sitz im Gemeinschaftsgebiet (Art.227 Abs.1 EWGV) entgegen.
      Art.7 Abs.1 EWGV ist in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft unmittelbar anwendbares Recht; die Vorschrift bedarf für die Anwendung auf Rechtsverhältnisse des einzelnen Marktbürgers keiner Ausführungsbestimmungen. Daran ändert nichts, daß Art.7 Abs.2 EWGV den Rat der Europäischen Gemeinschaften zu Regelungen für das Verbot solcher Diskriminierungen ermächtigt. Diese Ermächtigung soll das in Abs.1 enthaltene Verbot lediglich verstärken, nicht aber in seiner unmittelbaren Anwendbarkeit einschränken ...
      Das Gemeinschaftsrecht hat Vorrang vor entgegenstehenden Gesetzen der Mitgliedstaaten (EuUGH, Slg.1964, 1251 ...; EuGH, Slg.1978, 629 ...). Diesen Vorrang hat das jeweils zur Entscheidung berufene Gericht ohne weiteres zu beachten; es darf das entgegenstehende Gesetzesrecht nicht anwenden ... Dementsprechend müssen deutsche Gerichte eine innerstaatliche Gesetzesnorm insoweit außer Anwendung lassen, als sie mit einer vorrangigen Bestimmung des europäischen Gemeinschaftsrechts unvereinbar ist. Das Gericht vollzieht damit lediglich diejenige auf den Einzelfall bezogene Korrektur des innerstaatlichen Rechts, die erforderlich ist, um der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts für den einzelnen Bürger und dem Vorrang dieser Norm vor entgegenstehendem nationalen Recht Geltung zu verschaffen ... Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem innerstaatlichen Recht folgt in der Bundesrepublik Deutschland aus Art.24 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsanwendungsbefehl des Vertragsgesetzes zum EWG-Vertrag (BVerfGE 73, 339 ...). Art.7 Abs.1 EWGV steht hier der vom Landgericht getroffenen Anordnung zur Leistung einer Ausländersicherheit entgegen ...
      Die Parteien gehören verschiedenen Mitgliedstaaten der EWG an. Dabei ist es unerheblich, daß sie keine natürlichen Personen sind. Auch die Staatszugehörigkeit juristischer Personen ist von dem im EWG-Vertrag verwendeten Begriff der Staatsangehörigkeit umfaßt. Dies ist im Hinblick auf andere Sprachfassungen des Vertrags (z.B. "nationality") einhellige Auffassung.
      Unerheblich ist auch, ob zwischen den beiden Heimatstaaten bezüglich der Ausländersicherheit eine staatsvertragliche Sonderregelung getroffen wurde. Auch eine solche Regelung würde durch das Diskriminierungsrecht überlagert.
      Die Anordnung der Ausländersicherheit diskriminiert die Klägerin aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Das Diskriminierungsverbot ist verletzt, wenn Angehörige anderer Mitgliedstaaten gegenüber Inländern benachteiligt werden. Dies wäre hier der Fall. Denn ein Inländer ist nach deutschen Prozeßvorschriften nicht verpflichtet, Sicherheit für die Prozeßkosten des Gegners zu leisten.
      Der Rechtsstreit fällt auch in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrags. Es handelt sich um eine Zahlungsklage im Rahmen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft. Der freie Warenverkehr (einschließlich des zugehörigen Zahlungsverkehrs) ist durch die Art.30 ff. EWGV gewährleistet. Es handelt sich dabei um einen der Kernbereiche des Gemeinsamen Marktes (Binnenmarkts). Zwar trifft es zu, daß für die Regelung des Zivilverfahrensrechts grundsätzlich die Mitgliedstaaten zuständig geblieben sind. Das Gemeinschaftsrecht setzt dieser Zuständigkeit jedoch Schranken. Solche Regelungen dürfen weder zu einer Diskriminierung von Personen führen, denen das Gemeinschaftsrecht einen Anspruch auf Gleichbehandlung verleiht, noch die vom Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten beschränken (EuGH, Slg. 1989, 195 - Cowan).

Hinweis:

      Ebenso EuGH, Slg.1993, I-3777 (C-20/92) und EuZW 1997, 280 (Rs. C-323/95).