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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1847. GLEICHBERECHTIGUNG VON MÄNNERN UND FRAUEN

Nr.92/1

Kraft des Verbots einer Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, wie es sich aus der Richtlinie Nr.76/207/EWG ergibt, darf der Arbeitgeber eine Bewerberin grundsätzlich auch dann nicht nach einer Schwangerschaft fragen, wenn sich nur Frauen um den Arbeitsplatz bewerben. Die dennoch gestellte Frage darf die Bewerberin wider besseres Wissen verneinen.

By virtue of the prohibition of gender discrimination ensuing from Directive No.76/207/EEC, an employer must generally not inquire about a female job applicant's pregnancy, even though only women have applied for the position. If the employer nonetheless asks the question, the applicant may deny it against her better knowledge.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.10.1992 (2 AZR 227/92), BB 1993, 433 (ZaöRV 54 [1994], 543)

Einleitung:

      Die klagende Arbeitnehmerin wurde als Schwangerschaftsvertretung eingestellt, nachdem sie die Frage der beklagten Arbeitgeberin nach einer Schwangerschaft bewußt wahrheitswidrig verneint hatte. Sobald die Wahrheit herauskam, focht die Beklagte den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an (§123 Abs.1, 1.Variante BGB). Die Klage der Arbeitnehmerin auf Feststellung des Fortbestehens ihres Arbeitsverhältnisses war in allen Instanzen erfolgreich.

Entscheidungsauszüge:

      Das Arbeitsverhältnis ist durch die von der Beklagten erklärte Anfechtung nicht aufgelöst worden. Zwar hat die Klägerin die Beklagte über das Bestehen einer Schwangerschaft getäuscht, diese Täuschung ist jedoch mangels Zulässigkeit der Frage nach der Schwangerschaft nicht rechtswidrig ...
      2. In der Sache selbst hat der Senat ... durch Urteil vom 20. Februar 1986 (... AP Nr.31 zu §123 BGB) entschieden, die Frage nach der Schwangerschaft vor der Einstellung sei nicht unzulässig, wenn sich nur Frauen um den Arbeitsplatz bewürben. Der Senat neige lediglich dann dazu, in der Frage nach der Schwangerschaft eine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts zu sehen, wenn sich männliche und weibliche Arbeitnehmer gleichermaßen um denselben Arbeitsplatz bewürben. Diese sog. 'gespaltene Lösung' ist vom Senat ... im Hinblick auf die Neuregelung des §611 a BGB, die ihrerseits das deutsche Arbeitsrecht an die Richtlinie Nr.76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl.EG 1976 L 39/40) angepaßt hat, gerechtfertigt worden.
      a) Bei der Anwendung des nationalen Rechts - hier des §611a BGB - müssen nach dem Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung ... die vom EuGH der Richtlinie 76/207/EWG entnommenen Rechtssätze befolgt werden ... Nach dem 'Dekker'-Urteil (... [Slg.1990, I-3941]) darf der Arbeitgeber eine Bewerberin nicht wegen ihrer Schwangerschaft abweisen ... Nach dieser Entscheidung ist eine Verweigerung der Einstellung aufgrund der finanziellen Auswirkungen der Fehlzeiten wegen der Schwangerschaft als Weigerung anzusehen, die im wesentlichen ihren Grund in der Schwangerschaft als solcher hat; eine solche Diskriminierung könne nicht mit dem finanziellen Nachteil gerechtfertigt werden, den der Arbeitgeber im Falle der Einstellung einer schwangeren Frau während deren Mutterschaftsurlaubs erleiden würde. Wenn die Tatsache der Schwangerschaft Motiv für die Einstellungsverweigerung sei, so komme es wegen der damit verbundenen Diskriminierung der Frau auch nicht darauf an ..., ob sich auf dieselbe Stelle ein Mann beworben habe oder nicht.
      b) Insoweit hat der Senat in dem erwähnten Urteil bereits im gleichen Sinn entschieden ..., nämlich die Frage des Arbeitgebers nach der Schwangerschaft diene dem Zweck, die Einstellung einer Schwangeren zu verhindern, andernfalls würde er die Frage nicht stellen; die schwangere Arbeitnehmerin werde und solle also gegenüber anderen Bewerbern/Bewerberinnen benachteiligt werden. Aufgrund der EuGH-Entscheidung ... sieht sich der Senat ... gehindert, an der sog. gespaltenen Lösung festzuhalten, zumal die nationalen Gerichte die EWG-Richtlinien so auszulegen haben, daß sie i.S. ihrer Zielsetzung tatsächlich möglichst wirksam sind ... Da die auf der Richtlinie 76/207/EWG beruhende Vorschrift des §611a BGB in der Interpretation des Senats im Urteil vom 20. Februar 1986 (... AP Nr.31 zu §123 BGB) sachlich in allen Fällen wirkungslos bleibt, in denen ein männlicher Mitbewerber nicht vorhanden ist oder die Frau - selbst wenn letzteres der Fall wäre - dies jedenfalls nur selten bzw. unter erschwerten Bedingungen erfährt, gibt der Senat in Befolgung einer gemeinschaftskonformen Auslegung die gespaltene Lösung zugunsten einer generalisierenden Verhinderung der Diskriminierung schwangerer Frauen auf ...
      aa) Dem läßt sich nach Auffassung des Senats nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Richtlinie 76/207/EWG, zu deren Durchführung §611a BGB ins Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt wurde, führe selbst nicht zu der Verpflichtung, ein Arbeitsverhältnis einzugehen (so EuGH vom 10. April 1984 - Rechtssache 79/83, AP Nr.2 zu §611a BGB). Einer schwangeren Bewerberin, die auf Befragen bei der Einstellung wahrheitswidrig ihren Zustand verschweige, werde aber ein Arbeitsplatz verschafft, wenn der Arbeitgeber zu einer Anfechtung nicht berechtigt sei ... Dabei wird nicht berücksichtigt, daß es gerade Ziel der Richtlinie (Art.1) ist, den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen insbesondere hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung zu erleichtern, was in Art.3 dahin konkretisiert wird, daß bei den Bedingungen des Zugangs zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erfolgt. Ließe man daher, nachdem der Zugang mit Hilfe des Diskriminierungsverbots erleichtert wurde, anschließend wieder eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zu, würde der Sinn der Richtlinie in ihr Gegenteil verkehrt. ...
      c) Allerdings neigt der Senat dazu, eine Anfechtung durchgreifen zu lassen, wenn das eingegangene Vertragsverhältnis überhaupt nicht realisiert werden kann, d.h. wenn die Bewerberin für die angestrebte Arbeit objektiv nicht geeignet ist. Auch der EuGH hat in Ziff.14 des 'Dekker'-Urteils angemerkt, das Diskriminierungsverbot gelte 'für den Arbeitgeber nur hinsichtlich einer von ihm für geeignet befundenen Bewerberin'.
      Eine solche Ungeeignetheit liegt im Streitfall allerdings nicht vor. Abgesehen davon, daß die Beklagte die Klägerin als kaufmännische Angestellte für geeignet angesehen hat, wie die Tatsache der Einstellung auf unbestimmte Zeit und die anstandslose Beschäftigung bis zum 17. September 1992 belegen, kann von einer Nichtgeeignetheit (Art.2 Abs.2 der Richtlinie) und/oder einem bestimmten Geschlecht als unverzichtbare Voraussetzung für die Art der vom Arbeitnehmer auszuübenden Tätigkeit (§611a Abs.1 Satz 2 BGB) nur ausgegangen werden, wenn die angestrebte Tätigkeit überhaupt nicht aufgenommen werden kann oder darf, z.B. bei einem Mannequin oder einer Tänzerin (vgl. auch den von der Bundesregierung der EG-Kommission übermittelten Ausnahmekatalog, BArbBl.11/1987 S.40 ff.). Zu denken wäre auch an Fälle, in denen Beschäftigungsverbote nach dem Mutterschutzgesetz einer Beschäftigung der Bewerberin entgegenstehen oder in denen von vornherein eine Tätigkeit z.B. in einem befristeten Arbeitsvertrag wegen sogleich eintretender Mutterschutzfristen, Erziehungsurlaub etc. ... nicht möglich ist.