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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


231.1. INNERSTAATLICHE ANWENDBARKEIT VON EINZELNEN VERTRÄGEN

Europäisches Fürsorgeabkommen vom 11.12.1953 (BGBl. 1956 II S.563)

Nr.90/1 Der gesetzliche Ausschluß von der Sozialhilfe von Ausländern, die sich in die Bundesrepublik Deutschland begeben haben, "um Sozialhilfe zu erlangen", gilt nicht für Staatsangehörige eines Vertragsstaates des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11.12.1953.
The statutory provision withholding social security benefits from those aliens who have entered the Federal Republic of Germany "for the purpose of obtaining social security benefits" does not apply to citizens of states parties to the European Convention on Social and Medical Assistance of 11 December 1953.

Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 21.2.1990 (W 3 K 88.1363), NVwZ-RR 1990, 575 (ZaöRV 52 [1992], 363)

Einleitung:

      Die Klägerin zu 1, eine griechische Staatsangehörige, die bereits seit 1963 mit ihren Eltern in der Bundesrepublik gewohnt hatte, war 1980 mit ihrem griechischen Ehemann in ihr Heimatland zurückgekehrt. Infolge eines dort erlittenen Verkehrsunfall ist sie querschnittsgelähmt. 1984 kehrte sie mit ihrer Tochter, der Klägerin zu 2, nach Deutschland zu ihren Eltern zurück. Die beklagte Stadt stellte sich auf den Standpunkt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Sozialhilfe, da sie 1984 in die Bundesrepublik zurückgekehrt sei, "um Sozialhilfe zu erlangen" (§ 120 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz BSHG a.F.), und leistete ihr im Ermessenswege lediglich eine Mindestversorgung. Die Klage auf Bewilligung ungekürzter Hilfe zum Lebensunterhalt und Pflegehilfe hatte im Hinblick auf Art.1 des Europäischen Fürsorgeabkommens Erfolg.

Entscheidungsauszüge:

      Jedoch steht der Anwendbarkeit des §120 Abs.1 Satz 1 Halbs.2 BSHG die Regelung in Art.1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) vom 11.12.1953 entgegen, das seit 1.9.1956 geltendes Recht im Range eines förmlichen Gesetzes geworden ist (BGBl. 1956 II, 563).
      Diese Auffassung ergibt sich aus folgendem:
      Gem. Art. 1 EFA verpflichtet sich jeder der Vertragsschließenden, "den Staatsangehörigen der anderen Vertragsschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge (im folgenden als "Fürsorge" bezeichnet) zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind". Als "Fürsorge" wird dabei "jede Fürsorge bezeichnet, die jeder der Vertragsschließenden nach den in dem jeweiligen Teile seines Gebietes geltenden Rechtsvorschriften gewährt und wonach Personen ohne ausreichende Mittel die Mittel für ihren Lebensbedarf sowie die Betreuung erhalten, die ihre Lage erfordert" (Art.2 Abs.a lit.i Satz 1 EFA); "die Rechtsvorschriften, die in den Gebieten der Vertragsschließenden, auf die dieses Abkommen Anwendung findet, in Kraft sind, sowie die von den Vertragsschließenden formulierten Vorbehalte sind im Anhang I und II aufgeführt" (Art.2 Abs.b EFA). Der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines Vertragsschließenden gilt gem. Art.11 Abs.a Satz 1 EFA "so lange als erlaubt im Sinne dieses Abkommens, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, aufgrund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist." In der ursprünglichen Fassung des Anhanges I sind für die Bundesrepublik Deutschland - soweit hier einschlägig - die "Verordnung über die Fürsorgepflicht" vom 13.2.1924 (RGBl. I, 100) und die "Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge" vom 4.12.1924 (RGBl. I, 765) aufgelistet; die gleichen Rechtsgrundlagen enthält der Anhang I nach Anlage I gemäß C der Bekanntmachung vom 8.1.1958 (BGBl. II 18 [22, 48]). Die Bekanntmachung vom 8.3.1972 (BGBl. II, 175 [209 f.]) enthält dagegen die ab 1.12.1970 gültigen Änderungen "durch Mitteilungen und Vorbehalte verschiedener Staaten", insbesondere nunmehr für die Bundesrepublik Deutschland - soweit hier einschlägig - das Bundessozialhilfegesetz; ebenso gilt das für die Bekanntmachung vom 23.1.1979 (BGBl. II, 289 [291]) in der seit 1.8.1978 und bis heute gültigen Fassung. Die Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13.2.1924 enthielt unter der Überschrift "Umfang der Fürsorge" in ihrem §6 lediglich den Hinweis, daß "Voraussetzung, Art und Maß der zu gewährenden Fürsorge ... im Rahmen der reichsrechtlichen Vorschriften das Land (bestimmt)", wobei "mit Zustimmung des Reichsrats ... die Reichsregierung Grundsätze hierüber aufstellen (kann)". Diese Reichsgrundsätze vom 4.12.1924 enthielten in ihrem §34 eine Regelung für Ausländer mit folgendem Wortlaut:
      "Ausländern ist im Falle der Hilfsbedürftigkeit Lebensunterhalt, insbesondere Unterkunft, Nahrung, Kleidung und Pflege sowie Krankenhilfe zu gewähren. Nötigenfalls ist der Bestattungsaufwand zu bestreiten. Die übrigen Bestimmungen gelten für Ausländer nur, soweit es die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats oder ein Staatsvertrag bestimmt."
      Weitere (einschränkende) Regelungen für Ausländer enthielt das damalige Recht nicht. Das Bundessozialhilfegesetz enthielt allerdings bereits in seiner ursprünglichen Fassung (v. 30.6.1961, BGBl. I, 815) die auch heute noch gültige Regelung des §120 Abs.1 Satz 1 Halbs.2.
      Die Kläger sind griechische Staatsangehörige. Griechenland ist ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland Vertragsstaat des Europäischen Fürsorgeabkommens. Die Anwendbarkeit des Art.1 EFA hängt zunächst davon ab, ob sich die Kläger, die zweifelsfrei "nicht über ausreichende Mittel verfügen", im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland "erlaubt aufhalten". Das hängt nach Art.11 Abs.a Satz 1 EFA (nur) davon ab, ob sie im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis (etc.) sind. Das trifft für die Klägerin zu 1 zweifelsfrei zu. Für die Klägerin zu 2 gilt aber bereits gem. §1 Abs.2 Satz 1 i.V. mit Abs.1 Nr.1 und Abs.5 Satz 2 Nr.1 AufenthG/EWG Freizügigkeit ... Damit ist auch ihr Aufenthalt "erlaubt". Für solche Fälle bestimmt Art.1 EFA in der Rechtsfolge, daß den betreffenden Personen "in gleicher Weise ... und unter den gleichen Bedingungen" wie eigenen Staatsangehörigen die Leistungen der Fürsorge gewährt werden, "die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind". Nach dem zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Europäischen Fürsorgeabkommens geltenden Recht ... war die einschränkende Regelung des späteren §120 Abs.1 Satz 1 Halbs.2 BSHG nicht enthalten, die (naturgemäß) ausschließlich für Ausländer gilt und unter der Voraussetzung eine gegenüber Deutschen eingeschränkte Sozialhilfeleistung festschreibt, daß sich der Betreffende in das Bundesgebiet begeben hat, "um Sozialhilfe zu erlangen", wobei die dann einschlägige Ermessensleistung (§120 Abs.1 Satz 2 BSHG) auch Kürzungen zulassen soll ... Es liegt auf der Hand, daß sich die neue gesetzliche Regelung des Bundessozialhilfegesetzes, die speziell für Ausländer gegenüber Deutschen Verschlechterungen enthält, und die Regelung in Art.1 EFA widersprechen, denn Ausländer erhalten eben nicht "in gleicher Weise ... und unter den gleichen Bedingungen" Leistungen der Fürsorge wie Deutsche ("eigene Staatsangehörige"). Die Bundesrepublik Deutschland hat auch - was möglich war und nach wie vor möglich ist - keinen einschlägigen "Vorbehalt" gemacht: Die betreffenden Vorbehalte sind (nur) in Anhang II des Europäischen Fürsorgeabkommens aufgelistet. Dabei hat die Bundesrepublik Deutschland von vornherein "die Gewährung von Beihilfen und Darlehen sowie von Ausbildungshilfen ... für Zwecke der Existenzgründung und der Erlangung der Erwerbs- und Berufsbefähigung" von der Ausländerhilfe ausgeschlossen. Nach Inkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes wurde dieser Vorbehalt sinngemäß übernommen, indem nämlich "Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage, Ausbildungshilfe und Hilfe für Gefährdete" (vgl. Bekanntm. v. 8.3.1972, S.213), sowie "Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage, Ausbildungshilfe und Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten" ausgenommen worden ist (vgl. Bekanntm. v. 23.1.1979, S.295). Die Bundesrepublik Deutschland hat aber nicht die einschränkenden nur für Ausländer geltenden Regelungen des § 120 BSHG formell als Vorbehalt übernommen. Die Übernahme in Anhang I zum Europäischen Fürsorgeabkommen ab 1.12.1970 ... ist jedoch kein Vorbehalt in diesem Sinne, was sich einerseits aus dem Umstand ergibt, daß andernfalls die tatsächlich erfolgten Vorbehalte gegenstandslos und auch unverständlich wären und andererseits sonst der Gesetz gewordene Vertragsinhalt durch jede denkbare einseitige nationalstaatliche Regelung der einzelnen Vertragspartner konterkariert werden könnte, was - wie noch darzulegen ist - nicht anzunehmen ist.
      Widerspricht aber die Regelung in Art.1 EFA der hier einschlägigen Regelung in §120 BSHG, so stellt sich die Rechtsfrage, wie dieser Widerspruch aufzulösen ist. Dabei ist zunächst festzustellen, daß die Problematik, die dieser Rechtsstreit offenlegt, offenkundig erst im Laufe der Zeit dadurch entstanden ist, daß sich die rechtlichen Verhältnisse innerhalb der einzelnen Vertragsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens verschoben haben: Es ist anzunehmen, daß zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses 1953 und auch noch zum Zeitpunkt der Transformation des Vertrages in innerstaatliches Recht 1956 die Rechtslage im sozialen Bereich in den einzelnen Vertragsstaaten im wesentlichen (von den "Vorbehalten" abgesehen) gleich war, so daß die Voraussetzungen zum Abschluß eines solchen Vertragswerkes gegeben waren, daß sich aber im Laufe der Zeit die Rechtslage im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für den fraglichen Bereich relativ wesentlich verbessert hat. Das hat ganz offensichtlich zu einer Sogwirkung auf Ausländer geführt, weswegen der (nationale) Gesetzgeber mit Erlaß des Bundessozialhilfegesetzes Veranlassung gesehen hat, die einschränkende Regelung des §120 Abs.1 Satz 1 Halbs.2 BSHG (und später weiter einschränkende Regelungen in §120 Abs.2 BSHG) einzuführen. Die Rechtsfrage, ob dies überhaupt möglich ist, versucht die Literatur und ein Teil der Rechtsprechung nach dem Motto zu lösen "Rechtens ist, was nicht sein darf". Dem kann sich die Kammer jedoch nicht anschließen. Im einzelnen gilt dazu:
      ... Bereits 1962 hat der Bundesminister des Innern durch Verwaltungsvorschrift unter Wiederholung des Gesetzestextes des §120 Abs.1 Satz 1 Halbs.2 BSHG bestimmt, daß "die Voraussetzungen für die Anwendung des Europäischen Fürsorgeabkommens" nicht vorlägen, "wenn sich ein Hilfesuchender nur zum Zweck der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben" habe, denn "Rechte aus diesem Abkommen" könnten "vielmehr nur dann geltend gemacht werden, wenn der Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes aus einem anderen Grunde als dem genannten begründet worden ist" (Nr.7 I des Rundschreibens v. 24.7.1962, GMBl. S.329). Es liegt auf der Hand, daß das als Begründung nicht ausreicht, weil Satz 2 dieser Regelung Satz 1 nur mit anderen Worten wiederholt, der seinerseits letztlich nur den Gesetzeswortlaut wiedergibt. Nun mag zwar eine Verwaltungsvorschrift für die interne, aber das Gericht nicht bindende Regelung einer Begründung enthoben sein, so zeigt doch ein Blick in die Kommentarliteratur einerseits und die Rechtsprechung, die dieses Problem bereits behandelt hat, andererseits, daß die Versuche, den Vorrang des späteren nationalen Rechts vor dem früheren Vertragsrecht zu begründen, mißlungen sind:
      Das ... Gutachten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 3.9.1985 ... kommt zu dem Ergebnis, daß der Vorrang des nationalstaatlichen Rechtes vor dem Vertragsrecht aus den Grundsätzen "das spätere Recht bricht das frühere" und "das speziellere Recht bricht das generellere" abzuleiten sei. Weil nämlich die Bestimmungen des Europäischen Fürsorgeabkommens nicht zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts i.S. des Art.25 GG gehörten, löse sich das ganze Problem nach den allgemeinen Grundsätzen der Auflösung sich widersprechenden einfachen Gesetzesrechtes, auch wenn dies "in völkerrechtswidriger Weise" geschehe (NDV 1985, 364 f.). Jedoch kann das Rechtsproblem, das hier zur Debatte steht, so einfach nicht verkürzt werden: Wäre die dargestellte Auffassung richtig, dann bedeutete das im Ergebnis, daß die Bundesrepublik Deutschland grenzenlos Verträge abschließen könnte, um dann - ohne irgendwelche Vorbehalte zu machen oder nachzuschieben - durch Setzung nationalen Rechtes die Vertragsbestimmungen wieder auszuhebeln. Daß dies nicht möglich ist, liegt auf der Hand.
      Die Rechtsprechung der Obergerichte ist uneinheitlich: Während der VGH Kassel ... ohne weitere Umschweife den Vorrang des Vertragsrechts konstatiert (... FEVS 33, 189 [191]), geht die übrige obergerichtliche Rechtsprechung - soweit ersichtlich - einhellig davon aus, daß §120 Abs.1 Satz 1 Halbs.2 BSHG von der Regelung des Europäischen Fürsorgeabkommens nicht verdrängt werde: So hat bereits ... der VGH Mannheim (... ESVGH 33, 282 ...) judiziert ... Das OVG Münster hat im Urteil vom 25.4.1985 (NDV 1985, 367) seine Rechtsauffassung, §120 Abs.1 Satz 1 Halbs.2 BSHG werde durch das Europäische Fürsorgeabkommen nicht verdrängt, ... wie folgt begründet: Der Ausschluß des Rechtsanspruchs durch nationales Recht entspreche "insofern" (?) einem "allgemeinen Vorbehalt" hinsichtlich der Anwendbarkeit des Europäischen Fürsorgeabkommens. Das ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Text des Europäischen Fürsorgeabkommens. Einer derartigen Klarstellung habe es jedoch nicht bedurft, "da die vertragsschließenden Staaten durch die eingegangenen Verpflichtungen keinen Anreiz dafür schaffen wollten, daß einzelne Staatsangehörige ausschließlich zum Zwecke der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen in das Staatsgebiet eines der Vertragspartner des Europäischen Fürsorgeabkommens einreisen. Dies stellte einen Mißbrauch der Rechte aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen dar, dessen Ausschluß der nationalen Gesetzgebung der vertragsschließenden Staaten überlassen bleibt". Auch dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, weil der behauptete "allgemeine Vorbehalt", der auf einen bestimmten Willen der Vertragsschließenden zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gegründet wird, eine reine Erfindung ist, die ein begehrtes Ergebnis tragen soll, was andere mit "Sinn und Zielsetzung" des Europäischen Fürsorgeabkommens umschreiben. Es liegt aber auf der Hand, daß ein solcher Wille der Vertragsschließenden zum damaligen Zeitpunkt gar nicht vorgelegen haben kann, weil ein solcher Vertragsschluß ganz offensichtlich nicht zustande gekommen wäre, falls bereits damals ein derartiges soziales Gefälle bestanden hätte, wie es sich im Laufe der Zeit entwickelt hat, oder es wäre ein entsprechender Vorbehalt aufgenommen worden. Die Kammer fügt hinzu: Ein solcher Vorbehalt, der ganz offenkundig nötig ist, hätte auch später eingefügt werden können und könnte noch heute eingefügt werden, wie die im Laufe der Zeit nachgeschobenen Vorbehalte der Vertragsabschließenden zeigen und wie auch Art.2 Abs.b EFA einerseits und Art.24 des Abkommens andererseits zeigt. Insbesondere nach letzterer Regelung ist das Europäische Fürsorgeabkommen zunächst nur für die Dauer von 2 Jahren abgeschlossen worden (Art.24 S.1 EFA) und dessen Geltungsdauer verlängert(e) sich sodann von Jahr zu Jahr für diejenigen Vertragsschließenden, die es nicht wenigstens 6 Monate vor dem Ablauf der ursprünglichen Zweijahresfrist oder einer späteren Jahresfrist durch eine an den Generalsekretär des Europarates zu richtende Erklärung gekündigt haben (Art.24 S.2 EFA); das Nachschieben von Vorbehalten ist aber nichts anderes als eine Änderungskündigung, die nach dieser Regelung offenkundig zulässig und nach allem auch erforderlich ist, soll nicht das gesamte Vertragswerk aus seinen Angeln gehoben werden. Schließlich hat das OVG Hamburg jüngst (NVwZ-RR 1990, 141 ...) in gleicher Weise judiziert und dabei zwar das Problem erkannt, daß nämlich "die Sozialhilfesysteme der einzelnen Vertragsstaaten" mittlerweile "erhebliche Unterschiede" aufweisen, "deren Nivellierung zu keiner Zeit Ziel des Abkommens gewesen" sei; es sei "mit der Schaffung des Europäischen Fürsorgeabkommens von den Vertragsschließenden auch nicht beabsichtigt" gewesen, "den Staatsangehörigen der beteiligten Länder die Möglichkeit zu schaffen, sich einen Aufenthalt in dem Land zu wählen, dessen Sozialhilfesystem ihnen die umfangreichsten Leistungen bietet", weshalb es "einem wohlhabenden Vertragsstaat ... freistehen (muß), den Ausländern einen Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialhilfesystem zu versagen, die von vornherein in der Absicht eingereist sind, diese Leistungen zu beanspruchen, und die keine begründete Aussicht haben, aus eigenen Kräften für ihren Lebensunterhalt zu sorgen". ... Das Erwünschte und auch Gebotene kann aber und muß auch durch eine Änderung der Vorbehalte im Europäischen Fürsorgeabkommen erst geschaffen werden; es kann nicht einfach durch "völkerrechtswidriges" ... nationales Recht ausgehebelt werden, nur weil die Situation es erfordert. ...
      Dabei verkennt die Kammer nicht, daß im Laufe der Zeit und jedenfalls heute Regelungen, wie sie insbesondere §120 Abs.1 Satz 1 Halbs.2 BSHG enthält, sachgerecht sind, ja geradezu geboten erscheinen; jedoch ist der rechtlich einzig mögliche Weg darin zu sehen, daß die Vorbehaltsregelungen des Europäischen Fürsorgeabkommens in dieser Weise ausgeschöpft werden. So lange das nicht geschehen ist, geht Art.1 EFA vor und kann auch nicht durch späteres nationales Recht einfach gekippt werden. Ganz daneben liegt die Auffassung, das nationale Recht enthalte lediglich eine Sonderregelung, die anwendbar sei, weil das Europäische Fürsorgeabkommen nur generelle Bestimmungen enthalte und eben keine derartige Regelung wie §120 BSHG. Diese These ist eine verkappte Aufforderung, bedenkenlos multilaterale Abkommen zu schließen, um sie dann durch "Sonderregelungen" für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unanwendbar zu machen.

Hinweis:

      Nach Verwerfung der Berufung des beigeladenen Sozialversicherungsträgers durch Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21.6.1993 (12 B 90.1270) ist das Urteil rechtskräftig geworden.