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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


231.1. INNERSTAATLICHE ANWENDBARKEIT VON EINZELNEN VERTRÄGEN

Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.1954 (BGBl.1976 II S.474)

Nr.87/1 [a] Bloß geduldete Staatenlose können nach Art.28 Satz 1 des Übereinkommens keinen Reiseausweis beanspruchen, weil sie sich nicht rechtmäßig im deutschen Hoheitsgebiet aufhalten.
[b] Für solche Staatenlosen kann sich ein solcher Anspruch aber aus Art.28 Satz 2 des Übereinkommens ergeben.
[a] Stateless persons whose abode is only tolerated cannot claim travel documents under Art.28 clause 1 of the Convention Relating to the Status of Stateless Persons because these persons are not lawfully present in German territory.
[b] However, stateless persons of this kind can have a claim under Art.28 clause 2 of the Convention.

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.5.1987 (18 A 2811/84), InfAuslR 1988, 70 (ZaöRV 48 [1988], 729) (rechtskräftig)

Einleitung:

      Die Kläger flüchteten 1975 während der Herrschaft des Obristen-Regimes aus Griechenland in die Türkei. Daraufhin wurde ihnen die griechische Staatsangehörigkeit entzogen. In der Türkei erhielten sie Aufenthaltsgenehmigungen für "Heimatlose" und türkische Fremdenpässe. 1980 kamen sie in die Bundesrepublik Deutschland und beantragten hier erfolglos Asyl. Seit Abschluß des Asylverfahrens werden sie geduldet. Ihren Antrag auf Erteilung von Reiseausweisen für Staatenlose lehnte die Ausländerbehörde ab. Das OVG hielt die Ablehnung für rechtswidrig.

Entscheidungsauszüge:

      1. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit mit den angefochtenen Bescheiden die Ausstellung von Reiseausweisen gemäß Art.28 Satz 1 Staatenlosenübereinkommen abgelehnt worden ist.
      Nach dieser Vorschrift ist demjenigen Staatenlosen, der sich rechtmäßig im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhält, regelmäßig ein Reiseausweis auszustellen. Zwar kann aus den Gründen des angefochtenen Urteils davon ausgegangen werden, daß die Kläger staatenlos sind und Hindernisse für die Anwendung des Staatenlosenübereinkommens im Sinne von dessen Art.1 Abs.2 nicht bestehen. Sie halten sich jedoch nicht rechtmäßig im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auf. Nachdem ihre Aufenthaltsgestattungen gemäß §20 Abs.3 Nr.3 AsylVfG erloschen sind, bedürfen sie gemäß §2 Abs.1 Satz 1 AuslG einer Aufenthaltserlaubnis. Eine solche haben sie nicht. Vielmehr werden sie vom Beklagten seit Beendigung ihrer Asylverfahren gemäß §17 Abs.1 Satz 1 AuslG geduldet. Entgegen der im Schrifttum mitunter vertretenen Auffassung ... vermittelt dies keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Vielmehr setzt die Duldung als Aussetzung der Vollziehung der Pflicht zur Ausreise deren Bestehen - hier gemäß §12 Abs.1 Satz 1 AuslG - voraus ...
      Die Staatenlosigkeit vermittelt den Klägern auch kein vom Ausländergesetz unabhängiges Bleiberecht. Insbesondere folgt ein solches nicht aus dem Staatenlosenübereinkommen. Dieses regelt vielmehr lediglich die Rechtsstellung der Staatenlosen, nicht aber das Entstehen von Aufenthaltsrechten in den Vertragsstaaten. Das erschließt sich unmittelbar aus dem Text des Übereinkommens, das eine darauf zielende Vorschrift nicht enthält und im übrigen zwischen Staatenlosen unterscheidet, die sich - ggfls. lediglich - im Gebiet eines Vertragsstaates aufhalten oder befinden, vgl. Art.2, 4, 13, 16 Abs.1 und 25, und solchen, die sich dort rechtmäßig aufhalten oder befinden, vgl. Art.10 Abs.1, 15, 17, 18, 19, 21, 23, 24, 26, 28 und 31.
      Im übrigen entspricht das Staatenlosenübereinkommen größtenteils wörtlich den Bestimmungen des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention) vom 28.7.1951 ... Für dessen - insoweit wortgleichen - Art.28 Abs.1 Satz 1 ist anerkannt, daß erst die Anerkennung als Flüchtling im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit der sich regelmäßig heute aus §29 Abs.1 AsylVfG und zuvor aus §43 AuslG a.F. ergebenden Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Rechtmäßigkeit des Aufenthalts führt und den Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises auslöst ...
      2. Soweit mit den angefochtenen Bescheiden auch die Erteilung von Reiseausweisen gemäß Art.28 Satz 2 Staatenlosenübereinkommen abgelehnt worden ist, sind sie rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten.
      a) Auch Art.28 Satz 2 Staatenlosenübereinkommen begründet unmittelbare Rechte der Kläger, nachdem der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates durch Gesetz vom 12.4.1976, BGBl.II S.473, dem Staatenlosenübereinkommen zugestimmt hat und dessen Inkrafttreten bekanntgemacht worden ist, vgl. BGBl.1977 II S.235. Dadurch sind alle diejenigen Vorschriften des Staatenlosenübereinkommens in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten des Einzelnen begründendes Recht transformiert, die nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie innerstaatliche Gesetzesvorschriften rechtliche Wirkungen auszulösen geeignet sind ... Das trifft wie auf zahlreiche andere Regelungen im Staatenlosenübereinkommen auch auf dessen Art.28 Satz 2 zu. Durch dieses Übereinkommen wird den Staatenlosen in weiten Bereichen des Rechtslebens unmittelbar Gleichbehandlung mit Inländern oder zumindest mit nicht staatenlosen Ausländern eingeräumt, und es soll dadurch die Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auch dann sichern, wenn ein Staatenloser nicht den Schutz und Beistand eines Staates oder eines Organs oder einer Organisation der Vereinten Nationen genießt, vgl. Abs.1 der Präambel des Staatenlosenübereinkommens. Der für den insoweit - jedenfalls in den maßgeblichen englischen und französischen Fassungen - gleichlautenden Art.28 Abs.1 Satz 2 Genfer Konvention vertretenen gegenteiligen Auffassung des BayVGH, U. v. 31.10.1972 - Nr.17 VIII 72 -, VGHE n.F. 26, 17, tritt der Senat für das Staatenlosenübereinkommen nicht bei. Die Verwendung des - typischerweise die Einräumung von Ermessen in der Einzelfallentscheidung indizierenden - Tätigkeitswortes "können" und seiner englischen und französischen Entsprechungen auch in Übereinkommensbestimmungen, die völkerrechtsvertragstypische Rechtspositionen der Vertragsstaaten sichern (Art.38, 40 und 41) oder die Möglichkeit normativer Ausgestaltung der Rechtsstellung des Staatenlosen einräumen (Art.25 Abs.4), rechtfertigt nicht die Annahme, daß durch Art.28 Satz 2 Staatenlosenübereinkommen lediglich eine Gestaltungsmöglichkeit im Verhältnis zu den anderen Vertragsstaaten offen gehalten werden sollte. Andernfalls ginge im übrigen die in dieser Vorschrift enthaltene Wohlwollensklausel, die aus ihrer Natur heraus dazu dient, den einzelnen Staatenlosen zu begünstigen, ins Leere. Die Ausstellung eines Reiseausweises gemäß Art.28 Satz 2 Staatenlosenübereinkommen beinhaltet im übrigen nicht, wie der BayVGH für Art.28 Abs.1 Satz 2 Genfer Konvention annimmt, die Sicherung des Aufenthalts in einem Vertragsstaat. Dies erschließt sich unmittelbar aus §§6 Abs.3 und 13 Abs.1 des Anhangs zu Art.28 Staatenlosenübereinkommen.