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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


231.1. INNERSTAATLICHE ANWENDBARKEIT VON EINZELNEN VERTRÄGEN

Übereinkommen Nr.132 der Internationalen Arbeitsorganisation über den bezahlten Jahresurlaub vom 24.6.1970 (BGBl.1975 II S.745)

Nr.93/1 Art.9 Abs.1 des Übereinkommens Nr.132 ist im innerstaatlichen Recht nicht unmittelbar anwendbar. Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach §§1, 7 Abs.3 Bundesurlaubsgesetz verstößt nicht gegen diese Bestimmung.
Art.9 (1) of the Convention No.132 is not directly applicable in national law. The deadline for the entitlement to vacation set by §§1, 7 (3) of the Federal Vacation Act does not contravene that provision.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7.12.1993 (9 AZR 683/92), NZA 1994, 802, (ZaöRV 55 [1995], 901)

Einleitung:

      Dem Kläger standen für 1990 33 Tage Erholungsurlaub zu. Davon konnte er wegen langer Krankheit bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses am 31.3.1991 nur acht Tage nehmen. Für die verbleibenden 25 Urlaubstage verlangt er finanzielle Abgeltung und zusätzliches Urlaubsgeld. Seine Revision gegen das klageabweisende Urteil des Landesarbeitsgerichts hatte keinen Erfolg, weil der Urlaubsanspruch nach §§1, 7 Abs.3 des Bundesurlaubsgesetzes bis zum 31.3. des Folgejahres befristet sei und danach erlösche.

Entscheidungsauszüge:

      5. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts widerspricht die Befristung des Urlaubsanspruchs nach §1 und nach §7 Abs.3 BUrlG nicht Art.9 Abs.1 des Übereinkommens Nr.132 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) vom 24.6.1970 über den bezahlten Jahresurlaub, dem durch Bundesgesetz nach Art.59 Abs.2 Satz 1 GG zugestimmt worden ist. Das haben der 6. und der 8.Senat des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Vorschrift (BAGE 66, 288 ...) und zu anderen Bestimmungen des Übereinkommens Nr.132 (BAGE 54, 184 ...) mehrfach entschieden. Dem schließt sich der erkennende Senat an. ... [D]ie gegenteiligen Überlegungen des LAG Düsseldorf (NZA 1992, 312) ... rechtfertigen [k]eine andere Beurteilung.
      a) Die Bestimmungen des Übereinkommens Nr.132 sind mit der Zustimmung des Bundestags ... gemäß Art.59 Abs.2 GG insofern innerstaatliches Recht geworden, als es den Bundesgesetzgeber verpflichtet, sein bestehendes Urlaubsgesetz mit den Anforderungen des Übereinkommens Nr.132 in Übereinstimmung zu bringen. Dem ist der Bundesgesetzgeber durch die Änderung des Bundesurlaubsgesetzes im Heimarbeitsänderungsgesetz vom 29.10.1974 (BGBl.I S.2879) bereits vor Erlaß des Zustimmungsgesetzes vom 30.4.1975 nachgekommen.
      b) Durch das Zustimmungsgesetz ist das Übereinkommen Nr.132 allerdings nicht innerstaatliches Recht in dem Sinne geworden, daß seine Vorschriften normativ auf alle Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einwirken mit der Folge, daß die Gerichte für Arbeitssachen entgegenstehende gesetzliche oder kollektiv-rechtliche Bestimmungen oder einzelvertragliche Vereinbarungen nicht zu beachten haben oder wenigstens völkerrechtsfreundlich auszulegen haben. Das folgt aus der Zielsetzung des Übereinkommens und der inhaltlichen Ausgestaltung der Vorschriften. Nur ein die Vorgaben des Übereinkommens ausführendes innerstaatliches Gesetz bindet die nationalen Gerichte bei der Rechtsanwendung. Allein durch ein derartiges Gesetz können subjektive Rechte und Pflichten einzelner begründet werden.
      aa) Die Zielsetzung des Übereinkommens ist in Art.1 beschrieben. Danach sind Bestimmungen durch die innerstaatliche Gesetzgebung durchzuführen ... Die Vertragschließenden des Übereinkommens sind somit davon ausgegangen, daß die nachfolgenden Bestimmungen der weiteren Konkretisierung durch die vom jeweiligen nationalen Recht geforderten Transformationsakte bedürfen. In der Bundesrepublik Deutschland geschieht das durch Gesetzgebung der zuständigen Verfassungsorgane. Eine unmittelbare Anwendung der völkervertragsrechtlichen Bestimmungen ("self-executing") haben die Vertragspartner nicht vorgesehen. Das gilt auch für Art.9 Abs.1. Diese Bestimmung stellt der nationalen Gesetzgebung lediglich einen Zeitrahmen zur Verfügung, innerhalb dessen der Urlaubsanspruch befristet werden darf. Ein unmittelbarer Anspruch des Arbeitnehmers auf Bestand seines Urlaubs in dem in Art.9 Abs.1 genannten zeitlichen Rahmen folgt daraus nicht.
      bb) Völkerrechtliche Vertragsbestimmungen können durch ein Zustimmungsgesetz in innerstaatlich unmittelbar anwendbares Recht umgesetzt werden, wenn sie alle Eigenschaften besitzen, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muß, um berechtigen oder verpflichten zu können. Die Vertragsbestimmungen müssen nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie innerstaatliche Gesetzesvorschriften rechtliche Wirkungen auslösen können. Nur unter diesen Voraussetzungen entstehen durch das Zustimmungsgesetz für den Staatsbürger verbindliche Rechtsnormen (BVerfGE 29, 348 [360] ...). So verhält es sich bei Art.9 Abs.1 des Übereinkommens Nr.132 nicht. Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift ist nicht zu bestimmen, wann ein Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers erlischt. Er verfällt nicht regelmäßig 18 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, sondern spätestens. Er kann also auch früher erlöschen. Wann ein solcher Zeitpunkt gegeben ist, legt die Vorschrift nicht fest. Das überläßt sie der innerstaatlichen Rechtssetzung.
      c) Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach §1 und §7 Abs.3 BUrlG steht dem Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung nicht entgegen. Das Landesarbeitsgericht bezeichnet die Bestimmung des Art.9 Abs.1 über den dort genannten Zeitraum von einem Jahr bzw. von 18 Monaten nach Ablauf des Urlaubsjahres ohne Begründung als Mindestbedingung für eine turnusmäßige Sicherstellung der Erholung des Arbeitnehmers. Das LAG übersieht dabei, daß durch die Verwendung des Adverbs "spätestens" die Annahme, es sollten Mindestbedingungen festgesetzt werden, nicht zu rechtfertigen ist. Vielmehr folgt aus dieser Formulierung, daß es den Mitgliedstaaten unbenommen bleibt, eine kürzere Befristung des Anspruchs und einen früheren Verfall zu normieren. ...
      d) Entgegen der Auffassung des LAG folgt aus Art.9 Abs.1 des Übereinkommens Nr.132 weder unmittelbar noch nach Auslegung, daß der Urlaubsanspruch im Falle der Unmöglichkeit der Urlaubsverwirklichung wegen Krankheit über den 31.3. des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres fortbesteht. Denn die Vorschrift enthält keine Ausnahmeregelung für diese Fälle. Auch wenn den Materialien zum Übereinkommen Nr.132 zu entnehmen sein sollte, daß Ausnahmen von Art.9 Abs.1 in den Fällen als zulässig gelten können, in denen ein Arbeitnehmer wegen Krankheit nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen, kann daraus nicht der Schluß gezogen werden, eine längere Übertragung des Urlaubsanspruchs sei im nationalen Recht erforderlich. Sie sind überdies nicht Inhalt des Übereinkommens geworden. Vielmehr kann daraus nur gefolgert werden, daß Art.9 Abs.1 des Übereinkommens grundsätzlich davon ausgeht, daß der Urlaubsanspruch auch in diesen Fällen erlischt, es sei denn, es werden Ausnahmeregelungen getroffen. Das ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht geschehen. Die Unmöglichkeit des Urlaubsanspruchs wegen Krankheit ist in §7 Abs.3 BUrlG mitgeregelt ...
      Schließlich kann auch aus der Verwendung des Wortes "für" im Wortlaut der Art.3 Abs.3 und Art.9 Abs.1 des Übereinkommens kein anderes Auslegungsergebnis für §1, §7 Abs.3 BUrlG hergeleitet werden. Nach Art.3 Abs.3 des Übereinkommens darf der Urlaub auf keinen Fall weniger als drei Wochen für ein Urlaubsjahr betragen. Die Vorschrift enthält damit eine Regelung über die Höhe des Urlaubsanspruchs, sagt aber nichts über dessen Bestand aus ... Die Formulierung in Art.9 Abs.1 "nach Ablauf des Jahres, für den der Urlaubsanspruch erworben wurde" legt den Beginn der Frist fest, innerhalb derer der Urlaubsanspruch zu erfüllen ist. Über den zeitlichen Bestand des Anspruchs sagt sie dagegen nichts aus. Im übrigen können aus der Verwendung des Wortes "für" rechtliche Folgen nicht abgeleitet werden, weil der gemäß Art.24 des Übereinkommens maßgebende französische und englische Wortlaut von Art.9 Abs.1 des Übereinkommens die Worte "pour" und "for" nicht verwendet.