Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


Home | Inhalt | Zurück | Vor

Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


231.1. INNERSTAATLICHE ANWENDBARKEIT VON EINZELNEN VERTRÄGEN

Internationales Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe vom 2.11.1973 in der Fassung des Protokolls vom 17.2.1978 (MARPOL) (BGBl.1982 II S.4; 1984 II S.231)

Nr.91/1 Der Kapitän eines unter der Flagge eines Nichtvertragsstaates des MARPOL-Übereinkommens fahrenden Schiffes kann nicht mit einer Geldbuße belegt werden, weil er einen auf der hohen See vorgekommenen Betriebsvorgang nicht in das Öltagebuch eingetragen hat.
The captain of a vessel flying the flag of a state not party to the International Convention for the Prevention of Pollution from Ships of 1973 may not be fined for failing to enter in the oil log an operation which occurred on the high seas.

Oberlandesgericht Hamburg, Beschluß vom 17.4.1991 (2b Ss 40/91 OWi), Natur und Recht 1991, 388 (ZaöRV 1991, 368f.)

Einleitung:

      Der türkische Kapitän eines unter türkischen Flagge fahrenden Schiffes war wegen nicht ordnungsgemäßer Führung des Öltagebuchs nach §3 Abs.2 Nr.1 der Verordnung über Zuwiderhandlungen gegen das Internationale Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und gegen das Protokoll von 1978 zu diesem Übereinkommen vom 23.12.1983 in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.1989 (BGBl.I S.247) zu einer Geldbuße verurteilt worden. Das Oberlandesgericht Hamburg hob das erstinstanzliche Urteil auf, da mangels Eintragungspflicht keine tatbestandsmäßige Handlung vorgelegen habe.

Entscheidungsauszüge:

      Die MARPOL-OWiVO gilt für ... unter fremder Flagge fahrende Seeschiffe gemäß §1 Nr.2 MARPOL-OWiVO ... nur, wenn eine tatbestandsmäßige Handlung im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, zu dem auch das Küstenmeer gehört ..., begangen worden ist. ...
      1. ... Vielmehr wird eine Eintragungspflicht erst durch einen Betriebsvorgang i.S. von Anlage I Regel 20 Abs.2 MARPOL-Üb ausgelöst.
      a) Bereits der Wortlaut der Anlage I Regel 20 Abs.2 MARPOL-Üb ("Das Öltagebuch ist jeweils ...auszufüllen, wenn einer der folgenden Betriebsvorgänge auf dem Schiff stattfindet:") spricht dafür, daß erst einer der in diesem Absatz im einzelnen aufgeführten Betriebsvorgänge ... eine Eintragungspflicht begründet. Anlage I Regel 20 Abs.2 MARPOL-Üb besagt hingegen seinem Wortlaut zufolge nichts darüber, wann auszufüllen ist, sondern nur, nach welchem Muster die Öltagebücher zu führen sind. ...
      Für die vom Amtsgericht vertretene Gegenansicht [im Sinne einer Pflicht, die beim Betrieb laufend anfallenden Ölrückstände unabhängig von einem der aufgelisteten Betriebsvorgänge in das Öltagebuch einzutragen] spricht allerdings, daß der Zweck des MARPOL-Üb, die Meeresumwelt gegen Schadstoffeinleitungen zu schützen, stärker gefördert wird, wenn möglichst umfassende Aufzeichnungspflichten statuiert werden. ...
      Der Wille der Vertragsparteien des MARPOL-Üb kann dahinstehen. Nach herrschender Meinung gilt bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge der objektive Ansatz ... Auch nach Art.32 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK) kann zur Auslegung nur ergänzend auf vorbereitende Arbeiten zurückgegriffen werden; für eine solche Ergänzung ist vorliegend insbesondere angesichts von Wortlaut und Systematik der Norm kein Raum.
      b) Daß ein somit für die Auslösung der Eintragungspflicht maßgeblicher Betriebsvorgang ... im deutschen Hoheitsgebiet erfolgt ist, hat das Amtsgericht nicht festgestellt. Insbesondere ist nicht festgestellt worden, daß anfallender Ölschlamm auf deutschem Hoheitsgebiet im Rahmen von Reinigungsarbeiten zwischen Tanks umgepumpt ... worden ist ...
      2. Eine nach §1 Nr.2 MARPOL-OWiVO zu ahndende Handlung im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich auch nicht daruas, daß ein Betriebsvorgang i.S. der Anlage I Regel 20 Abs.2 MARPOL-Üb ... auf hoher See erfolgt ist, daraufhin keine oder keine vollständige Eintragung im Öltagebuch vorgenommen worden ist und diese Unterlassung im deutschen Hoheitsgebiet angedauert hat.
      a) ... Eine nach dem Überschreiten der Grenze zum deutschen Hoheitsgebiet andauernde und deshalb für die Zeit ab Grenzüberschreitung der deutschen Gerichtsbarkeit unterfallende Verletzung der Eintragungspflicht setzt bereits begrifflich voraus, daß auf hoher See eine Eintragungspflicht überhaupt bestanden hat. ... Auf hoher See unterliegt ein Schiff ausschließlich der Hoheitsgewalt des Flaggenstaates. ... Die Türkei ist dem MARPOL nicht beigetreten. Nationales türkisches Recht begründet deshalb keine Eintragungspflicht von Betriebsvorgängen auf türkischen Schiffen.
      Auch aus dem MARPOL-Üb ergibt sich keine Eintragungspflicht für Betriebsvorgänge auf unter der Flagge von Nichtvertragsstaaten fahrenden Schiffen außerhalb des Hoheitsgebietes von Vertragsstaaten. Gemäß Art.3 Abs.1 MARPOL-Üb gilt das Übereinkommen für Schiffe, die berechtigt sind, die Flagge einer Vertragspartei zu führen, sowie Schiffe, die nicht berechtigt sind, die Flagge einer Vertragspartei zu führen, jedoch unter der Hoheitsgewalt einer Vertragspartei betrieben werden. Art.4 Abs.2 MARPOL-Üb weitet den Geltungsbereich nicht aus, sondern bestimmt nur, daß jeder Verstoß gegen die Vorschriften dieses Übereinkommens im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei verboten ist und in deren Recht unter Strafe gestellt wird. Die in Art.5 Abs.4 MARPOL-Üb geregelte Ausweitung auf Schiffe von Nichtvertragsparteien dehnt die Überwachungskompetenz der Vertragsstaaten aus ..., steht aber im systematischen Zusammenhang nur mit Hafen- und Küstenkontrollen (vgl. dort Abs.1 bis 3), ohne Pflichten für das Schiff einer Nichtvertragspartei außerhalb des Hoheitsgebietes eines Vertragsstaates zu begründen. Eine solche Pflicht würde durch das MARPOL-Üb ohnehin nicht wirksam begründet werden können, da nach dem Konsensprinzip als allgemeinem Grundsatz des Völkerrechts ... ebenso wie nach Art.34 und 35 WVK durch völkerrechtliche Verträge Pflichten bzw. Lasten von Drittstaaten ohne deren Zustimmung nicht begründet werden können; die Türkei als Drittstaat hat keine Zustimmung erteilt, Vorschriften des MARPOL-Üb auf unter ihrer Flagge fahrenden Schiffe zu erstrecken. Eine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht (vgl. Art.38 WVK) zur Führung von Öltagebüchern besteht gleichfalls nicht.
      Es ist nicht festgestellt worden, daß ein Betriebsvorgang im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates des MARPOL-Üb stattgefunden hat, wobei dahingestellt bleibt, ob eine im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates begründete Eintragungspflicht auch dann zu einer im deutschen Hoheitsgebiet andauernden Tat führen kann, wenn das unter Flagge eines Drittstaates fahrende Schiff zwischenzeitlich vom MARPOL-Üb nicht erfaßte Gebiete, nämlich die hohe See oder das Hoheitsgebiet eines Nichtvertragsstaates, passiert hat.