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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


341. VERBANDSKOMPETENZ

Nr.90/1 Mit ihrem Beitritt zu der durch das "Programm zur Förderung der Solidarität der Städte mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung von Atomwaffen" begründeten internationalen Städte-partnerschaft überschreitet eine deutsche Gemeinde nicht die Grenzen ihres auf die Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft beschränkten Selbstverwaltungsrechts (Art.28 Abs.2 Satz 1 GG).
A German municipality does not exceed its limited power of self-government with respect to local community matters (Art.28 (2) clause 1 of the Basic Law) by acceding to the international association of towns established through the "Program to Promote the Solidarity of Towns Seeking the Total Abolition of Nuclear Weapons".

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.12.1990 (7 C 58.89), BVerwGE 87, 237 (ZaöRV 52 [1992], 360)

Einleitung:

      Der Rat der klagenden Stadt faßte den Beschluß, der von den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki initiierten internationalen Städtepartnerschaft zur Verwirklichung eines "Programms zur Förderung der Solidarität der Städte mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung von Atomwaffen" beizutreten. Weiterhin stimmte der Stadtrat Entschließungen der "Ersten Weltfriedenskonferenz von Bürgermeistern am 6./9.8.1985 in Hiroshima und Nagasaki zu. Diese Beschlüsse wurden von der Kommunalaufsichtsbehörde als rechtswidrig beanstandet, weil sie die auf den gemeindlichen Wirkungskreis beschränkten Kompetenzen der Stadt überschritten. Die dagegen gerichtete Klage der Stadt hatte erst vor dem Bundesverwaltungsgericht Erfolg.

Entscheidungsauszüge:

      Durch die ... rechtsaufsichtliche Beanstandung ... wird die Klägerin in ihrem Selbstverwaltungsrecht nach Art.28 Abs.2 Satz 1 GG verletzt. Die beanstandeten Beschlüsse halten sich entgegen der Auffassung der Vorinstanzen und der Rechtsaufsichtsbehörde im Rahmen des durch Art.28 Abs.2 Satz 1 GG gewährleisteten Selbstverwaltungsrechts.
      Art.28 Abs.2 Satz 1 GG gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Klägerin meint zu Recht, daß die durch ihren Beitritt zum ... Programm zur Förderung der Solidarität der Städte ... begründete internationale Städtepartnerschaft zu den Angelegenheiten ihrer örtlichen Gemeinschaft zählt.
      Der Anerkennung internationaler Partnerschaften als Angelegenheiten des durch Art.28 Abs.2 Satz 1 GG erfaßten örtlichen Wirkungsbereichs der Gemeinde steht nicht entgegen, daß eine internationale Städtepartnerschaft von der Natur der Sache her grenzüberschreitend wirkt. Örtliche Aufgaben werden auch sonst nicht allein dadurch zu überörtlichen, daß die Gemeinde sie in Zusammenarbeit mit einer anderen Gemeinde erfüllt. Die internationale Städtepartnerschaft der Gemeinden gibt vielmehr auf kommunaler Ebene den institutionellen Rahmen für eine Begegnung von Gemeindebürgern mit Menschen anderer Staaten ab; es ist kennzeichnend für sie, daß sie einem bürgerschaftlichen Austausch unter den beiderseitigen Gemeindebewohnern dient. Das mit den internationalen Städtepartnerschaftsverhältnissen zwangsläufig verbundene "transnationale", eine Beschränkung auf das Gemeindegebiet durchbrechende Element ist mithin als zulässig und staatspolitisch wertvoll anzusehen ... Das Institut der internationalen Städtepartnerschaft eröffnet damit den Gemeinden ein neues, von ihnen als Aufgabe der Selbstverwaltung wahrzunehmendes Betätigungsfeld.
      Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs usurpiert die Klägerin durch ihre Beschlüsse zum Programm zur Förderung der Solidarität der Städte auch kein die Grenzen ihres Selbstverwaltungsrechts überschreitendes allgemeines politisches Mandat. Der Verwaltungsgerichtshof folgert dies zu Unrecht aus dem Inhalt des Programms, das er als einen Beitrag zur Friedenspolitik in Form eines Appells zur Abrüstung in Ost und West würdigt. Er meint, weil hierdurch letztendlich Fragen der Abrüstung und der Verteidigungspolitik angesprochen seien, bemächtige sich die Klägerin eines allgemeinpolitischen, außerhalb ihres gemeindlichen Wirkungskreises liegenden Gegenstands.
      Ein solcher Schluß läßt zum einen den für die rechtliche Würdigung des Programms zur Förderung der Solidarität der Städte - als Grundlage der zu beurteilenden internationalen Städtepartnerschaft - wesentlichen Gesichtspunkt außer acht, daß das Programm mit dem vom Verwaltungsgerichtshof festgestellten friedenspolitischen Anliegen die Zielsetzung einer friedlichen Völkerverständigung verfolgt. Ein solches Anliegen entspricht den Zielvorgaben des Grundgesetzes, das in seiner Präambel das Bekenntnis des deutschen Volkes enthält, "in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". Der Gedanke der Völkerverständigung genießt sogar ausdrücklich, und zwar in Art.9 Abs.2 GG ... niedergelegten verfassungsrechtlichen Schutz. Gesehen zusammen mit Art.24 Abs.2 GG, der die Wahrung des Friedens im Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen des Bundes betrifft, gewinnt so die Friedenspolitik die Bedeutung eines verfassungsrechtlich anerkannten und geschützten Werts. Schon aus Gründen der Einheit der Verfassung kann dies nicht ohne Einfluß auch auf den Umfang des verfassungsrechtlich verbürgten Rechts der gemeindlichen Selbstverwaltung sein. Die friedenspolitische Programmatik einer Städtepartnerschaft macht den Beitritt zu einer solchen Städtepartnerschaft darum nicht bereits deshalb unzulässig, weil Art.28 Abs.2 Satz 1 GG der Gemeinde ansonsten die Betätigung in allgemeinpolitischen Bereichen verwehrt.
      Zum anderen will sich das ... Programm zur Förderung der Solidarität der Städte als ein Mittel zur Werbung für eine Abrüstung der Kernwaffen in Ost und West verstanden wissen. Das schließt eine einseitig die Verteidigungspolitik des Bundes ansprechende Zielrichtung aus. Es ist Wesensmerkmal des politischen Meinungsstreits, daß die Beteiligten den Gegenstand ihres Streits politisch unterschiedlich bewerten und insoweit Gegensätze ausgetragen werden müssen. Gerade hieran fehlt es jedoch bei der Forderung nach weltumspannender Abrüstung, die als solche unumstritten ist. Die Klägerin mischt sich schon deshalb ... nicht unzulässig in die den Gemeinden verschlossene Verteidigungspolitik ein. Schließlich geben auch die Mittel, derer sich die Städtepartner nach dem Programm zur Verfolgung ihrer Absicht bedienen (Austausch von Botschaften, von Material, Büchern und anderen Publikationen; Vorbereitung einer Konferenz der Bürgermeister der Mitgliedstädte in Nagasaki und Hiroshima, deren Ergebnis in einer Sondersitzung der Vereinten Nationen vorgetragen werden soll), keinen Anlaß zu einer abweichenden Beurteilung.
      Art.32 Abs.1 GG, der die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten zur Sache des Bundes macht, schließt die dem Art.28 Abs.2 Satz 1 GG gegebene Auslegung durch den erkennenden Senat nicht aus. "Kommunale Außenpolitik", wie sie sich in internationalen Städtepartnerschaften vollzieht, wird nach allgemeiner Ansicht nicht von der auswärtigen Gewalt umfaßt ...
      Die Beschlüsse der Ersten Weltfriedenskonferenz von Bürgermeistern ... wurden in Ausführung des Programms zur Förderung der Solidarität der Städte gefaßt. Die Bewertung des Programms als einer den politischen Meinungsstreit übergreifenden internationalen Abrüstungsinitiative auf dem Gebiet der atomaren Bewaffnung gilt mit Blick auf den festgestellten Inhalt dieser Beschlüsse auch für sie. Der diese Beschlüsse billigende Beschluß des Stadtrats der Klägerin wird deshalb wie der Beitrittsbeschluß selbst durch das Selbstverwaltungsrecht des Art.28 Abs.2 Satz 1 GG als Rechtsgrundlage getragen.

Hinweis:

      Vgl. auch das Urteil desselben Senats vom selben Tag (BVerwGE 87, 228), aus dem sich ergibt, daß eine Gemeindevertretung mit der allgemeinen Erklärung des Gemeindegebiets zur atomwaffenfreien Zone den Bereich des der Gemeinde zustehenden kommunalen Selbstverwaltungsrechts verläßt und rechtswidrigerweise in die überörtliche Verteidigungspolitik eingreift. Demgegenüber ist es einer Gemeinde nicht verwehrt, spezifisch zu einer etwaigen Stationierung von Atomwaffen in ihrem Gemeindegebiet schon Stellung zu nehmen, wenn eine solche Stationierung noch nicht konkret ins Auge gefaßt wurde.