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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


350. STAATENSUKZESSION

Nr.92/1

Allein der souveräne Staat Slowenien ist befugt, eine vor dem Zerfall Jugoslawiens von einem Gericht in Slowenien verhängte Freiheitsstrafe zu vollstrecken. Daher ist eine Auslieferung zu Vollstreckungszwecken an den jugoslawischen Reststaat (Serbien und Montenegro) unzulässig.

Only the sovereign state of Slovenia is authorized to execute a prison sentence imposed by a court in Slovenia before the disintegration of Yugoslavia. Therefore an extradition for to the rump Yugoslav state (Serbia and Montenegro) for the purpose of executing the sentence is inadmissible.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluß vom 11.2.1992 (4 Ausl [A] 326/90), NJW 1992, 1467 (ZaöRV 54 [1994], 519)

Einleitung:

      Das Gericht hatte über die Zulässigkeit der Auslieferung eines 1988 vom Obergericht Ljubljana (Slowenien) zu Haftstrafe Verurteilten an Restjugoslawien (Serbien und Montenegro) zu entscheiden. Es erklärte diese für unzulässig.

Entscheidungsauszüge:

      Eine Auslieferung des Verfolgten an die jugoslawische Regierung kommt deshalb nicht in Betracht, weil jene nach der Anerkennung des souveränen Staates Slowenien nicht mehr aktivlegitimiert ist, die Vollstreckung einer von einem slowenischen Gericht ausgeurteilten Freiheitsstrafe durchzusetzen und demgemäß nicht befugt ist, einen Auslieferungsanspruch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen.
      1. Der deutsch-jugoslawische Auslieferungsvertrag (AuslV) vom 26.11.1970 (BGBl.II 1974, 1258; II 1975, 1725) sieht in Art.1 Abs.1 eine Auslieferungsverpflichtung der Vertragsstaaten bezüglich solcher Personen vor, die von den Justizbehörden des ersuchenden Staates zur Vollstreckung einer gerichtlich rechtskräftig erkannten Strafe gesucht werden. Justizbehörden im Sinne dieser Bestimmung sind Gerichte und Staatsanwaltschaften des ersuchenden Staates. Im vorliegenden Fall ist das gegen den Verfolgten bestehende verurteilende Erkenntnis nicht von einem Gericht des gegenwärtig noch existierenden jugoslawischen Reststaates, sondern von einem Gericht des inzwischen souveränen Staates Slowenien, dem Obergericht Laibach, gefällt worden. Die Vollstreckungshoheit hinsichtlich dieses Urteils steht deshalb nicht mehr der jugoslawischen Regierung, sondern der Regierung der Republik Slowenien zu.
      Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Klärung der völkerrechtlichen Frage, ob der am 14.11.1975 in Kraft getretene deutsch-jugoslawische Auslieferungsvertrag weiterhin Bestand hat und Grundlage für den deutsch-jugoslawischen Auslieferungs- und Rechtshilfeverkehr ist. Jedenfalls gewährt der Auslieferungsvertrag keinen völkerrechtlich verbindlichen Anspruch auf Auslieferung von solchen Personen, die nicht von Gerichten des jugoslawischen Reststaates verurteilt worden sind. Mit der Erlangung der völkerrechtlichen Souveränität steht das Strafverfolgungs- und Strafvollstreckungsmonopol ausschließlich der Republik Slowenien zu, soweit es um die Verfolgung von Straftaten, die auf ihrem Staatsgebiet begangen worden sind, oder die Vollstreckung von Urteilen, die von ihren Gerichten gefällt worden sind, geht.
      Es bedarf auch keiner Klärung der Frage, ob die jugoslawische Regierung im Wege einer Stellvertretung berechtigt sein könnte, den der Republik Slowenien zustehenden Auslieferungsanspruch geltend zu machen. Einerseits ist eine solche Stellvertretung im Auslieferungsvertrag naturgemäß nicht vorgesehen. Andererseits ist nicht ersichtlich und auch völlig unwahrscheinlich, daß die slowenische Regierung die jugoslawische Regierung zu einem solchen Vorgehen ermächtigt haben könnte. Jedenfalls ist dem Senat in dieser Hinsicht nichts mitgeteilt worden.
      2. Diese Einschätzung des Senats deckt sich auch mit der materiell-rechtlichen Grundlage in §§2 Abs.1 und 2, 10 Abs.1 und 3 IRG. Da es nicht um die Vollstreckung eines in dem ersuchenden ausländischen Staat (Jugoslawien) verhängten Urteils geht, kommt eine Anwendung von §§2 Abs.1, 10 Abs.1 IRG nicht in Betracht. Aber auch eine Anwendung von §§2 Abs.2, 10 Abs.3 IRG scheidet aus, weil der ersuchende Staat (Jugoslawien) die Vollstreckung der Strafe nicht vom Urteilsstaat (Slowenien) mit dessen Einverständnis übernommen hat. Insofern wäre die Vorlage von Urkunden des Drittstaates und des ersuchenden Staates erforderlich, aus denen sich einwandfrei ergibt, daß der Drittstaat mit der Vollstreckung durch den Staat, der die Vollstreckung übernehmen soll, einverstanden ist. Nach der amtlichen Begründung zum IRG soll mit dieser Regelung sichergestellt werden, daß der ersuchende Staat nicht die Auslieferung mit dem Ziel einer Vollstreckung betreibt, zu der er völkerrechtlich dem Urteilsstaat gegenüber nicht berechtigt ist (vgl. BT-Drs.9/1338, S.46).
      Da solche Urkunden nicht vorgelegt worden sind und es in Anbetracht der politischen Lage auch völlig unwahrscheinlich ist, daß solche Urkunden unterfertigt worden sind, ist eine Auslieferung des Verfolgten an die jugoslawische Regierung auf Dauer unzulässig.