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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


482. ANERKENNUNG AUSLÄNDISCHER EXEKUTIVAKTE

Nr.88/1

Es verstößt nicht notwendig gegen den ordre public, wenn die Besteuerung in einem anderen Staat dazu führt, daß eine Person ihr gesamtes Vermögen verliert. Eine derartige indirekte Enteignung kann daher von der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland als wirksam anerkannt werden.

It is not necessarily contrary to public policy if taxation of a person in another state leads to that person's loss of his or her entire fortune. Such an indirect expropriation may therefore be recognized as valid by the legal order of the Federal Republic of Germany.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.9.1988 (IX ZR 263/78), RIW 1989, 61 (ZaöRV 50 [1990], 83)

Einleitung:

      Der Kläger hatte in der DDR eine umfangreiche Antiquitätensammlung besessen. Diese war von den DDR-Finanzbehörden im Rahmen eines Nachbesteuerungsverfahrens gepfändet und durch Verkauf an eine DDR-Firma verwertet worden. Die beklagte westdeutsche Antiquitätenhändlerin erwarb von dieser Firma u.a. eine Standuhr, die früher zu der Sammlung des Klägers gehört hatte. Der Kläger verlangt die Herausgabe dieser Standuhr, die seiner Meinung nach noch immer in seinem Eigentum stehe. Das Kammergericht hatte der Klage stattgegeben, da es sich bei dem Nachbesteuerungsverfahren um eine gegen den ordre public verstoßende enschädigungslose Enteignung gehandelt habe. Der BGH tritt dieser Auffassung entgegen.

Entscheidungsauszüge:

      III. Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, das gegen den Kläger durchgeführte Nachbesteuerungsverfahren, das zum Verlust seiner gesamten Kunst- und Antiquitätensammlung geführt habe, stelle bei angemessener Würdigung der gesamten Begleitumstände eine entschädigungslose Enteignung dar. Diese stehe im Widerspruch zu der in der Bundesrepublik geltenden Rechtsordnung und verstoße deshalb gegen den ordre public. Hierzu führt das Berufungsgericht aus: Es lasse sich zwar nicht mit der nötigen Sicherheit feststellen, daß das Steuerverfahren auf reiner Willkür beruhe und lediglich dem Zweck gedient habe, die wertvolle Kunst- und Antiquitätensammlung des Klägers für Zwecke des Staates zu verwerten. Jedoch sei die Anwendung des Steuerrechts der DDR im vorliegenden Fall als Enteignung zu werten. Die für die Jahre 1972-1981 nachzuentrichtende Einkommen- und Vermögensteuer sei auf 1 428 095 M festgesetzt worden. Das mache bereits etwa 90% des für diesen Zeitraum von den Finanzbehörden der DDR auf 1 595 886 M geschätzten Gewinns des Klägers aus seiner Handelstätigkeit aus. Hinzu kämen noch Nebenforderungen für Verzugszinsen, eine sogenannte Umbewertungsdifferenz, eine Beschwerdegebühr in Höhe von 94 973 M und die verhängte Geldstrafe von 100 000 M, zusammen 621 464 M, wodurch der Gewinn des Klägers um 453 673 M überschritten werde. Diese Besteuerung habe letztlich dazu geführt, daß der Kläger sein auf etwa 2 Mio M geschätztes Vermögen verloren habe. Ein derartiges Besteuerungssystem sei mit der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland unvereinbar. Denn das Einkommensteuerrecht der DDR stehe in Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen. Das Gebot der Gleichheit der Besteuerung sei ihm fremd. Die Besteuerung der Angehörigen freier Berufe richte sich nach ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit. Der freie Unternehmer werde einem Sonderrecht unterstellt, das ihm härtere Lasten auferlege als den anderen Bürgern. Ein solches Besteuerungssystem verstoße ganz offensichtlich gegen den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit und gegen das Rechtsstaatsprinzip.
      Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
      1. Als Enteignung kommen auch hoheitliche oder nur formal in ein privatrechtliches Gewand gekleidete Akte oder rein tatsächliche Eingriffe in Betracht, die zwar nicht als Enteignung bezeichnet, aber insgesamt gesehen nach Tendenz und Wirkung einer solchen gleichzuachten sind (BGH, ... WM 1971, 1502, 1505). Auch das gegen den Kläger durchgeführte Nachbesteuerungsverfahren, das zum Verlust seiner gesamten Antiquitätensammlung geführt hat, könnte daher als Enteignung zu werten sein.
      2. Die Feststellungen des Berufungsgerichts und der Vortrag des Klägers lassen jedoch im Streitfall die Wertung, es liege eine entschädigungslose Enteignung vor, nicht zu.
      a) Von wesentlicher Bedeutung ist dabei zunächst, daß das Berufungsgericht nicht hat feststellen können, daß das gegen den Kläger durchgeführte Besteuerungsverfahren wegen seiner An- und Verkäufe von Antiquitäten als Sammler eine reine Willkürmaßnahme der Finanzbehörden der DDR dargestellt hat. Dabei hat das Berufungsgericht unter anderem darauf abgestellt, daß der Kläger sowohl im Steuerverfahren als auch im Strafverfahren eine Handelstätigkeit, wenn auch in geringem Umfang eingeräumt hat. ...
      b) Das Berufungsgericht begründet seine Wertung, im Streitfall liege eine entschädigungslose Enteignung vor, mit dem seiner Ansicht nach konfiskatorischen Charakter der Steuergesetze der DDR. ... Wie auch der Prozeßvertreter des Klägers in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, ist der zugrunde gelegte Einkommensteuersatz für sich genommen nicht zu beanstanden. Der Kläger mußte für den auf 1 595 886 M geschätzten Gewinn 1 215 995 M Einkommensteuer nachzahlen. Das sind 76,2%. Dieser Steuersatz liegt zwar erheblich über dem in der Bundesrepublik geltenden Höchstsatz der Einkommensteuer. Wie die Revision mit Recht geltend macht, gelten jedoch auch in einigen westlichen Staaten ähnlich hohe Einkommensteuersätze wie in der DDR. Auch der Umstand, daß zu der Einkommensteuer noch die Umsatzsteuer, die Vermögensteuer und Säumniszuschläge hinzukommen, rechtfertigt es nicht, in der Besteuerung des Klägers eine entschädigungslose Enteignung zu sehen. Schließlich ist auch nicht dargetan, daß der Kläger in irgendeiner Weise diskriminiert worden und nicht den gleichen Besteuerungsgrundsätzen unterworfen ist, die für alle Bürger der DDR gelten.
      Da mithin nicht von einer entschädigungslosen Enteignung des Klägers auszugehen ist, stellt sich die Frage, ob eine solche Enteignung gegen den ordre public verstößt, im vorliegenden Fall nicht.