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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


490. TERRITORIALITÄTSGRUNDSATZ BEI AUSÜBUNG DER STAATSGEWALT

Nr.91/1

Die Bejahung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nach §23 ZPO setzt neben der Vermögensbelegenheit einen hinreichenden Inlandsbezug des Rechtsstreits voraus.

§23 of the Code of Civil Procedure requires that for German courts to have international jurisdiction not only must the property be located in Germany but the litigation must also involve a sufficient relation to Germany.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 2.7.1991 (XI ZR 206/90), BGHZ 115, 90 (ZaöRV 53 [1993], 372 f.)

Einleitung:

      Die Klägerin ist Mitinhaberin des zypriotischen Bauunternehmens M Ltd. Aus von M abgetretenem Recht macht sie einen Rückzahlungsanspruch gegen die beklagte türkische Großbank geltend, die eine Niederlassung nebst Repräsentanz in Deutschland hat. Dem Rechtsstreit zugrunde liegen Garantieabsprachen für ein Bauprojekt in Libyen, das gescheitert war. Die M Ltd. hatte ihren Rückzahlungsanspruch zunächst vor einem englischen Gericht einzuklagen versucht, war dort aber wegen des forum-non-conveniens-Prinzips erfolglos geblieben. Die deutschen Gerichte verneinten ihre internationale Zuständigkeit ebenfalls.

Entscheidungsauszüge:

      A. Das Berufungsgericht hat für die Begründung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nach §23 S.1 Alt.1 ZPO über die Vermögensbelegenheit hinaus einen Inlandsbezug des Rechtsstreits gefordert. Einen solchen Inlandsbezug, etwa aufgrund einer Rechts- oder Beweisnähe des Sachverhalts, eines inländischen Wohnsitzes oder schützenswerter inländischer Interessen der Klägerin hat es verneint.
      B. Das hält der revisionsrechtlichen Prüfung stand. Das Berufungsgericht hat den Gerichtsstand des Vermögens (§23 S.1 Alt.1 ZPO), der hier allein zur Begründung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte in Betracht kommt, zu Recht als nicht gegeben angesehen. ...
      III. ... 1. §23 S.1 Alt.1 ZPO bestimmt, daß für die Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, die im Inland keinen Wohnsitz hat, das Gericht örtlich und damit international zuständig ist, in dessen Bezirk sich Vermögen derselben befindet. Der Umstand, daß die Vorschrift nach ihrem Wortlaut weder im Hinblick auf den Wert des Vermögens noch im Hinblick auf einen Inlandsbezug Einschränkungen enthält, hat in der Rechtsprechung zu einer im Schrifttum kritisierten weiten Auslegung und Anwendung geführt. Als Ausnahme von dem Grundsatz, daß die Klage am Gerichtsstand des Beklagten zu erheben ist (actor sequitur forum rei), hat §23 ZPO dazu gedient, die internationale Zuständigkeit zu bejahen bei einem vom Beklagten zurückgelassenen Handelsbuch ... und bei zurückgelassenen Obstkörben ..., ohne einen Inlandsbezug des geltend gemachten Anspruchs zu fordern. Das hat dazu geführt, daß der so verstandene Vermögensgerichtsstand u.a. als unerwünscht, exorbitant und als Kampfgerichtsstand bezeichnet worden ist ...
      In der nur am Wortlaut orientierten Auslegung ist §23 ZPO zwar weder verfassungs- noch völkerrechtswidrig ..., jedoch hinsichtlich seiner inneren Berechtigung umstritten ... Er bedarf einer auch vom Bundesverfassungsgericht für geboten erachteten "völkerrechtskonformen" Auslegung durch die Gerichte (BVerfGE 64, 1, 20). ...
      b) Einschränkungen gegenüber der bisherigen Auslegung sind ... insoweit angebracht, als der Vermögensgerichtsstand nur gegeben sein kann, wenn der Rechtsstreit einen hinreichenden Bezug zum Inland hat. Das ist hier nicht der Fall. Der Senat schließt sich insoweit der zunehmend vertretenen Auffassung an, daß die Zuständigkeit deutscher Gerichte über §23 S.1 Alt.1 ZPO nur begründet wird, sofern der Rechtsstreit einen über die Vermögensbelegenheit hinausgehenden Inlandsbezug aufweist ...
      bb) Eine solche Auslegung, für die §23 ZPO ... Raum läßt ..., ist ... auch im Hinblick auf die völkerrechtliche Vertragspraxis geboten. Diese ist ... zunehmend davon geprägt, den Vermögensgerichtsstand, wie er bisher verstanden worden ist, auszuschließen oder einzuschränken:
      (1) Nach Art.3 Abs.2 EuGVÜ, dem die Türkei nicht beigetreten ist, ist die Anwendung des §23 ZPO gegenüber solchen Personen ausgeschlossen, die ihren Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten haben. ...
      (2) Einen unmittelbaren Ausschluß der Vermögenszuständigkeit enthält - von bestimmten Ausnahmen abgesehen - auch Art.20 Abs.1 des deutsch-norwegischen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrages vom 17.Juni 1977 (BGBl.1981 II, 341); der Gerichtsstand des Vermögens bleibt grundsätzlich auf den Fall beschränkt, daß der Wert des geltend gemachten Anspruchs den Wert des im Gerichtsstand belegenen Vermögens nicht übersteigt (Art.20 Abs.2 Nr.3).
      (3) Weitere bilaterale Verträge mißbilligen den Vermögensgerichtsstand, indem sie die Anerkennung eines auf Vermögenszuständigkeit gegründeten Urteils ausschließen oder einschränken und damit indirekt dem Gerichtsstand die Zuständigkeit versagen.
      So ist nach einer Reihe von zwischenstaatlichen Verträgen die Anerkennung einer auf den Vermögensgerichtsstand gestützten Entscheidung generell zu versagen, weil darin die Belegenheit des Vermögens nicht als Zuständigkeit genannt ist. Dazu zählen das deutsch-britische Vollstreckungsabkommen vom 14. Juli 1960 (BGBl.1961 II, S.301, Gerichtsstandskatalog in Art.IV), das deutsch-italienische Vollstreckungsabkommen vom 18.Mai 1937 (RGBl.1937 II, S.145, Gerichtsstandskatalog in Art.2, Wiederanwendung ab 1. Oktober 1952 - BGBl.1952 II, S.986), soweit es nach Maßgabe der Art.55, 56 EuGVÜ noch in Geltung ist, ferner das deutsch-schweizerische Vollstreckungsabkommen vom 2. November 1929 (RGBl.1930 II, S.1066, Gerichtsstandskatalog in Art.2) und das deutsch-tunesische Vollstreckungsabkommen vom 19. Juli 1966 (BGBl.1966 II, S.890, Gerichtsstandskatalog in Art.31).
      Nach Art.3 Nr.4 des deutsch-griechischen Vollstreckungsvertrages vom 4. November 1961 (BGBl.1963 II, S.109) und Art.2 Nr.4 des deutsch-österreichischen Vollstreckungsabkommens vom 6. Juni 1959 (BGBl.1960 II, S.1246) darf die Anerkennung versagt werden, wenn für die Entscheidung lediglich der Gerichtsstand des Vermögens gegeben war und die unterlegene Partei sich auf den Rechtsstreit nicht oder nach ausdrücklicher Erklärung nur im Hinblick auf den Vermögensgerichtsstand eingelassen hat.
      Solche und ähnliche Einschränkungen des Vermögensgerichtsstandes sehen auch einige bilaterale Vollstreckungsabkommen der Republik Österreich, die mit §99 Jurisdiktionsnorm einen dem §23 ZPO entsprechenden Gerichtsstand geschaffen hat, mit anderen Staaten vor. ...
      cc) Angesichts dieser völkerrechtlichen Tendenzen ist eine an seinem eigentlichen Sinn und Zweck orientierte Auslegung des §23 ZPO notwendig, soweit die internationale Zuständigkeit berührt ist.
      Die ... Entstehungsgeschichte der Vorschrift zeigt, daß sie als Inländerschutzvorschrift nicht etwa dazu dienen sollte, Ausländern einen Gerichtsstand zur Austragung von Streitigkeiten zu verschaffen, die ihren Ursprung ausschließlich im Ausland haben und nach ausländischem Recht zu entscheiden sind. Es widerspräche dieser gesetzgeberischen Vorstellung, §23 ZPO im Wege der reinen Wortauslegung so zu verstehen, daß allein das Vorhandensein von Inlandsvermögen des Beklagten ausreiche, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für jedwede Streitigkeit zwischen Parteien ohne Wohnsitz in Deutschland zu begründen und damit in weitem Umfang dem "forum shopping" d.h. der berechnenden Auswahl des Gerichtsstandes, Vorschub zu leisten ... Dadurch würden solche Streitigkeiten - jedenfalls im Umfang der Vollstreckungsmöglichkeiten im Inland - zugleich den sonst zuständigen ausländischen Gerichten entzogen. Die darin liegende - durch sachliche Erfordernisse nicht zu rechtfertigende - Zuständigkeitsanmaßung der deutschen Gerichtsbarkeit müßte zu außenwirtschaftlichen und außenpolitischen Belastungen führen. Auf solche Gefahren hat bereits das Bundesverfassungsgericht in dem ... Beschluß vom 12. April 1983 (BVerfGE 61, 1, 18) hingewiesen. Entgegen der Auffassung der Revision hat es die Vorsorge gegen "rechts- oder wirtschaftspolitisch als unerwünscht erachtete Ausgestaltungen der deutschen nationalen Zuständigkeit" nicht als alleinige Sache des Gesetzgebers angesehen, sondern dies ausdrücklich "jenseits der Möglichkeiten der gebotenen völkerrechtskonformen Auslegung ... durch die Gerichte" als gesetzgeberische Aufgabe bezeichnet ...
      Nur eine auf den hinreichenden Inlandsbezug abstellende Auslegung des §23 ZPO begrenzt in sachbezogener und völkerrechtskonformer Weise die mit dem Vermögensgerichtsstand verbundene Beeinträchtigung der Verteidigungsmöglichkeiten des ausländischen Beklagten, der es hinnehmen muß, den nach allgemeinen Regeln zuständigen Gerichten seines Heimatstaates entzogen zu werden und sich vor ausländischen - im Zweifel weder mit dem anzuwendenden Recht noch mit den örtlichen Handelsbräuchen und Verkehrssitten vertrauten - Gerichten in einer fremden Sprache durch ihm unbekannte Anwälte verteidigen zu müssen. Der Senat teilt nicht die ... Ansicht, der bloße Erwerb oder Besitz von Vermögen im Inland zeige eine "Affinität zur Bundesrepublik Deutschland", die eine Gerichtspflichtigkeit des Vermögensinhabers vor deutschen Gerichten rechtfertige. Eine solche Betrachtungsweise berücksichtigt nicht hinreichend, daß ausländische Kaufleute und Unternehmen, insbesondere Banken, aus Gründen internationaler Wettbewerbsfähigkeit Vermögen in einer Vielzahl von Staaten haben müssen, und verkürzt die Problematik durch Heranziehung von Extremfällen ..., denen unter dem Gesichtspunkt internationaler Notzuständigkeit begegnet werden kann.