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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


610. DEUTSCHE STAATSANGEHÖRIGKEIT

Nr.86/1

Die Ablehnung eines Einbürgerungsantrags kann nach §8 RuStAG ermessensfehlerfrei darauf gestützt werden, daß der Antragsteller nach seinem Verhalten keine Gewähr dafür biete, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen und für ihre Erhaltung einzutreten.

The naturalization of an alien, which Sec.8 of the German Nationality Act places in the discretion of the competent public authority, may be refused because the behavior of an applicant raises doubts as to his or her allegiance to the free democratic constitutional order and his or her willingness to support this order.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.10.1986 (1 C 44.84), BVerwGE 75, 86 (ZaöRV 48 [1988], 47)

Einleitung:

      Der Kläger, ein italienischer Staatsangehöriger, erstrebt seine Einbürgerung. Er wurde 1956 in Freiburg im Breisgau als eheliches Kind einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters geboren und lebt seitdem im Bundesgebiet. Von der Möglichkeit, aufgrund des Art.3 des Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAÄndG 1974) vom 20.12.1974 (BGBl. I S. 3714) die deutsche Staatsangehörigkeit durch eine bis zum 31.12.1977 abzugebende Erklärung zu erwerben, hat er keinen Gebrauch gemacht.
      Der Kläger beantragte die Einbürgerung nach Abschluß seines Studiums im Oktober 1981. Die Beklagte lehnte den Antrag ab und begründete dies im wesentlichen damit, daß der Bewerber nach seinem Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart keine Gewähr dafür biete, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen und für ihre Erhaltung einzutreten. Der Kläger sei seit 1977 Mitglied der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend und von 1977 bis 1981 Mitglied des Marxistischen Studentenbundes Spartakus (MSB Spartakus) gewesen. Die Klage wurde abgewiesen.

Entscheidungsauszüge:

      Die Klage ist nicht begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, soweit es annimmt, die Beklagte habe ihr Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt.
      Ein Ausländer, der sich im Inland niedergelassen hat, kann nach §8 Abs.1 RuStAG unter den dort genannten Mindestvoraussetzungen eingebürgert werden. Die Einbürgerung steht im grundsätzlich weiten Ermessen der Behörde. Bei der Ausübung des Ermessens ist darauf abzustellen, ob ein staatliches Interesse an der beantragten Einbürgerung besteht. Die Behörde hat demgemäß zu prüfen, ob die Einbürgerung sowohl nach den persönlichen Verhältnissen des Bewerbers als auch nach allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkten im staatlichen Interesse erwünscht ist (BVerwGE 67, 177 [179] ...). Eine Abwägung mit den persönlichen Interessen des Bewerbers findet nicht statt. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Behörde rechtsfehlerhaft gehandelt, insbesondere von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§§113 Abs.4, 114 VwGO). Die Verwaltungsgerichte dürfen nicht eigenes Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens setzen, wenn ihnen eine dem Bewerber günstigere Ermessensausübung den Umständen des konkreten Falles gemäßer erscheint.
      a) Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, daß ein Rechtsfehler vorliegt, wenn die Behörde ein - das Einbürgerungsermessen einengendes - Wohlwollensgebot bei ihrer Entscheidung nicht beachtet (BVerwGE 49, 44 [46 ff.]). Das Berufungsgericht bejaht ein Wohlwollensgebot für Abkömmlinge Deutscher, die aufgrund der früheren, für verfassungswidrig erklärten Fassung des §4 Abs.1 RuStAG die deutsche Staatsangehörigkeit nicht nach ihrer Mutter durch Geburt erworben haben. Darin ist ihm nicht zu folgen. ...
      ... Die deutsche Abstammung ist zwar für den Erwerb der Staatsangehörigkeit von zentraler Bedeutung. Sie bildet den wichtigsten Erwerbsgrund (§4 RuStAG). Daraus folgt aber nicht, daß ein staatliches Interesse an der Einbürgerung von Personen vorgegeben wäre, die trotz ihrer deutschen Abstammung die deutsche Staatsangehörigkeit nicht (mehr) besitzen. Insbesondere ist der im vorliegenden Falle allein in Betracht kommenden allgemeinen Einbürgerungsermächtigung des §8 RuStAG dafür nichts zu entnehmen. Dasselbe gilt für §13 RuStAG. Diese Vorschrift ermöglicht die Einbürgerung ehemaliger Deutscher und ihrer Abkömmlinge, die im Ausland leben; eingeschlossen sind Abkömmlinge solcher Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit (wieder) besitzen (BVerwGE 68, 220 [238]). Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, daß an der Einbürgerung dieser von §8 RuStAG nicht erfaßten Personen ebenfalls ein staatliches Interesse bestehen kann, z. B. aus außenwirtschaftlichen Gründen. Sie anerkennt damit aber nicht zugleich, daß bei Vorliegen der von ihr geforderten Mindestvoraussetzungen gruppentypisch ein solches Interesse gesetzlich vorgezeichnet wäre. Im Rahmen des Ermessens nach §8 RuStAG prüft demnach die Behörde auch bei Bewerbern, die von einem Deutschen abstammen, nach allgemeinen Grundsätzen, ob sie unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände des Falles ein staatliches Interesse an der Einbürgerung bejaht. Zu diesen Umständen gehören selbstverständlich die deutsche Abstammung und Muttersprache des Bewerbers sowie die Dauer seines inländischen Aufenthalts. Sie können in besonderem Maße die für eine Einbürgerung vorauszusetzende Hinwendung zu Deutschland und Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse anzeigen und demgemäß eine positive Entscheidung begünstigen. Auch wenn danach im Einzelfall manches für eine Einbürgerung des von einem Deutschen abstammenden Bewerbers spricht, darf die Behörde aufgrund ihres weiten Ermessens die Einbürgerung gleichwohl ablehnen, wenn sie aus sachgerechten Gründen zu dem Ergebnis kommt, daß diese nicht im staatlichen Interesse liegt. ...
      Eine Ermessenseinengung ergibt sich ferner nicht daraus, daß die den Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt regelnde Vorschrift des §4 RuStAG in der Fassung zur Zeit der Geburt des Klägers wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung (Art.3 Abs.2 GG) verfassungswidrig war (BVerfGE 37, 217). Den von der Verfassungswidrigkeit des früheren §4 RuStAG betroffenen Personen ist durch Art.3 RuStAÄndG 1974 das Recht eingeräumt worden, bis zum 31. Dezember 1977 die deutsche Staatsangehörigkeit durch Erklärung zu erwerben. Damit hat der Gesetzgeber die Folgen ausreichend beseitigt, die sich für die Betroffenen aus dem Verfassungsverstoß ergeben haben. ...
      Die Behörden haben ihr Ermessen entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht deswegen rechtsfehlerhaft betätigt, weil sie wegen Fehlens staatsbürgerlicher Voraussetzungen ein staatliches Interesse an der Einbürgerung verneint haben.
      Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht ausgeführt, daß die Einbürgerungsbehörde ihr Ermessen - wie geschehen - nach Nr.3.1.2 der Einbürgerungsrichtlinien vom 15. Dezember 1977 (GMBl. 1978, 16 = GABl. 1978, 122) bilden darf. Nach dieser das Ermessen der Einbürgerungsbehörden steuernden Richtlinie muß der Bewerber nach seinem Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart Gewähr dafür bieten, daß er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt und für ihre Erhaltung eintreten wird. Die freiheitliche demokratische Grundordnung umfaßt die Grundprinzipien der Staatsgestaltung, die das Grundgesetz als unantastbar anerkennt und die deshalb gegen Angriffe verteidigt werden sollen (BVerfGE 5, 85 [139]). Der demokratische Staat des Grundgesetzes erwartet von seinen Bürgern eine Verteidigung seiner freiheitlichen Ordnung (BVerfGE 28, 36 [48]). Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entspricht demnach auch dem Zweck der Ermächtigung des §8 RuStAG. Deswegen kann die Aufnahme als neuer Staatsangehöriger abgelehnt werden, wenn die Behörde befürchtet, der Bewerber könnte sich künftig gegen diese Grundprinzipien des Staates wenden. Liegen tatsächliche Umstände vor, die es der Behörde zweifelhaft erscheinen lassen, daß der Bewerber sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt und für ihre Erhaltung eintreten wird, und sind diese Umstände objektiv geeignet, solche Zweifel hervorzurufen, ist es folglich nicht ermessensfehlerhaft, die Einbürgerung als nicht im staatlichen Interesse liegend abzulehnen ... Das der Behörde eingeräumte weite Ermessen verpflichtet sie nicht, den Umständen Vorrang beizumessen, die bei Bewerbern deutscher Abstammung die Einbürgerung regelmäßig begünstigen.
      Dagegen läßt sich nicht mit Erfolg einwenden, daß die Einbürgerung von Voraussetzungen abhängig gemacht werde, die zwar Angehörige des öffentlichen Dienstes kraft ihrer besonderen Treuepflicht erfüllen müssen, die aber von einem Staatsbürger sonst nicht zu verlangen sind. Das Ermessen nach §8 RuStAG läßt der Behörde einen Spielraum bei der Bestimmung der Schwelle, die sie zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufrichtet. Sie braucht nicht von der denkbar höchsten Schwelle auszugehen. Sie ist aber andererseits auch nicht verpflichtet, staatsbürgerliche Bedenken zurückzustellen, wenn sie sich auf ein Verhalten gründen, das dem Staatsbürger erlaubt ist, oder wenn eine konkrete Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung (noch) nicht vorliegt. Die Einbürgerungsbehörde hält sich im Rahmen des Ermessens, wenn sie in der angeführten Weise einer möglichen Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorbeugen will.
      Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich der Kläger als Mitglied des MSB Spartakus durch seine Kandidaturen für eine Vereinigung aktiv eingesetzt, zu deren Zielen die sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats gehören. Das Berufungsgericht hat - in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht - weiter festgestellt, daß die Beklagte und die Widerspruchsbehörde aufgrund dieses Verhaltens des Klägers tatsächlich berechtigte Zweifel haben, ob er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt und für ihre Erhaltung eintreten wird, und daß die Erklärungen des Klägers während des Rechtsstreits diesen Zweifeln nicht den Boden entziehen. Diese Würdigung läßt sich revisionsrechtlich nicht beanstanden. Insbesondere ist es rechtsfehlerfrei, daß die Vorinstanzen die genannten Ziele der Vereinigung als unvereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beurteilt haben (BVerfGE 39, 334 [360]; BVerwGE 76, 157 [163 ff.]). ...
      Zutreffend verneint das Berufungsgericht einen Verstoß gegen das Verbot, wegen politischer Anschauungen zu benachteiligen oder zu bevorzugen (Art.3 Abs.3 GG). Wie das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, gilt dieses Verbot nicht absolut (BVerfGE 39, 334 [368] ...) Es untersagt nur bezweckte Benachteiligungen, nicht aber Nachteile und Vorteile, die lediglich die Folge einer ganz anders intendierten Regelung sind, sich also aus der Natur der Sache ergeben, wie z.B. aus einer Maßnahme zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung. Das Differenzierungsverbot muß aus dem Kontext der eine streitbare, wehrhafte Demokratie begründenden Verfassung heraus ausgelegt werden. Nach diesen Grundsätzen ist das Differenzierungsverbot hier nicht verletzt.