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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


610. DEUTSCHE STAATSANGEHÖRIGKEIT

Nr.88/1

[a] Das Erfordernis einer Zustimmung der iranischen Regierung nach Nr.II des Schlußprotokolls zum Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.2.1929 gilt nicht für Anspruchseinbürgerungen von iranischen Staatsangehörigen.

[b] Bei Einbürgerungsbewerbern mit deutschen Ehegatten kann bei der Ausübung des Einbürgerungsermessens nach §8 Abs.1 RuStAG dem Grundsatz staatsangehörigkeitsrechtlicher Einheit in der Familie in Ausnahmefällen gegenüber dem Interesse an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit Vorrang zukommen.

[a] Naturalizations of Iranian citizens as of right do not require the consent of the Iranian government according to No.II of the Final Protocol to the Agreement on Establishment between the German Reich and the Persian Empire of 17 February 1929.

[b] When the discretion whether or not to naturalize an applicant is exercised pursuant to Sec.8 (1) of the German Nationality Law in the case of a spouse of a German, the principle of unitary citizenship of family members can in exceptional cases prevail over the interest in preventing one person from having multiple citizenships.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.9.1988 (1 C 41.87), BVerwGE 80, 249 (ZaöRV 50 [1990], 79)

Einleitung:

      Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, ist seit 1961 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet und betreibt in der Bundesrepublik eine Arztpraxis. Der Ehe entstammen zwei Kinder, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Der Kläger begehrte seine Einbürgerung ohne vorherige Entlassung aus der iranischen Staatsangehörigkeit, die er nicht hat erreichen können. Ebenso scheiterte ein Versuch des Beklagten, auf diplomatischem Wege die Zustimmung der iranischen Regierung zur Einbürgerung des Klägers zu erreichen. Das Oberverwaltungsgericht hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine Einbürgerung sei ohne Zustimmung der iranischen Regierung nicht möglich. Die Revision des Klägers führte zur Zurückverweisung der Sache.

Entscheidungsauszüge:

      2. ... Nach Nr.II des ... Schlußprotokolls zum Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17. Februar 1929 (RGBl.1930 II S.1002, 1006; Bekanntmachung vom 15. August 1955, BGBl. II S.829) - SchlPr - haben sich die Regierungen der vertragschließenden Staaten verpflichtet, keinen Angehörigen des anderen Staates ohne vorherige Zustimmung seiner Regierung einzubürgern. Diese Regelung steht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dem Klagebegehren nicht entgegen.
      Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß Nr.II SchlPr innerstaatlich geltendes Recht ist und eine zwingende Einbürgerungsvoraussetzung enthält ... Das Zustimmungserfordernis der Nr.II SchlPr ist aber auf Einbürgerungsansprüche nicht anwendbar. Das gilt auch, wenn sich ein solcher Anspruch aus einer im Einzelfall gegebenen Ermessensschrumpfung herleitet. Die abschließende Entscheidung der Sache erfordert danach weitere tatsächliche Feststellungen, die das Berufungsgericht zu treffen hat.
      3. Nach Nr.II SchlPr haben sich die "Regierungen" der vertragschließenden Staaten verpflichtet, keinen Angehörigen des anderen Staates ohne vorherige Zustimmung seiner Regierung einzubürgern. Diese Umschreibung der Vertragspflicht weicht von der im Rahmen des - außer dem Niederlassungsabkommen einen Freundschaftsvertrag sowie ein Handels-, Zoll- und Schiffahrtsabkommen umfassenden - Vertragswerkes sonst üblichen ab. Die Vertragspflichten werden durchweg als solche der "vertragschließenden Staaten" bezeichnet. Auch das Schlußprotokoll zum Niederlassungsabkommen spricht von den "vertragschließenden Staaten" (Nr.I SchlPr zu Art.8 Abs.3). Die in Rede stehende Verpflichtung der Regierungen ändert zwar nichts daran, daß völkerrechtlich die beiden Staaten berechtigt und verpflichtet sind. Der Umstand, daß die Vertragsvorschrift von Verpflichtungen der Regierungen spricht, ist deswegen aber nicht ohne Belang. Ihm ist auch rechtlicher Gehalt beizumessen.
      Zunächst deutet nichts darauf hin, daß die ausdrückliche Bezeichnung der Vertragspflicht als eine solche der "Regierungen" rechtlich unerheblich sein sollte. Naheliegend ist, daß sie einen Rechtsbereich erfassen soll, innerhalb dessen eine Regierung (Exekutive) ohne weiteres in der Lage ist, ein bestimmtes Handeln zu versprechen. Die Ausgestaltung als Regierungsverpflichtung deutet folglich darauf hin, daß sich die Vertragsvorschrift nur auf Einbürgerungen bezieht, die in der Dispositionsbefugnis der Regierung (Exekutive) liegen und demgemäß von ihr auch versagt werden dürfen. Dafür spricht ferner, daß Nr.II SchlPr nicht die Gesetzgebung der Vertragsstaaten, soweit sie den Staatsangehörigkeitserwerb durch Angehörige des jeweils anderen Vertragspartners betrifft, schlechthin binden will. Ein gesetzlicher Staatsangehörigkeitserwerb wird von ihr nicht erfaßt. In der Schaffung solcher Tatbestände sind die Vertragsparteien durch die Vereinbarung nicht gebunden. ... Die Exekutive kann den Erwerb bei Vorliegen des gesetzlichen Tatbestandes nicht verhindern. Demgegenüber werden zwar Einbürgerungen im Wege behördlicher Verfügungen bewirkt. Anspruchseinbürgerungen entsprechen aber im vorliegenden Zusammenhang wesentlich mehr den vorerwähnten Fällen als den die Regel bildenden Ermessenseinbürgerungen, bei denen der Behörde ein weiter Entscheidungsspielraum zusteht. Die Behörde ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des Einbürgerungsanspruchs gleichfalls nicht befugt, den Staatsangehörigkeitserwerb zu verhindern. Da außerdem nichts dafür vorliegt, daß die Regierungen sich zu Einbürgerungsentscheidungen entgegen zwingendem Recht verpflichten wollten, ist demnach Nr.II SchlPr dahin auszulegen, daß sie sich auf Anspruchseinbürgerungen nicht bezieht. Für diese Auslegung spricht darüber hinaus das völkerrechtliche Auslegungsprinzip, nach dem im Zweifel das die staatliche Souveranität weniger einschränkende Auslegungsergebnis zu wählen ist (BVerwGE 66, 29 [35]).
      Es besteht kein Anhalt, daß dementgegen die Vertragsparteien in ihrer Praxis Nr.II SchlPr einvernehmlich auf Anspruchseinbürgerungen anwenden, was für eine abweichende Vertragsauslegung sprechen würde (vgl. dazu Art.31 Abs.3 Buchst.b des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBl. 1985 II S.926 ...). Im Gegenteil: Wie der Oberbundesanwalt in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, betrachtet z.B. der Iran in Übereinstimmung mit der Bundesregierung Wiedereinbürgerungen iranischer Frauen, die aufgrund der Eheschließung mit einem Deutschen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben und die iranische verloren haben, nach dem Tode des Ehemannes, der Scheidung oder der Trennung der Ehe nicht als zustimmungsbedürftig, weil das iranische Recht (vgl. Art.987 iranisches Zivilgesetzbuch) insoweit einen Einbürgerungsanspruch gewährt.
      Gegen die dargelegte Auslegung läßt sich des weiteren nicht einwenden, sie ermögliche den Vertragsparteien, sich durch Schaffung von Einbürgerungsansprüchen ihrer Vertragspflicht zu entledigen. Die Staaten behalten sich für Einbürgerungen zumeist im eigenen Interesse ein weites Ermessen vor und statuieren Einbürgerungsansprüche nur ausnahmsweise für Fälle, in denen besonders enge Beziehungen des Bewerbers zu dem betreffenden Staate bestehen. Daher ist die Besorgnis, die Vertragspflicht könnte durch (mißbräuchliche) Ausübung des staatlichen Gesetzgebungsrechts unterlaufen werden, unbegründet.
      Bezieht sich demnach das Zustimmungserfordernis der Nr.II SchlPr nur auf Fälle, in denen es in der Rechtsmacht der Exekutive steht, die Einbürgerung vorzunehmen oder zu versagen, und erstreckt es sich deswegen nicht auf Anspruchseinbürgerungen, so muß dies auch gelten, wenn sich das Einbürgerungsermessen nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls ausnahmsweise so reduziert hat, daß sich die Behörde rechtmäßig nur für die Einbürgerung entscheiden darf. In diesen - grundsätzlich seltenen - Fällen handelt es sich ebenfalls nicht um Einbürgerungen, die in der Dispositionsbefugnis der Exekutive liegen.
      4. ... a) Für die Ausübung des grundsätzlich weiten Ermessens nach §8 Abs.1 RuStAG ist maßgebend, ob die Einbürgerung im staatlichen Interesse liegt (BVerwGE 75, 86 [88]). Dabei sind die Wertentscheidungen der Verfassung zu beachten, insbesondere Art.6 Abs.1 GG, nach dem Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen (BVerwGE 64, 7 [11 f.]).
      Im vorliegenden Falle ist als staatliches Interesse das Ziel erheblich, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Mehrstaatigkeit wird innerstaatlich und international als ein Übel betrachtet, das sowohl im Interesse der Staaten als auch des Einzelnen möglichst vermieden oder beseitigt werden sollte. Dieses Interesse ist gesetzlich anerkannt durch §§9 Abs.1 Nr.1, 25 Abs.1 RuStAG und das Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern vom 6.Mai 1963 (BGBl. 1969 II S.1953, 1962/BGBl. 1974 II S.1588). Die Behörde ist danach grundsätzlich befugt, eine zur Mehrstaatigkeit führende Einbürgerung abzulehnen (BVerwGE 64, 7 [10]).
      In Fällen wie dem vorliegenden muß außerdem berücksichtigt werden, daß nach dem Schutz- und Förderungsgebot des Art.6 Abs.1 GG eine einheitliche Staatsangehörigkeit in der Familie wünschenswert ist, wenn der Einbürgerungsbewerber seine Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen im Bundesgebiet führt. Eine gemeinsame Staatsangehörigkeit fördert regelmäßig die Einheit und den Zusammenhalt der im Inland lebenden Familie (BVerwGE 77, 164 [173]). Sie spricht daher für eine Einbürgerung.
      Wenn alle weiteren im Rahmen des Ermessens zu würdigenden Umstände Bedenken gegen die Einbürgerung nicht aufzeigen, muß zwischen dem Interesse an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit und dem an einer einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie abgewogen werden.
      b) Die gebotene Abwägung führt nicht zu einem generellen Vorrang des Interesses an einer einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie. Daran ändert nichts, daß dieses Interesse in dem Grundrecht des Art.6 Abs.1 GG eine verfassungsrechtliche Grundlage hat. Angesichts dessen, daß das Förderungsgebot des Art.6 Abs.1 GG den Behörden einen weiten Gestaltungsspielraum beläßt und ihnen eine angemessene Berücksichtigung anderer öffentlicher Interessen ermöglicht ..., ist das Einbürgerungsermessen nicht grundsätzlich dahin reduziert, daß Bewerber mit deutschem Ehegatten bei Fehlen anderer Hindernisse unter Inkaufnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert werden müssen ... Die Annahme einer solchen Ermessensreduktion wäre auch unvereinbar mit der gesetzgeberischen Wertung in §9 Abs.1 Nr.1 RuStAG. Insbesondere ist es regelmäßig nicht rechtsfehlerhaft, den Grundsatz einheitlicher Staatsangehörigkeit in der Familie gegenüber dem Interesse an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit zurückzustellen, wenn der Bewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit zumutbar aufgeben kann (BVerwGE 64, 7 [11]).
      Anders kann es aber liegen, wenn es der Heimatstaat dem Bewerber nicht oder nicht in zumutbarer Weise ermöglicht, seine bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben. Der Ausländer hat es bei einer solchen Sachlage nicht in der Hand, dem Interesse an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit zumutbar zu entsprechen. Das Ziel, den Ehegatten einheitlich die deutsche Staatsangehörigkeit zu verschaffen, läßt sich dann nicht ohne Hinnahme von Mehrstaatigkeit angemessen verwirklichen. Unter diesen Umständen entspricht es dem Rang des Schutz- und Förderungsgebots des Art.6 Abs.1 GG, bei der Ermessensausübung dieses Ziel dahin zu berücksichtigen, daß über eine Einbürgerung unter Inkaufnahme von Mehrstaatigkeit nicht engherzig entschieden wird. ... Eine Schrumpfung des Ermessens zu einem Einbürgerungsanspruch hin kann nur unter engen Voraussetzungen aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls bejaht werden.
      Das Interesse an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit muß allerdings ... um so eher zurücktreten, je länger die eheliche und familiäre Gemeinschaft besteht und der Ausländer im Inland lebt. Die ständig zunehmende Bindung an Deutschland stärkt das in Art.6 Abs.1 GG verankerte Interesse an der Einbürgerung und mindert das Gewicht des gegenläufigen Interesses, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Hinzu kommt ein allgemeines Interesse daran, Ausländer im fortgeschrittenen Lebensalter nicht ständig von der staatlichen Gemeinschaft auszuschließen, wenn sie aufgrund ihrer hiesigen langjährigen familiären, beruflichen und sozialen Bindungen auf Dauer im Bundesgebiet leben. Danach verdichtet sich bei auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Bewerbern das Ermessen zu einem Einbürgerungsanspruch vor allem mit Rücksicht auf einen langen ununterbrochenen Aufenthalt im Inland, eine langjährige Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen, ein fortgeschrittenes Lebensalter sowie das Zusammenwirken dieser Umstände, wenn alle übrigen Voraussetzungen, die aufgrund des Ermessens verlangt werden dürfen, erfüllt sind, insbesondere der Ausländer sich hinreichend lange und nachhaltig um die Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit bemüht hat ...
      c) Nach diesen Maßstäben ist - auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts - eine Verdichtung des Ermessens eingetreten. Für den Kläger ist die Entlassung aus der iranischen Staatsangehörigkeit nicht erreichbar. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat er über mehrere Jahre ohne Erfolg alle ihm möglichen und zumutbaren Anstrengungen unternommen, aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden. Weitere Bemühungen sind auf absehbare Zeit aussichtslos. Die Ehe des bereits über 50 Jahre alten Klägers besteht schon mehr als 25 Jahre ... Der Kläger lebt seit 20 Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet. ... Ferner sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ... alle sonst zu verlangenden Voraussetzungen für eine Ermessensreduktion erfüllt. Der Kläger ist insbesondere in die hiesigen Lebensverhältnisse voll eingegliedert. Umstände, die - abgesehen von dem Ziel, Mehrstaatigkeit zu vermeiden - sonst gegen seine Einbürgerung sprechen könnten, sind weder geltend gemacht worden noch ersichtlich. Das gilt im Hinblick auf die medizinische Ausbildung des Klägers auch für etwaige entwicklungspolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland. Diese sind inzwischen im wesentlichen gegenstandslos geworden, nachdem sich die Lebensverhältnisse des Klägers hier so verfestigt haben, daß seine künftige Rückkehr in den Iran oder ein anderes Entwicklungsland praktisch auszuschließen ist ... Sie müssen deswegen gegenüber dem Interesse an einer einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie zurücktreten.