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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


610. DEUTSCHE STAATSANGEHÖRIGKEIT

Nr.91/2

Da die palästinensische Mandatszugehörigkeit in den dreißiger Jahren keine vollwertige Staatsangehörigkeit darstellte, bewirkte ihr Erwerb nicht den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit.

The acquisition of affiliation to the Mandate of Palestine in the 1930's did not effect the loss of German nationality since the Mandate affiliation could not be qualified as a full citizenship.

Oberverwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 22.8.1991 (OVG 5 B 46.90), StAZ 1992, 177 (ZaöRV 53 [1993], 379)

Einleitung:

      Die Kläger sind Enkel eines jüdischen Arztes deutscher Staatsangehörigkeit, der nach seiner Emigration im Jahre 1938 auf seinen Antrag die palästinensische Mandatszugehörigkeit erworben hatte, die sich auch auf seinen Sohn, den Vater der Kläger, erstreckte. Sie begehren die Feststellung, daß sie deutsche Staatsangehörige sind, bzw. ihre Einbürgerung. Der Erfolg ihrer Begehren hängt davon ab, ob ihr Vater durch den Erwerb der Mandatszugehörigkeit seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatte (§25 Abs.1 RuStAG).

Entscheidungsauszüge:

      Das Verwaltungsgericht hat den auf Art.116 Abs.2 GG gestützten Klagen zu Recht stattgegeben. Nach Satz 1 dieser Bestimmung sind frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge auf Antrag wieder einzubürgern; nach Satz 2 gelten sie als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegenstehenden Willen zum Ausdruck gebracht haben. Der in Berlin lebende Kläger erfüllt die Voraussetzungen nach Satz 2, die in England lebende Klägerin diejenigen nach Satz 1 des Art.116 Abs.2 GG. Denn ihrem Vater wurde die deutsche Staatsangehörigkeit (erst) durch die 11.Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 (RGBl.I S.722) entzogen. Entgegen der Auffassung des Beklagten hatte er sie nicht schon zuvor nach §25 Abs.1 RuStAG vom 22.7.1913 (RGBl. S.583) durch Erwerb der palästinensischen Mandatszugehörigkeit verloren. ...
      2. Im übrigen ist §25 Abs.1 RuStAG nach seinem Sinn und Zweck auf die von dem Vater der Kläger erworbene palästinensische Mandatszugehörigkeit nicht anwendbar. Denn zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit führt nach dieser Vorschrift nur der Erwerb einer im wesentlichen uneingeschränkten - der deutschen Staatsangehörigkeit in ihren Wirkungen vergleichbaren - ausländischen Staatsangehörigkeit. Diesen Anforderungen aber genügte die palästinensische Mandatszugehörigkeit nicht (so schon OVG Berlin, ... OVGE 15, 34 ff. ...). Der Senat hat seinerzeit hierzu ausgeführt:
      "Ungeachtet aller rechtsdogmatisch unterschiedlichen Auffassungen über den Begriff der Staatsangehörigkeit ... liegt eine wesentliche Einschränkung der Wirkungen einer ausländischen Staatsangehörigkeit jedenfalls dann vor, wenn der fremde Staat nach seinem Rechtssystem seinen Angehörigen keinen diplomatischen Schutz im Ausland gewähren kann. Denn im deutschen Staatsrecht wie im Völkerrecht wird zu den Pflichten eines Staates unter anderem der Auslandsschutz der eigenen Staatsbürger gerechnet und als wesentlich für den Begriff der Staatsangehörigkeit angesehen. So hatten nach Art.3 Abs.6 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 (RGBl. S.63) und nach Art.112 Abs.2 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (RGBl. S.1383) alle Deutschen 'dem Ausland gegenüber ... Anspruch auf den Schutz des Reiches' ...
      Die Staatsangehörigkeit des Mandatsgebietes Palästina ... war in diesem Sinne eingeschränkt, weil sie den auswärtigen Schutz der Bürger des Gebietes nicht selbst vermittelte; zur Gewährung dieses Schutzes war allein der Mandatar Großbritannien berechtigt.
      Grundlage des Völkerbundsmandates Großbritanniens über Palästina war Art.22 der Völkerbundsatzung ..., wonach der Mandatar die Vormundschaft über Palästina im Namen des Völkerbunds zu führen hatte (Art.22 Abs.2 ...). Die Völkerbundssatzung unterschied in Art.22 Abs.4 bis 6 drei - als A-, B- und C-Mandate bezeichnete - Mandatsarten .... Palästina zählte als vormals türkisches Gebiet zu den A-Mandaten, für die Art.22 Abs.4 der Völkerbundssatzung folgendes bestimmte: 'Gewisse Gemeinwesen, die ehemals zum Türkischen Reiche gehörten, haben eine solche Entwicklungsstufe erreicht, daß sie in ihrem Dasein als unabhängige Nationen vorläufig anerkannt werden können unter der Bedingung, daß die Ratschläge und Unterstützung eines Mandatars ihre Verwaltung bis zu dem Zeitpunkt leiten, wo sie imstande sein werden, sich selbst zu leiten. Bei der Wahl der Mandatars sind in erster Linie die Wünsche jener Gemeinwesen zu berücksichtigen.' Palästina wurde jedoch von Großbritannien nach Art eines B-Mandates verwaltet, in dem 'der Mandatar ... die Verwaltung des Gebietes übernimmt' (Art.22 Abs.5 Satz 1 ...), ohne daß allerdings das Mandatsgebiet integrierender Bestandteil des Mandatarstaates wie bei den C-Mandaten ist ... Das vom Völkerbundrat festgesetzte und von Großbritannien angenommene Mandat über Palästina vom 27. Juli 1922 (Société des Nations, Journal Officiel, 1922, S.1007 ...) bezieht sich in seiner Präambel auf die Balfour-Deklaration von 1917 zugunsten der Entwicklung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und überträgt die Verwaltung des Territoriums von Palästina nach Maßgabe der einzelnen Artikel auf Großbritannien. Nach Art.1 des Mandats soll der Mandatar alle Vollmachten der Gesetzgebung und Verwaltung besitzen, soweit sie nicht durch Bestimmung dieses Mandats beschränkt werden. Eine solche Beschränkung schreibt Art.7 a.a.O. vor, wonach die Regierung von Palästina für die Inkraftsetzung eines Gesetzes über die Staatsangehörigkeit verantwortlich sein wird. Allerdings handelt es sich bei der Palästinensischen Staatsangehörigkeitsverordnung 1925 vom 24. Juli 1925 ... um eine königliche Verordnung aufgrund des britischen Gesetzes über Ausländische Gerichtsbarkeit von 1890 und nicht um eine durch ein Organ Palästinas erlassene Norm. Schließlich bestimmt Art.12 a.a.O.: 'Die auswärtigen Beziehungen Palästinas sowie die Bestätigung der von auswärtigen Mächten ernannten Konsuln sollen der Kompetenz des Mandatars unterstehen. Der Mandatar soll auch das Recht haben, den Bürgern Palästinas bei ihrem Aufenthalte außerhalb der Gebietsgrenzen dieses Landes diplomatischen und konsularischen Schutz zu gewähren.' Diese Vorschrift überträgt den Schutz der palästinensischen Bürger im Ausland auf den Mandatar und beschränkt zugleich die Wirkungen der nach Art.7 a.a.O. vorausgesetzten palästinensischen Staatsangehörigkeit auf den innerstaatlichen Bereich.
      Diese 'unvollkommene' Staatsangehörigkeit ... wurde zwar ergänzt durch britisches Recht, das den diplomatischen Schutz der Bürger Palästinas regelte. Doch wie auch immer dieses Recht ... ausgestaltet gewesen sein mag ..., ändert es nichts daran, daß die palästinensische Staatsangehörigkeit keine unmittelbaren eigenen völkerrechtlichen Wirkungen entfalten konnte."
      An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.