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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


650. ANDERE STAATSANGEHÖRIGKEITEN

Nr.87/1

Es besteht keine palästinensische Staatsangehörigkeit.

There is no Palestinian citizenship.

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7.7.1987 (18 A 2810/84), OVGE 39, 139 (ZaöRV 48 [1988], 729) (rechtskräftig)

Einleitung:

      Im Rahmen einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stellte sich die Frage, ob der Kläger staatenlos bzw. seine Staatsangehörigkeit ungeklärt sei (§9 Abs.1 S.1 Nr.1 AuslG, §4 Abs.1 Nr.9 DVAuslG).

Entscheidungsauszüge:

      1. ... a) Der Kl. ist - objektiv - Staatenloser. Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, daß er Palästinenser ist. Eine palästinensische Staatsangehörigkeit besteht nicht. Aufgrund Art.30 des Friedensvertrages von Lausanne vom 24.7.1923 ... haben die Einwohner Palästinas ihre türkische Staatsangehörigkeit verloren. Sie sollten Staatsangehörige desjenigen Staates werden, dem das Gebiet übertragen wurde, in dem sie lebten ... Zu einer solchen Gebietsübertragung ist es jedoch nicht gekommen. Vielmehr wurde Palästina aufgrund Art.22 der Völkerbundsatzung ... mit Wirkung vom 29.9.1923 Großbritannien als Mandat übertragen ... Die von Großbritannien erlassene Palästinensische Staatsangehörigkeitsverordnung 1925 ... vermittelte weder die britische Staatsangehörigkeit noch - mangels voller Eigenstaatlichkeit Palästinas - eine vollwertige palästinensische Staatsangehörigkeit, sondern lediglich eine Mandatsangehörigkeit eigener Art ... Volle Eigenstaatlichkeit hat ein Staat Palästina auch nach der Niederlegung des Mandats durch Großbritannien am 14.5.1948 nicht entwickelt. Zwar haben die in der Arabischen Liga verbundenen arabischen Staaten die Auffassung vertreten, mit der Beendigung des Mandats sei Palästina ein unabhängiger Staat geworden ... Eine effektive staatliche Ordnung durch die Einwohner Palästinas war jedoch auch nach Auffassung dieser Staaten nicht entstanden ... Nachdem die arabischen Streitkräfte im arabisch-jüdischen Krieg unterlegen waren, wurde das ehemalige Mandatsgebiet Palästina unter Jordanien, Ägypten und dem am 14.5.1948 ausgerufenen Staat Israel aufgeteilt.
      Auch die 1964 gegründete Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) ist in der Staatenpraxis nicht als Träger staatlicher Gewalt eines Staates Palästina anerkannt ... Vielmehr wird sie von zahlreichen Staaten nur als Vertreter des palästinensischen Volkes angesehen ..., verbunden allenfalls mit der Anerkennung des Rechts auf einen eigenen Staat ... Die PLO ist im übrigen auch nicht Mitglied der Vereinten Nationen (VN), sondern genießt dort einen - verschiedenen Befreiungsorganisationen eingeräumten - Beobachterstatus, wenn auch mit dem Recht zur Teilnahme an den Sitzungen der Generalversammlung ohne gegenständliche Beschränkung ... Auch in der Nahost-Entschließung der EG-Außenminister vom 6.11.1973 und in der Palästina-Resolution der VN-Vollversammlung vom 22.11.1974 wird lediglich der Anspruch der Palästinenser auf Selbstbestimmung und nationale Unabhängigkeit bestätigt ... Von einer palästinensischen Staatsangehörigkeit kann deshalb nicht ausgegangen werden ...
      c) Auch bei subjektiver Sicht, d.h. bei Zugrundelegung der Beurteilung durch die libanesischen Behörden bei Ausstellung des Reiseausweises, ist nicht ersichtlich, daß der etwaigen Annahme, der Kl. sei palästinensischer Staatsangehöriger, die Zuordnung zu einem real existierenden palästinensischen Staat zugrundegelegen hat. Unbeschadet der libanesischen Auffassung zur Eigenstaatlichkeit des Mandatsgebiets Palästinas bei Ende des britischen Mandats gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß der Libanon trotz der in diesem Gebiet seit 1948 eingetretenen historischen Entwicklung vom Fortbestand eines Staatsgebildes "Palästina" ausgeht. Die Annahme einer Staatsangehörigkeit "ohne Staat" erfüllt die Voraussetzungen des Begriffs der Staatenlosigkeit, wie er gemäß dessen Art.1 Abs.1 dem Staatenlosenübereinkommen ... [BGBl. 1976 II 473; 1977 II 235] zugrundeliegt. Diese Begriffsbestimmung kann ein hohes Maß an völkerrechtlicher Verbindlichkeit beanspruchen, weil das Staatenlosenübereinkommen nach Vorarbeiten im Wirtschafts- und Sozialrat der VN und auf Anregung der Vollversammlung der VN ... zustandegekommen ist und inzwischen für 34 Staaten gilt ... Auch der Libanon geht nach dem Vorstehenden allenfalls davon aus, daß die Träger einer "palästinensischen Staatsangehörigkeit" im Staatsvolk eines noch zu gründenden zukünftigen Staates aufgehen werden, ohne daß dieser derzeit mit seinen die Staatsqualität bestimmenden Merkmalen näher beschrieben werden könnte. Deshalb kann der Senat seiner Entscheidung zugrundelegen, daß der Libanon zumindest eine ungeklärte Staatsangehörigkeit des Klägers iSd §4 Abs.1 Nr.9 DVAuslG annimmt.

Hinweis:

      Vgl. noch BVerwG, Beschl. v. 17.7.1987 (1 B 23.87), InfAuslR 1987, 278 (ZaöRV 48 [1988], 729): Das BVerwG sah eine Grundsatzrevision (§132 Abs.2 Nr.1 VwGO) über die Frage der palästinensischen Staatsangehörigkeit nicht als gerechtfertigt an.