Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


Home | Inhalt | Zurück | Vor

Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


660. STAATENLOSIGKEIT

Nr.90/2

[a] Das Übereinkommen vom 28.9.1954 über die Rechtstellung der Staatenlosen gilt nur für de iure-Staatenlose.

[b] Ob eine Person im Sinne des Staatenlosenübereinkommens staatenlos ist, richtet sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des in Betracht kommenden Heimatstaates und nicht nach der Auslegung und Anwendung dieses Rechts durch die dortigen Behörden.

[c] Da das Völkerrecht sich in Richtung auf ein Verbot willkürlicher Ausbürgerungen entwickelt, kann eine Ausbürgerung nur als wirksam anerkannt werden, wenn sie nach Rechtsgrundlage, Form und Erklärungsinhalt strengen Anforderungen genügt.

[a] The Convention Relating to the Status of Stateless Persons applies only to persons who are de jure stateless.

[b] The question if a person is stateless in the terms of the Convention Relating to the Status of Stateless Persons is to be determined according to the nationality law of the respective home state and not according to the interpretation and application of the law by the authorities of this state.

[c] As public international law is gradually moving toward a prohibition of arbitrary expatriations, an expatriation order can only be recognized as valid, if it meets strict requirements with respect to its legal basis, form and content.

Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 23.10.1990 (18 A 277.86), InfAuslR 1991, 162 (ZaöRV 52 [1992], 374)

Einleitung:

      Die Kläger, ein kurdisches Elternpaar und seine Kinder, die mit einem libanesischen Laissez-passer aus dem Libanon in die Bundesrepublik gekommen waren, begehren die Erteilung von Reiseausweisen bzw. Kinderausweisen nach Art.28 des Übereinkommens vom 28.9.1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (BGBl. 1976 II S.473; 1977 II S.235). Ihre Asylanträge waren rechtskräftig abgelehnt worden.

Entscheidungsauszüge:

      Nach Art.28 Satz 1 des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen ... stellen die Vertragsstaaten den Staatenlosen, die sich [recht]mäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen außerhalb dieses Hoheitsgebietes gestatten, es sei denn, daß zwingende Gründe der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen; nach Satz 2 dieser Vorschrift können die Vertragsstaaten solche Reiseausweise auch jedem anderen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen ausstellen.
      Die Kläger können aus dieser Regelung jedoch keine Rechte für sich herleiten, weil sie keine "Staatenlosen" im Sinne der Legaldefinition des Art.1 Abs.1 des Staatenlosenübereinkommens sind, wonach ein "Staatenloser" eine Person ist, die kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehörigen ansieht. Nach den der Kammer zugänglichen Erkenntnisquellen ist davon auszugehen, daß die in Beirut/Libanon bzw. Berlin geborenen Kläger de jure libanesische Staatsangehörige und deshalb nicht staatenlos sind; für einen atypischen Geschehensablauf, nach dem sie ausnahmsweise staatenlos sein könnten, haben die Kläger keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen, obwohl sie hinsichtlich dieser ausschließlich ihrem privaten Bereich zuzurechnenden anspruchsbegründenden Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig sind ...
      Nach allgemeiner Auffassung werden mit dem Begriff des "Staatenlosen" nur die De-jure-Staatenlosen erfaßt, also Personen, die nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der in Betracht kommenden Staaten keine Staatsangehörigkeit besitzen, nicht aber die De-facto-Staatenlosen, also Personen, die zwar formell noch eine Staatsangehörigkeit haben, deren Heimatstaat aber nicht bereit oder nicht in der Lage ist, ihnen die Rechte eines Staatsangehörigen zuzugestehen, insbesondere sie diplomatisch zu schützen ...
      Für die herrschende Auffassung läßt sich schon ausführen, daß es sich bei der Staatsangehörigkeit um einen rein juristischen Begriff handelt ..., der als "ein Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und seinen Angehörigen" zu definieren ist, "bei dessen Regelung die Eigenschaft der Person als Subjekt dieses Rechtsverhältnisses einen rechtlichen Status bildet" (vgl. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, 1990, Rdnr.8 zu Art.16 Abs.1). Für die Beschränkung der Anwendung des Staatenlosenübereinkommens nur auf die De-jure-Staatenlosen spricht auch das systematische Argument, daß der Schutz der De-facto-Staatenlosen, bei denen es sich typischerweise - wenn auch nicht in jedem Fall - um Flüchtlinge handelt, in dem gleichzeitig ausgearbeiteten, aber zeitlich vor dem Staatenlosenübereinkommen beschlossenen Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention) geregelt ist ... und das Staatenlosenübereinkommen nach seiner Präambel folgerichtig diejenigen Staatenlosen schützen will, die nicht gleichzeitig Flüchtlinge sind.
      Auch die zwischenstaatlichen Empfehlungen, De-facto-Staatenlosen die Gleichbehandlung mit De-jure-Staatenlosen zu ermöglichen ... bzw. die Anwendung des Staatenlosenübereinkommens auf De-facto-Staatenlose wohlwollend zu prüfen ... und entsprechende Absichtserklärungen der Bundesregierung sprechen eher für als gegen obige Auslegung, denn die wohlwollende Prüfung der Einbeziehung der De-facto-Staatenlosen in den personellen Geltungsbereich des Staatenlosenübereinkommens wäre nicht erforderlich, wenn sie ohnehin von der Legaldefinition des Art.1 Abs.1 dieses Übereinkommens erfaßt wären ... Derartige im Gesetzgebungsverfahren abgegebene Erklärungen der Bundesregierung ändern die dargelegte Rechtslage nicht und sind auch nicht dahin zu verstehen, daß entgegenstehende Rechtsvorschriften einschließlich völkervertraglicher Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht zu beachten wären ..., zumal die Bundesregierung und mit ihr der Beklagte diesen Absichtserklärungen gerade nicht folgen ...
      Schließlich ist es auch nach Sinn und Zweck des Staatenlosenübereinkommens nicht geboten, dieses auch auf De-facto-Staatenlose anzuwenden. Zwar soll das Übereinkommen nach seiner Präambel dazu dienen, den Staatenlosen die Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in möglichst großem Umfang zu sichern, und ist es für die einzelne betroffene Person zunächst unerheblich, ob sie de jure oder de facto ohne staatlichen Schutz ist (vgl. Begründung der Bundesregierung, BT/Ds 8/13 S.6). Insoweit ist aber zu berücksichtigen, daß sich ein faktisch Staatenloser jederzeit wieder auf die Staatsangehörigkeit seines Herkunftslandes berufen und sich seinem Schutz unterstellen kann, wenn die Gründe fortfallen, deretwegen er den Schutz seines Heimatstaates derzeit nicht beanspruchen will oder kann ..., wenngleich ein völkergewohnheitsrechtlicher Anspruch des Einzelnen gegen den eigenen Staat auf Gewährung diplomatischen Schutzes oder auf Aufnahme in sein Staatsgebiet wohl nicht besteht ... Für den Umfang der durch völkerrechtlichen Vertrag übernommenen Verpflichtungen nach dem Staatenlosenübereinkommen ist aber insbesondere zu berücksichtigen, daß aus der Staatsangehörigkeit den anderen Staaten gegenüber die völkerrechtliche Pflicht der Heimatstaaten folgt, ihre eigenen Staatsangehörigen (wieder) aufzunehmen ... Dann aber erscheint es sinnvoll, diese nach seinem Staatsangehörigkeitsrecht bestehende völkerrechtliche Verantwortung des Heimatstaates, der er sich anerkanntermaßen nicht einmal durch Ausbürgerung eines in einen anderen Staat ausgereisten Staatsangehörigen aus Gründen des Vertrauensschutzes dieses anderen Staates entziehen kann, nicht dadurch zu beseitigen und eine Verantwortlichkeit des derzeitigen Aufenthaltsstaates zu begründen, daß ein nur De-facto-Staatenloser durch Anwendung des Staatenlosenübereinkommens und insbesondere durch die in §1 Abs.1 des Anhanges vorgeschriebene entsprechende Eintragung in seinen Reiseausweis als Staatenloser anerkannt wird ..., obwohl völkerrechtlich nach wie vor eine Aufnahmepflicht seines Heimatstaates besteht. Der Aufrechterhaltung und Inanspruchnahme der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit des Heimatstaates für De-facto-Staatenlose steht allerdings dann die Schutzbedürftigkeit seiner ausgereisten Staatsangehörigen entgegen, wenn diese von ihm politisch verfolgt werden; dann unterfallen diese aber dem Anwendungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention, so daß eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Staatenlosenübereinkommens auf De-facto-Staatenlose auch aus diesem Grunde nicht erforderlich erscheint.
      Nach dem danach allein maßgeblichen Staatsangehörigkeitsrecht, und zwar hier des Libanon, ist nach den derzeitigen und mangels tatsächlicher Anhaltspunkte abschließenden Erkenntnissen der Kammer davon auszugehen, daß die Kläger libanesische Staatsangehörige und deshalb nicht staatenlos sind. [Es folgen ausführliche Darlegungen zum libanesischen Staatsangehörigkeitsrecht.]
      Die Kläger sind auch nicht deshalb als staatenlos im Sinne des Art.1 Abs.1 des Staatenlosenübereinkommens anzusehen, weil die libanesischen Behörden ihnen entsprechend einer Kurden aus dem Libanon gegenüber wohl im wesentlichen gleichartigen Verwaltungspraxis keine libanesischen Nationalpässe, sondern lediglich ein ... Laissez-passer (hier ohne Rückkehrberechtigung und ohne Nationalitätseintragung) ausgestellt und dessen Verlängerung letztlich durch Erklärung der Botschaft des Libanon in Bonn vom 4. Oktober 1985 mit dem Zusatz abgelehnt haben, daß mit der Ausreise der Kläger aus dem Libanon zwischen ihnen und den libanesischen Behörden jegliche rechtliche Verbindung erloschen sei. Aufgrund dieses dem libanesischen Staatsangehörigkeitsrecht offensichtlich widersprechenden Verhaltens der libanesischen Behörden sind die Kläger nämlich nicht de jure, sondern nur de facto staatenlos, weil der Libanon ihnen die Rechte eines Staatsangehörigen nicht zugesteht und ihnen insbesondere auch durch die Nichtverlängerung der Reisepapiere den diplomatischen Schutz entzieht.
      Für die Frage der De-jure-Staatsangehörigkeit der Kläger ist nämlich das libanesische Staatsangehörigkeitsrecht und nicht das Verhalten der libanesischen Behörden maßgebend. Zwar gehört die Regelung der Staatsangehörigkeit zum nationalen Zuständigkeitsbereich der Staaten, zu der sog. "domaine réservé" (vgl. Denkschrift der Bundesregierung, BT/Ds 8/12 S.24), so daß etwa ein Verfahren vor deutschen Behörden oder Gerichten nicht auf die verbindliche Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer ausländischen Staatsangehörigkeit gerichtet sein kann und eine solche Feststellung als völkerrechtlich unzulässiger Eingriff in die Souveränität des anderen Staates ohne Rechtswirkung wäre ...; das bedeutet aber nicht, daß für die deutschen Behörden und Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des in innerstaatliches deutsches Recht transformierten Staatenlosenübereinkommens für die Frage der Staatenlosigkeit eines Antragstellers hinsichtlich fremden Staatsangehörigkeitsrechts allein die Auslegung der Behörden und Gerichte des anderen Staates maßgebend wäre ... Es geht insoweit nämlich nicht um eine für den Libanon verbindliche statusrechtliche Feststellung, sondern um das Vorliegen der Voraussetzungen eines nach deutschem Recht geltend gemachten Anspruchs, also um Rechtsanwendung im innerstaatlichen Bereich, so daß insoweit für die Feststellung der De-jure-Staatenlosigkeit die deutschen Behörden und Gerichte zuständig sind ...
      Danach wird man der "domaine réservé" eines fremden Staates zwar dadurch Rechnung tragen, daß man bei der Prüfung der Staatenlosigkeit im Sinne des Art.1 Abs.1 des Staatenlosenübereinkommens der Auslegung und Anwendung des fremden Staatsangehörigkeitsrechts durch dessen staatliche Stellen eine gewisse Indizwirkung zuerkennt; eine solche Wirkung kann aber jedenfalls einer - wie hier - offenkundigen und willkürlichen Fehl- bzw. Nichtanwendung des ausländischen Staatsangehörigkeitsrechts nicht zukommen, da andernfalls auch die Unterscheidung zwischen De-jure- und De-facto-Staatenlosigkeit verwischt würde, denn die Staatsangehörigkeit wird durch die Gesetzgebung (und nicht durch die Behördenpraxis) der einzelnen Staaten bestimmt (vgl. Art.1 Satz 1 der Haager Konvention vom 12. April 1930, zitiert bei Randelzhofer a.a.O. Rdnr.10), und die Heimatstaaten sich ihrer oben angesprochenen völkerrechtlichen Verantwortung für ihre De-jure-Staatsangehörigen allein aufgrund einer entsprechenden Verwaltungspraxis wirksam entziehen könnten. Im Falle der im Libanon geborenen Kurden ist in der Regel - wie auch hier - nicht ersichtlich, wie ihnen nach dem geltenden libanesischen Staatsangehörigkeitsrecht die libanesische Staatsangehörigkeit abgesprochen werden sollte; dementsprechend ist in den Bescheinigungen der Behörden des Libanon dafür auch nicht der Ansatz einer Begründung enthalten. Sie können insbesondere - anders als Palästinenser - in Anwendung des Art.1 Nr.2 oder 3 der Verordnung vom 19. Januar 1925 nicht auf eine durch Abstammung erworbene "kurdische Staatsangehörigkeit" verwiesen werden, weil es dafür auch nicht den geringsten denkbaren Ansatz gibt; es gab weder einen kurdischen Staat noch ein etwa dem Mandatsgebiet Palästina vergleichbares staatsähnliches Gebilde im kurdischen Siedlungsgebiet, noch gibt es eine - wenn auch völkerrechtlich unwirksame - Ausrufung eines kurdischen Staates, wie dies etwa mit der "Deklaration von Algier" vom 15. November 1988 für den Staat Palästina der Fall ist.
      Das Verhalten der libanesischen Behörden den Klägern gegenüber und insbesondere die ihnen erteilte Bescheinigung der Botschaft des Libanon in Bonn vom 4. Oktober 1985 stellen auch keine Ausbürgerung der Kläger, sondern lediglich den Entzug des diplomatischen Schutzes dar.
      Zwar widerspricht nach noch überwiegender Auffassung auch eine willkürliche Entziehung der Staatsangehörigkeit nicht dem allgemeinen Völkerrecht und ist deshalb nicht von vornherein nichtig ...; angesichts der Bestrebungen der UNO, das Übel der Staatenlosigkeit u.a. durch ein völkerrechtliches Verbot der Ausbürgerung an der Wurzel zu bekämpfen ..., und der in Art.15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 zum Ausdruck gekommenen Entwicklungstendenz des Völkerrechts, wonach niemandem seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen werden darf ..., sind an Rechtsgrundlage, Form und Erklärungsinhalt einer wirksamen Ausbürgerung aber strenge Anforderungen zu stellen, die hier keinesfalls erfüllt sind. Im libanesischen Staatsangehörigkeitsrecht ist eine Rechtsgrundlage für eine derartige Ausbürgerung nicht ersichtlich und wird dementsprechend von den libanesischen Behörden hier auch nicht zitiert. Die vorgelegten Bescheinigungen können auch ihrer Form nach nicht als "Ausbürgerungsurkunden" bezeichnet werden; sie enthalten auch nicht die ausdrückliche Erklärung, daß den Klägern die libanesische Staatsangehörigkeit entzogen werde. Dagegen spricht auch, daß die libanesischen Behörden offensichtlich - wenn auch contra legem - die Kläger von vornherein nie als Libanesen behandelt haben, so daß sie ihnen nach ihrer eigenen Auffassung und Handhabung einen solchen rechtlichen Status auch nicht entziehen können. Auch die Bescheinigung vom 4. Oktober 1985 bestätigt und vertieft danach lediglich die Stellung der Kläger als De-facto-Staatenlose, auf die das Staatenlosenübereinkommen aus den oben dargelegten Gründen nicht anwendbar ist.

Hinweis:

      Das Urteil ist nach Rücknahme der eingelegten Berufung rechtskräftig geworden. Vgl. aber abweichend zu Leitsatz [c] die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin unter 650 [91/1].