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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1993


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Christiane E. Philipp


VII. Auslieferung und andere Formen internationaler Rechtshilfe

       45. In seinem Beschluß vom 8.3.1993 (3 Ausl. 26/91 = Die Justiz 1993, 231 f. = MDR 1993, 897 f.) entschied das OLG Stuttgart im Hinblick auf den deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrag35: Droht einem Verfolgten in Kroatien wegen seiner serbischen Volkszugehörigkeit und damit wegen eines auch asylerheblichen Merkmals im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG die erhebliche Gefahr einer Erschwerung seiner Lage, so sei darin ein aus der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ableitbares Auslieferungshindernis zu sehen, das zu beachten der deutsch-jugoslawische Auslieferungsvertrag in seinem Art. 6 Abs. 1 erlaube. Der Zulässigkeit der Auslieferung stehe bis auf weiteres entgegen, daß ernstliche Gründe für die Annahme vorlägen, der serbische Verfolgte sei wegen dieses auch asylerheblichen Merkmals im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG im kroatischen Strafvollzug der erheblichen Gefahr einer Erschwerung seiner Lage ausgesetzt (vgl. Art. 3 Abs. 2 Europäisches Auslieferungsübereinkommen36, § 6 Abs. 2 Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen [IRG]37). Der Auslieferungsvertrag enthalte zwar keine dem Art. 3 Abs. 2 Europäisches Auslieferungsübereinkommen und dem § 6 Abs. 2 IRG direkt entsprechende Klauseln, er erlaube aber in seinem Art. 6 Abs. 1 jedem Vertragsstaat, aus seiner Verfassung ableitbare Auslieferungshindernisse wie die vorliegenden zu beachten.

       46. Mit Beschluß vom 9.12.1993 (4 Ausl(A) 325/93 – 132/93 III = MDR 1994, 504 ff. = NJW 1994, 1486 ff.) entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf, daß keine durchgreifenden Bedenken gegen die Wirksamkeit des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages und dessen Anwendbarkeit auf Auslieferungsersuchen der Republiken Serbien und Montenegro bestünden. Die Wirksamkeit und der Fortbestand der zwischenstaatlichen völkerrechtlichen Vereinbarung hinge nicht von der positiven Beantwortung der Frage ab, ob die Republiken Serbien und Montenegro als Rechtsnachfolger der ehemaligen Republik Jugoslawien anzusehen seien. Der Senat hielt es für zweifelhaft, ob eine Beurteilung dieser staats- und völkerrechtlichen Frage überhaupt in seinen Zuständigkeitsbereich falle. Abgesehen davon würde jedoch selbst die Verneinung der Frage der Rechtsnachfolge nicht zwingend zur Unwirksamkeit einer zwischenstaatlichen Vereinbarung führen. Da der Auslieferungsvertrag von keiner der vertragschließenden Parteien rechtswirksam aufgehoben oder gekündigt worden sei, sei von der weiteren Wirksamkeit auszugehen. Im übrigen obliege es der Bundesregierung als im Außenverkehr für die Bundesrepublik Deutschland handelndem Organ, die Anwendung bestehender völkerrechtlicher Vereinbarungen auf das Verhältnis zu Drittstaaten zu bestimmen. Demgemäß seien unter anderem entsprechende Vereinbarungen über die vorläufige Anwendung des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages mit Slowenien und Kroatien getroffen worden. Soweit der Verfolgte einwende, daß die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht gerechtfertigt seien, hindere dieser Umstand nicht die Zulässigkeit seiner Auslieferung und die Anordnung der Auslieferungshaft, da eine Nachprüfung des Tat- und Schuldverdachtes aufgrund des geltenden formellen Prüfungsprinzips im Europäischen Auslieferungsverkehr nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen und auch im Rahmen des dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen nachgebildeten deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages nicht erfolge. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der ersuchende Staat seinen Auslieferungsanspruch mißbräuchlich geltend mache. Daneben gebe es auch keine besonderen Umstände für die berechtigte Befürchtung, daß der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung einem Verfahren ausgesetzt wäre, welches gegen unabdingbare, von allen Rechtsstaaten anerkannte Grundsätze und damit gegen den völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard im Sinne des Art. 25 GG verstoße.

       47. In seinem Beschluß vom 20.1.1993 (1 Ws 8, 9/93 = MDR 1993, 465 ff. = NStZ 1993, 392 ff.) entschied das Oberlandesgericht München: Eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung, bei der der in der betreffenden Strafsache aus dem Ausland ausgelieferte Verurteilte gemäß § 56d StGB der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt wird, sei mit Rücksicht auf die Zwecke der Bewährungshilfe und die Bestimmung des § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB keine bedingte Entlassung ohne eine die Bewegungsfreiheit des Ausgelieferten einschränkende Anordnung im Sinne von § 11 Abs. 3 IRG (siehe Anm. 37) und stelle damit keine endgültige Freilassung im Sinne von Art. 14 Abs. 1b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens dar (siehe Anm. 36). Nur dann, wenn der Ausgelieferte, der eine Freiheitsstrafe noch nicht voll verbüßt habe, freigelassen worden sei, ohne durch Weisungen, Auflagen oder andere Pflichten in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu sein, könne von einer endgültigen Freilassung im Sinne von Art. 14 Abs. 1b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens gesprochen werden.

       48. In seinem Beschluß vom 26.5.1993 (4 Ausl(A) 109/93 – 53/93 III = AVR 32 (1994), 271 ff.) hatte sich das Oberlandesgericht Düsseldorf unter anderem zum Umfang der Prüfungskompetenz deutscher Gerichte im Auslieferungsverfahren zu äußern. Es entschied, daß die Auslieferung des Verfolgten im vorliegenden Falle zum Zwecke der Strafvollstreckung unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG) sei, weil das gegen den Verfolgten in Griechenland durchgeführte Abwesenheitsverfahren in seiner konkreten Ausgestaltung rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspreche (§ 73 IRG). Zwar hätten deutsche Gerichte im Verfahren über die Zulässigkeit der Auslieferung zur Strafvollstreckung grundsätzlich davon auszugehen, daß das in dem ersuchenden Staat gegen den Verfolgten ergangene Strafurteil auf rechtmäßige Weise zustandegekommen sei. Insbesondere hätten sie diese Frage nicht nach Maßgabe des innerstaatlichen deutschen Rechtes nachzuprüfen. Die dem Senat hier zufallende Prüfungskompetenz erstrecke sich indessen auf die Frage, ob die Auslieferung selbst und die ihr seitens des ersuchenden Staates zugrundeliegenden Akte mit unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und mit Art. 25 GG vereinbar seien. Dementsprechend hänge die Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit der Auslieferung zur Vollstreckung eines ausländischen Abwesenheitsurteils entscheidend davon ab, ob und in welchem Umfange die in einem Abwesenheitsverfahren ergangene Verurteilung gegen übergeordnete, von allen Rechtsstaaten anerkannte Grundsätze verstoße. Das Gericht ermittelte dann im einzelnen diese geltenden Grundsätze und führte ferner aus, daß die Zulässigkeit der Auslieferung insbesondere nicht an dem Grundsatz des Art. 103 Abs. 3 GG (ne bis in idem), der gegebenenfalls über § 73 IRG im Auslieferungsverfahren zu berücksichtigen sei, scheitere. Zum einen sei eine unmittelbare Anwendung deshalb nicht gegeben, weil das in dieser Verfassungsnorm enthaltene Verbot der Doppelbestrafung ausschließlich im Verhältnis zwischen deutschen Gerichten gelte und lediglich eine mehrmalige Verurteilung durch deutsche Gerichte hindere, zum anderen sei der in Art. 103 Abs. 3 GG enthaltene Grundsatz auch nicht als allgemein gültige Regel des Völkerrechtes zu betrachten, die über Art. 25 GG von deutschen Gerichten im Verhältnis zu ausländischen Gerichten zu beachten wäre.

       49. In seinem Beschluß vom 23.6.1993 (4 Ausl(A) 221/93 – 87/93 III = MDR 1994, 90 ff. = NJW 1994, 1485 ff. = AVR 32 [1994], 278 ff.) hatte sich das Oberlandesgericht Düsseldorf mit der Frage der unzulässigen Auslieferung wegen drohender Todesstrafe zu beschäftigen. Im vorliegenden Fall erklärte der Senat die Auslieferung eines Straftäters an die Türkei für unzulässig, weil dem Verfolgten im Falle seiner Auslieferung die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe drohten. Das von der Türkei in dem Vorbehalt zu Art. 11 Europäisches Auslieferungsübereinkommen (siehe Anm. 36) niedergelegte Verfahren zur Umwandlung von Todesstrafe in lebenslange Freiheitsstrafe entspreche nicht der in Art. 11 Europäisches Auslieferungsübereinkommen vorgesehenen völkerrechtlichen Zusicherung. Vielmehr habe die Türkei zu Artikel 11 des Übereinkommens einen Vorbehalt dergestalt abgegeben, daß die Zusicherung "auf die Weiterleitung eines von dem ausländischen Staat an die türkische Regierung zu richtenden Umwandlungsersuchens an die Nationalversammlung" beschränkt sei. Eine solchermaßen eingeschränkte Zusage besitze indessen keinen derartig verbindlichen Charakter, daß ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, eine u.U. verhängte Todesstrafe werde nicht vollstreckt, sondern in jedem Falle in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt.

       50. In seinem Beschluß vom 4.1.1993 (5 Ws 409/92 = JR 1993, 301 ff.) stellte das Kammergericht Berlin fest, daß die Bewilligung der Auslieferung (hier durch Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika) zum Zwecke der Strafvollstreckung auch die Zustimmung zu den Entscheidungen umfasse, die aus Anlaß der Strafvollstreckung notwendig würden (§ 68f Abs. 2 StGB; Führungsaufsicht bei Nichtaussetzung des Strafrestes). Der in Art. 22 des Auslieferungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20.6.1978 (BGBl. II, 646, 1300) verankerte Grundsatz der Spezialität sei nicht verletzt. Dieser besage, daß ein Verfolgter nur wegen der Taten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden dürfe, für welche die Auslieferung bewilligt worden sei. Der Umfang der Auslieferungsbewilligung umfasse im vorliegenden Fall die dem Urteil des LG Berlins zugrundeliegenden Straftaten. Nur auf diese beziehe sich die Führungsaufsicht.



      35 Vertrag zwischen der BRDeutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Auslieferung vom 26.11.1970, BGBl. 1964 II, 1258; 1975 II, 1725.

      36 BGBl. 1981 II, 1153; 1983 II, 32 ff.

      37 BGBl. 1982 I, 2071 ff.