Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994


Inhalt | Zurück | Vor

Hans-Konrad Ress


VI. Fremdenrecht

2. Ausweisung und Abschiebung

      30. In dem Beschluß vom 12.7.1994 befand der VerfGH Berlin, daß mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Recht auf Freizügigkeit nach Art. 11 der Verfassung von Berlin (VvB) in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht unvereinbar sei, eine Ausweisung nach §§ 45 f. AuslG auf die Begehung einer vorsätzlichen Straftat zu stützen, um andere Ausländer vor vergleichbaren Straftaten abzuschrecken (VerfGH Berlin - 94/93 - NJ 1995, 29). Ein vietnamesischer Staatsangehöriger hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt und gerügt, seine Ausweisung nach §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 AuslG wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verletze die Verfassung von Berlin. Die Ausländerbehörde und die Gerichte hätten verkannt, daß der Handel mit unverzollten und unversteuerten Zigaretten nicht zum Bereich der schweren oder mittleren Kriminalität gehöre. § 46 Nr. 2 AuslG scheide damit als Rechtsgrundlage ebenso aus wie ein Rückgriff auf § 45 AuslG. Der Verfassungsgerichtshof nahm für sich die Befugnis in Anspruch, bei der Kontrolle von auf Bundesrecht beruhenden Entscheidungen der Berliner Verwaltungsbehörden und Gerichte am Maßstab der mit den Grundrechten des GG inhaltsgleichen Grundrechte der Verfassung von Berlin inzident die Übereinstimmung der entscheidungserheblichen bundesrechtlichen Bestimmungen mit dem Bundesverfassungsrecht zu prüfen. Er sei wie jedes andere Gericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG verpflichtet, ein für seine Entscheidung erhebliches Bundesgesetz auf dessen Bundesverfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen und dann, wenn er dieses für bundesverfassungswidrig halte, sein Verfahren auszusetzen und das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen. Im Ergebnis verstoße § 45 Abs. 1 AuslG45 nicht gegen Bundesverfassungsrecht, da diese Vorschrift dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot genüge.

      Ebenso kam der Berliner Verfassungsgerichtshof zu dem Ergebnis, daß die angegriffene, sofort vollziehbare Ausweisung den Beschwerdeführer nicht in seinem aus Art. 11 VvB abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anspruch auf Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verletze. Der Gesetzgeber habe, selbst für den Fall des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 45 f. AuslG, eine Ausweisung nicht zwingend vorgeschrieben, sondern sie in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt. Dadurch sei dieser genügend Raum gelassen, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. Unter dem Blickwinkel des Verfassungsrechts stelle es keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar, eine Ausweisung nach den §§ 45 und 46 AuslG auf eine vorsätzliche Straftat zu stützen, um andere Ausländer vor vergleichbaren Straftaten abzuschrecken. Ein Ausländer, der sich trotz der Ausweisungsandrohung in den §§ 45 ff. AuslG von der Begehung einer Straftat nicht abhalten lasse, setze selbst die Voraussetzung für seine Ausweisungsverfügung. Er gebe durch sein Verhalten die Veranlassung für eine generalpräventive Maßnahme. Wenn als Folge seines Handelns die im Gesetz angedrohte Ausweisung angeordnet werde, um andere Ausländer von der Begehung von Straftaten abzuhalten, sei dies eine geeignete und erforderliche Maßnahme, um die Beachtung der Ausweisungstatbestände gegenüber allen in Deutschland lebenden Ausländern durchzusetzen und die generalpräventive Wirkung dieser Normen auch für die Zukunft zu sichern.

      31. Das Bundesverfassungsgericht befaßte sich in seinem Beschluß vom 10.8.1994 (2 BvR 1542/94 - NJW 1994, 3155 = FamRZ 1995, 26 = NVwZ 1995, 159 [Ls.]) mit der Ausweitung von familiären Bindungen auf die Abschiebung eines Ausländers. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, war nach erfolgloser Durchführung zweier Asylverfahren ausreisepflichtig, als am 6.6.1994 die Tochter einer deutschen Staatsangehörigen geboren wurde, für die der Beschwerdeführer die Vaterschaft anerkannt hat. Seit dem 19.7.1994 befand sich der Beschwerdeführer in Abschiebungshaft. Seine Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnten sowohl das VG als auch das OVG ab, mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe, selbst wenn man unterstellte, daß zwischen ihm und dem von ihm anerkannten Kind eine Lebensgemeinschaft bestünde, keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Das Bundesverfassungsgericht verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das OVG zurück, da dieses die familiäre Bindung des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, nicht der Garantie des Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 GG entsprechend gewichtet habe. Könne die als gegeben unterstellte Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und einem von ihm als Vater anerkannten deutschen Kind nur in der Bundesrepublik stattfinden, weil dem deutschen Kind wegen dessen Beziehung zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar sei, so dränge die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück.

      32. Eine Einbürgerung kann nach § 86 Abs. 3 in Verbindung mit § 85 Abs. 2 Satz 2 AuslG 199046 versagt werden, wenn ein Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 1 AuslG 1990 vorliegt, d. h., wenn ein Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht. Ausgangspunkt eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.5.1994 (1 C 5.93 - BVerwGE 96, 86 = DVBl. 1995, 37) war der Antrag eines jordanischen Staatsangehörigen auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung. Die zuständige Behörde hatte ebenso wie der in der Berufungsinstanz angerufene VGH Mannheim einen Einbürgerungsanspruch des Klägers verneint, da sich der Kläger in der Bundesrepublik für mehrere palästinensische Organisationen betätigt hatte. Das Bundesverwaltungsgericht hob die Entscheidung des VGH auf und entschied, daß der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Einbürgerungszusage habe. Zwar komme es infolge der selbständigen Bedeutung des § 46 Nr. 1 AuslG 1990 für das Bestehen eines Einbürgerungsanspruchs im Rahmen des § 86 Abs. 1 AuslG 1990 nicht darauf an, ob der Ausländer tatsächlich ausgewiesen werden könne, so daß bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes ein Einbürgerungsanspruch auch dann entfalle, wenn - wie im vorliegenden Fall - Ausweisungshindernisse nach anderen Vorschriften den Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 1 AuslG 1990 überlagerten. Denn auch bei Beachtung der selbständigen Bedeutung des § 46 Nr. 1 AuslG 1990 seien die Voraussetzungen für einen Einbürgerungsanspruch gegeben, da die Tätigkeit des Klägers für verschiedene palästinensische Organisationen die "Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" im Sinne von § 46 Nr. 1 AuslG 1990 nicht gefährde und somit kein Ausweisungsgrund vorliege. Da sich der Ausweisungsgrund auf alle Gefahren für die Sicherheit des Staates, die sich aus der Anwesenheit eines Ausländers ergeben, beziehe, müsse der Ausländer persönlich eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts reicht die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die ihrerseits wegen Gefährdung der inneren Sicherheit nach Art. 9 Abs. 2 GG oder § 14 Abs. 1 Vereinsgesetz verboten werden kann, für sich genommen noch nicht aus. Bei einer Betätigung für eine Vereinigung müsse sich vielmehr der vereinsrechtliche Verbotsgrund der Gefährdung der inneren Sicherheit nach polizeirechtlichen Grundsätzen in der Person des Ausländers konkretisiert haben47. Diese Voraussetzungen seien in der Person des Klägers nicht erfüllt, da es sich bei den über die bloße Teilnahme an Veranstaltungen hinausreichenden Aktivitäten des Klägers lediglich um alltägliche Geschäfte handele. Eine Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland könne hierin nicht gesehen werden.

      33. In seinem Beschluß vom 17.11.1994 (1 B 224.94 - InfAuslR 1995, 150) unterstrich das Bundesverwaltungsgericht, daß auch nach Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes48 die Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Ausweisungsverfügung nach § 45 AuslG nach der Sach- und Rechtslage zu beurteilen sei, die im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung bestanden habe. Eine nach Erlaß des Widerspruchsbescheides erfolgte Eheschließung und Erkrankung der Klägerin war nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts daher für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Ausweisungsentscheidung ohne Bedeutung. Auch das im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides bereits bestehende Verlöbnis der Klägerin veranlaßte das Bundesverwaltungsgericht nicht zu einer Aufhebung des Bescheides. In der Rechtsprechung des Senats sei anerkannt, daß einem Ausländer, gegen dessen Anwesenheit im Bundesgebiet öffentliche Interessen sprechen, in der Regel der weitere Aufenthalt auch im Fall eines Verlöbnisses mit einer Deutschen verwehrt werden dürfe, wenn der Zeitpunkt der beabsichtigten Eheschließung - wie im vorliegenden Fall - völlig ungewiß sei.

      34. Das Bundesverwaltungsgericht ließ in seinem Beschluß vom 2.12.1994 (1 B 235.94 - InfAuslR 1995, 154) ausdrücklich offen, ob ein Ausländer ausgewiesen werden darf, wenn er sich im Zeitpunkt der Ausweisung durch die Ausländerbehörde im Ausland aufhält. Der Kläger hatte geltend gemacht, er habe sich nach Erlaß der Ausweisungsverfügung, aber während des laufenden Widerspruchsverfahrens im Ausland befunden. Eine nach systematischen Gesichtspunkten erfolgte Auslegung der §§ 45 ff. AuslG ergebe, daß zulässiger Regelungsgehalt einer Ausweisungsverfügung nicht der Erlaß eines Verbotes sein könne, das Bundesgebiet erneut zu betreten. Die Ausweisung eines sich nicht im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländers scheide von vornherein aus.

      Für das Bundesverwaltungsgericht war die Frage der Zulässigkeit der Ausweisung eines im Ausland befindlichen Ausländers im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich, da sich der Kläger zum Zeitpunkt der Ausweisung (d. h. des Erstbescheides) nicht im Ausland aufgehalten habe. Aus der bisherigen Rechtsprechung des Senates ergebe sich nicht, daß eine sofort vollziehbare Ausweisung mit der Vollziehung rechtswidrig werde, weil der Ausländer sich zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids im Ausland aufhalte.



      45 § 45 Abs. 1 AuslG lautet folgendermaßen: Ein Ausländer kann ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt.
      46 BGBl. 1990 I, 1354.
      47 Im Anschluß an BVerwGE 62, 36 ff.
      48 Gesetz vom 9.7.1990, BGBl. 1990 I, 1354.