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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994


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Hans-Konrad Ress


VII. Asylrecht

1. Politische Verfolgung

a) Begriff

      35. Mit Beschluß vom 28.12.1994 (2 BvR 1205/94 - NVwZ-Beilage 7/1995, 52) erklärte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde eines türkischen Staatsangehörigen gegen ein verwaltungsgerichtliches Urteil für offensichtlich begründet, mit dem das Verwaltungsgericht die Klage des türkischen Beschwerdeführers kurdischer Volkszugehörigkeit gegen die Ablehnung seines Asylantrages abgewiesen, zugleich jedoch das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG festgestellt hatte, da dem Beschwerdeführer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner politischen Tätigkeit im Polizeigewahrsam Folter oder menschenrechtswidrige Behandlung drohe. Das Bundesverfassungsgericht nahm Bezug auf seine bisherige Rechtsprechung und führte aus, daß auch Folter sich als asylrelevante Verfolgung darstellen könne, wenn sie wegen asylrelevanter Merkmale und im Blick auf diese eingesetzt werde49. Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts sei nicht mehr nachvollziehbar, warum das VG daran anknüpfend lediglich das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 1 AuslG wegen drohender Foltergefahr angenommen habe, im übrigen jedoch eine drohende politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a GG mit der Begründung verneint habe, dem Beschwerdeführer drohe bei seiner Rückkehr in die Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung aus individuellen Gründen. Alle Gesichtspunkte, die das VG im Rahmen der Prüfung des § 53 Abs. 1 AuslG zur Begründung dafür angeführt habe, daß dem Beschwerdeführer Folter deshalb drohe, weil er gegenüber der Gesamtheit aller abgelehnter kurdischer Asylbewerber eine Sonderstellung einnehme, stehe in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Bekämpfung kurdischer separatistischer Aktivitäten durch den türkischen Staat. Dies lege den politischen Charakter der vom Gericht angenommenen nach Rückkehr drohenden Verfolgungsmaßnahmen gerade nahe.

      36. Ebenfalls mit der Asylberechtigung türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit setzte sich das OVG Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluß vom 6.6.1994 (25 A 3388/91.A - InfAuslR 1995, 30) auseinander. Ein Angehöriger der PKK-Guerilla, der an mehreren Auseinandersetzungen mit türkischen Sicherheitskräften beteiligt gewesen war, hatte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet im Mai 1989 vergeblich die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt. Das OVG Nordrhein-Westfalen gab der gegen den ablehnenden Asylbescheid gerichteten Klage in zweiter Instanz in vollem Umfang statt. Der Kläger sei politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG, da er im Zeitpunkt seiner illegalen Ausreise aus der Türkei wegen seiner Tätigkeiten für die PKK jederzeit mit seiner Festnahme habe rechnen müssen und im Polizeigewahrsam mit hoher Wahrscheinlichkeit körperlich mißhandelt worden wäre. Zwar sei die Grenze der Asylverheißung politischer Straftäter grundsätzlich dann überschritten, wenn der Asylsuchende seine politische Überzeugung unter Einsatz terroristischer Mittel betätigt habe, also insbesondere unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter. Der Senat war jedoch der Auffassung, daß die Frage offen bleiben könne, ob diese Grenze im vorliegenden Fall überschritten sei. Denn selbst wenn man im Fall des Klägers von einer terroristischen Betätigung ausgehe, stehe dies der Asylerheblichkeit der ihm vor seiner Einreise in die Bundesrepublik drohenden staatlichen Verfolgungsmaßnahmen nicht entgegen. Maßnahmen der staatlichen Terrorismusabwehr seien nämlich als politische Verfolgung zu werten, wenn objektive Umstände - wie etwa die besondere Intensität der Verfolgungsmaßnahmen - darauf schließen ließen, daß der Betroffene wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werde50. Dies sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Verfolgte - wie hier - in der Polizeihaft mit der Anwendung von Folter rechnen müsse, die über das Maß hinausgehe, das Personen zu erwarten hätten, die dort wegen krimineller Delikte inhaftiert seien. Die dem Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise drohenden Mißhandlungen im Polizeigewahrsam seien auch dem türkischen Staat zuzurechnen, da ein energisches Vorgehen gegen die weitverbreitete Folterpraxis nicht festzustellen sei. Der Folter verdächtige Angehörige der Sicherheitskräfte seien nur in wenigen Fällen disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt worden. Das OVG sah sich an der Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter auch nicht durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 20.12.198951 gehindert, in dem dieses festgestellt hatte, daß Asyl nicht beanspruchen könne, wer im Heimatland unternommene terroristische Aktivitäten oder deren Unterstützung von der Bundesrepublik Deutschland aus in den hier möglichen Formen fortzuführen trachte. Die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers beschränkten sich auf bloße Beeinflussung des Meinungsklimas und hielten sich im Rahmen dessen, was bei der kurdischen Bewegung zuneigenden türkischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland üblich sei.

      37. Auch im Berichtszeitraum 1994 hatten sich die deutschen Gerichte mehrfach mit Asylanträgen vietnamesischer Staatsangehöriger zu befassen, die in der DDR beschäftigt gewesen waren52. Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Da die illegale Ausreise aus Vietnam oder das illegale Verbleiben von Vietnamesen im Ausland nach Art. 89 des Vietnamesischen Strafgesetzbuches (VStGB) von 1986 unter Strafe steht, bedurfte der Klärung, ob die insoweit mit Strafe bedrohten, in Deutschland befindlichen Vietnamesen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG genießen. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte in seinem Urteil vom 15.3.1994 (9 C 510.93 u. a. - DVBl. 1994, 927) ein Urteil des VGH München53, in dem dieses den politischen Charakter der strafrechtlichen Verfolgung nach Art. 89 VStGB verneint hatte. Der VGH München sei rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, daß Art. 89 VStGB nur ordnungsrechtlicher Charakter beizumessen sei, da die vietnamesischen Machthaber zwar gezielt gegen prominente Oppositionelle vorgingen, jedoch kein Interesse an der massiven Verfolgung einer großen Zahl von Tätern wegen Insubordinationstatbeständen hätten. Allein aus dem Inhalt der Strafvorschrift lasse sich noch nicht beantworten, ob drohender Bestrafung wegen unerlaubten Fernbleibens im Ausland asylerhebliche Bedeutung zukomme, es müßten vielmehr die Gesamtverhältnisse im Herkunftsland berücksichtigt werden. Die Anwendung einer Strafnorm könne sich jedoch verändern mit der Folge, daß eine Norm, die politischen Charakter aufweise, gleichwohl in der Praxis in einer Weise gehandhabt werde, daß sie nur noch der Einhaltung ordnungspolitischer Vorstellungen diene. Wegen der politischen Öffnung Vietnams habe der VGH München zumindest im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt davon ausgehen können, daß die Kläger eine wegen asylerheblicher Merkmale vergleichsweise hohe Strafe nach Art. 89 VStGB nicht zu befürchten hätten. Da das Bundesverwaltungsgericht den politischen Charakter des Art. 89 VStGB verneinte, konnte es offenlassen, ob die Kläger wegen unerlaubten Verbleibens im Ausland in ihrer Heimat überhaupt eine Bestrafung zu erwarten haben und ob die Kläger unter das Reintegrationsabkommen zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam vom 9.6.1992 (BGBl. 1994 II, 78) fallen.

      38. Demgegenüber kam der VGH Baden-Württemberg zu dem Ergebnis, daß sich die Anwendung des Art. 89 VStGB als politische Verfolgung von asylerheblicher Intensität darstelle und einer Abschiebung der hiernach mit Strafe bedrohten Vietnamesen die Vorschrift des § 51 Abs. 1 AuslG entgegenstehe (Urteil vom 14.1.1994 - A 16 S 1748/93 - InfAuslR 1994, 161). Der VGH hatte über den Fall eines vietnamesischen Staatsangehörigen zu entscheiden, der nach einer zweijährigen Tätigkeit als Fließbandarbeiter in der ehemaligen CSFR vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Oktober 1990 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland übergewechselt war, wo er die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt hatte. Nach Auffassung des VGH droht dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung nach Art. 89 VStGB. Die in Art. 8 des Reintegrationsabkommens (BGBl. 1994 II, 78) sowie in dem dazu vereinbarten Zusatzprotokoll enthaltene Straffreiheitsgarantie gelte nicht für jeden vietnamesischen Staatsbürger, sondern nur für die im Rahmen und auf der Grundlage des Reintegrationsabkommens zurückkehrenden förderungsfähigen Fachkräfte. Die Rückkehr nach Vietnam sei vietnamesischen Staatsangehörigen nur dann zuzumuten, wenn sie - bezogen auf die besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles - die sichere Erwartung oder doch wenigstens eine reale Chance der Straffreiheit hätten. Eine solche bestehe nur, wenn der vietnamesische Staatsangehörige nicht nur nach dem abstrakten Wortlaut des Abkommens, sondern auch nach den konkreten Bedingungen seiner tatsächlichen Durchführung eine aussichtsreiche Förderungschance habe. Für vietnamesische Arbeitnehmer aus der ehemaligen CSFR ohne besondere berufliche Qualifikation bestünden kaum Chancen, nach dem Abkommen gefördert zu werden.

      Die damit dem Kläger drohende Bestrafung nach Art. 89 VStGB stellt nach Auffassung des VGH eine politische Strafverfolgung dar und ist nicht lediglich ordnungsrechtlicher Natur. Politische Verfolgung liege dann vor, wenn die Strafandrohung der Abwehr und Ahndung des auf abweichender politischer Überzeugung beruhenden Wunsches diene, in einem anderen Land leben zu können. Ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht in der vorstehend berichteten Entscheidung führte der VGH aus, die Unterscheidung, ob eine Strafvorschrift der politischen Verfolgung oder allein der Durchsetzung ordnungsrechtlicher Aus- und Einreisebestimmungen diene, könne nicht getroffen werden, ohne die Eigenart des Staates in Betracht zu ziehen, von dem die Bestrafung ausgehe. Die Sozialistische Republik Vietnam unterstehe einem unverändert totalitären Regime kommunistischer Prägung. Für die Staaten des von der Sowjetunion dominierten Ostblocks sei durchweg kennzeichnend gewesen, daß eine Ausreise ins kapitalistische Ausland verboten war und als Verrat an der sozialistischen Solidarität galt. Bei einem nach wie vor als repressiv zu kennzeichnenden innenpolitischen Klima fehle jeglicher Anhaltspunkt für die Annahme, der Charakter der - aufrechterhaltenen - Strafvorschriften der Art. 85, 88, 89 VStGB habe sich geändert. Der Senat verkenne dabei nicht, daß jedenfalls Art. 89 VStGB auch reine Ordnungsstrafen erfasse und dementsprechend auch relativ milde Sanktionen wie die Verwarnung oder die kurzzeitige Freiheitsstrafe von drei Monaten vorsehe. Die hiernach doppelte Zweckrichtung des Art. 89 belege weiter, daß in Fällen mit (vermutetem) politischem Einschlag Strafen aus dem oberen Bereich des gesetzlichen Strafrahmens verhängt würden. Entgegen der Auffassung des BayVGH (Urteil vom 23.7.1993 - 8 BZ 93.30466)54 gehöre die Einweisung in Umerziehungslager mit zu dem Spektrum der von Art. 89 vorgesehenen und ermöglichten Umerziehungsmaßnahmen. Dem Kläger, in dessen Ausreise aus dem von der Republik Vietnam vorgesehenen Gastland und in dessen Weigerung, freiwillig nach Vietnam zurückzukehren, ein Fall politisch-oppositionell motivierter Republikflucht gesehen werde, drohe damit bei Anwendung des Art. 89 nicht lediglich eine Verwarnung oder eine Umerziehung in Gestalt einer ideologischen Wochenendschulung, sondern zumindest eine mehrmonatige Freiheitsstrafe. Dieser Nachteil sei asylrechtlich - und damit auch nach § 51 Abs. 1 AuslG - erheblich.



      49 Vgl. BVerfGE 81, 142.
      50 Vgl. auch BVerfGE 80, 315, 339.
      51 BVerfGE 81, 142.
      52 Vgl. hierzu bereits Rädler (Anm. 1), 508 ff., und Philipp (Anm. 4), 851 f.
      53 Urteil vom 23.7.1993 (8 BZ 93.30413), hierzu Philipp, ibid., 851.
      54 Siehe hierzu die Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts [37].