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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994


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Hans-Konrad Ress


VII. Asylrecht

1. Politische Verfolgung

d) Übergriffe Privater

      43. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (9 B 181/94 - NVwZ-RR 1995, 54 = DVBl. 1995, 580 [Ls.]) handelt es sich bei Verfolgungsmaßnahmen der Armee eines Staates um eine vom Staat selbst und nicht um eine von einem Dritten begangene, ihm lediglich zurechenbare Verfolgung, sofern die Verfolgungsmaßnahmen von der obersten Armeeführung angeordnet worden sind und von der Regierung stillschweigend hingenommen werden. Gegenstand des Verfahrens war der Asylantrag eines Staatsangehörigen aus Sri Lanka tamilischer Volkszugehörigkeit. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts sind von den militärischen Organen eines Staates begangene Vernichtungsaktionen gegen die Zivilbevölkerung immer dann staatliche Verfolgung, wenn die Verfolgungshandlungen der Armee von der innerhalb des Staates geltenden Entscheidungs- und Befehlslage vorgeschrieben oder zugelassen sind. Seien die diesbezüglichen Anordnungen und Verlautbarungen der innerstaatlichen Entscheidungsträger widersprüchlich, so komme es darauf an, welche der Anordnungen sich in der Praxis durchgesetzt hätten und das Handeln der staatlichen Sicherheitskräfte bestimmten. Nur solche von staatlichen Organen begangene Übergriffe, die aus der so zustandegekommenen Praxis des staatlichen Handelns als Exzesse deutlich herausfielen, seien keine staatliche Verfolgung. Die auf Befehle der obersten Armeeführung Sri Lankas zurückgehenden Vernichtungsaktionen der kämpfenden Truppe seien bereits deshalb staatliche Verfolgung, weil diese Maßnahmen Teil der Kriegsführung seien, für die sich der srilankische Staat entschieden habe.

      44. Zur Frage der mittelbaren staatlichen Verfolgung äußerte sich das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 5.7.1994 (9 C 1.94 - DVBl. 1995, 565 = BayVBl. 1995, 186 = NVwZ 1995, 391 = InfAuslR 1995, 24). Ausgangspunkt des Verfahrens war eine Klage syrischer Staatsangehöriger syrisch-orthodoxen Glaubens und assyrischer Volkszugehörigkeit gegen die Ablehnung der Anerkennung von Abschiebeschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Die Kläger hatten geltend gemacht, wegen ihres Glaubens Übergriffen fanatisierter steinewerfender Moslems ausgesetzt gewesen zu sein. Das Bundesverwaltungsgericht verwies den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung zurück und führte aus, die Gewalttätigkeiten der moslemischen Zivilpersonen seien dem syrischen Staat als mittelbar staatliche Verfolgung dann zuzurechnen, wenn dieser wegen Verfolgungsmaßnahmen Privater grundsätzlich keinen effektiven Schutz gewähre. Eine grundsätzliche Schutzbereitschaft des Staates vor Übergriffen Privater bestehe dann, wenn Polizei- und Sicherheitsbehörden zur Schutzgewährung ohne Ansehung der Person verpflichtet und dafür von der Regierung auch landesweit angehalten seien, vorkommende Fälle von Schutzversagung mithin ein von der Regierung nicht gewolltes Fehlverhalten der Handelnden darstellten.

      45. Das OVG Rheinland-Pfalz entschied, daß mittelbare staatliche Verfolgung auch dann vorliege, wenn der staatliche Schutz gegenüber asylrelevanten Rechtsverletzungen privater Dritter in einer solchen Vielzahl von Fällen unterbleibe, daß es für die Angehörigen der entsprechenden Minderheit (hier: Ahmadis in Pakistan) völlig offen sei, ob die vom Staat verbal versicherte Schutzbereitschaft im Einzelfall greife oder nicht (Urteil vom 30.8.1994 - 6 A 10598/92 - InfAuslR 1995, 211).