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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994


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Hans-Konrad Ress


VII. Asylrecht

2. Inländische Fluchtalternative

      46. In dem bereits oben [41] erwähnten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Gruppenverfolgung albanischer Volkszugehöriger nahm das Gericht auch Stellung zur Frage der inländischen Fluchtalternative und widersprach der Annahme des Berufungsgerichts, aus den Zielen der serbischen Regierung ergebe sich eine Zugriffsgefahr für ethnische Albaner auch außerhalb des Kosovo. Dies würde voraussetzen, so das Bundesverwaltungsgericht, daß die serbische Regierung tatsächlich entweder die Ausrottung aller Albaner oder ihre Vertreibung aus dem gesamten Staatsgebiet betreiben würde. Hierzu fehle es an entsprechenden Feststellungen, im übrigen spreche die Tatsache, daß nach den Lageberichten des Auswärtigen Amtes die Albaner außerhalb des Kosovo relativ unbehelligt leben könnten - und lediglich in Kreisen mit größerem albanischen Bevölkerungsanteil Diskriminierungen ausgesetzt seien -, gerade gegen solche Gefahren. Auch soweit das Berufungsgericht angenommen habe, den Klägern drohe außerhalb des Kosovo bei generalisierender Betrachtung auf unabsehbare Zeit ein Leben unter dem Existenzminimum, fehle es hierfür an hinreichenden Tatsachenfeststellungen. Nur wenn ein Vergleich der Lebensverhältnisse im Kosovo und in anderen Landesteilen Rest-Jugoslawiens ergäbe, daß die Kläger im gesamten Land gleichermaßen ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten hätten, käme es auf die Rechtsfrage an, ob unter solchen Umständen eine inländische Fluchtalternative ausscheidet.

      47. Nachdem das schleswig-holsteinische Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt war, Kurden seien in bestimmten Provinzen der Türkei einer Gruppenverfolgung wegen ihrer Volkszugehörigkeit ausgesetzt [39], entschied es, daß Kurden auch keine Fluchtalternative in anderen Regionen der Türkei zur Verfügung stehe. Das Vorliegen der Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative sei nur dann näher zu prüfen, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gebe, daß der Verfolgerstaat ein "mehrgesichtiger" Staat sei. Solche Anhaltspunkte vermochte das Gericht nicht zu erkennen. Bei einem zentralistisch organisierten Staat wie der Türkei müsse davon ausgegangen werden, daß er mittels seiner Sicherheits- und Ordnungskräfte in der Lage sei, ein Verfolgungsinteresse auch landesweit durchzusetzen. Ein solches im Zusammenhang mit der Abwehr separatistischer Bestrebungen stehendes Verfolgungsinteresse sei vor dem Hintergrund der auch im Westen der Türkei zunehmenden Aktivitäten der PKK in bezug auf jeden nicht evident assimiliert erscheinenden Kurden auch außerhalb des Krisengebiets im Osten des Landes in Rechnung zu stellen, also auch hinsichtlich der Kläger nicht sicher auszuschließen. Zum anderen müsse angesichts der Art der Überprüfung zurückkehrender Asylbewerber bezweifelt werden, daß die Kläger einen Ort außerhalb der sensiblen Gebiete der Notstandsprovinzen erreichen könnten, ohne bei der Einreise asylrelevanten Maßnahmen ausgesetzt zu werden.