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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994


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Hans-Konrad Ress


IX. Internationaler Menschenrechtsschutz

1. Europäische Menschenrechtskonvention

e) Verfahrensdauer (Art. 6 Abs. 1 EMRK)

      74. Das Bundesverfassungsgericht untersuchte in dem Beschluß vom 14.7.1994 (2 BvR 1072/94 - NJW 1995, 1277) die Frage der Folgen einer überlangen Dauer eines Strafverfahrens. Es wiederholte den in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsatz, daß sich eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bei der Strafzumessung auswirken müsse und im Extrembereich zur Einstellung oder zum Vorliegen eines unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot des GG herzuleitenden Verfahrenshindernisses führen könne. Hierbei hielt es das Bundesverfassungsgericht schon im Hinblick auf das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK normierte Beschleunigungsgebot und dessen Auslegung durch den EGMR für angezeigt, daß die Fachgerichte der Strafgerichtsbarkeit, wenn sie in Anwendung des Straf- und Strafverfahrensrechts die gebotenen Folgen aus einer Verfahrensverzögerung zögen, dabei die Verletzung des Beschleunigungsgebots ausdrücklich feststellten und das Maß der Berücksichtigung dieses Umstandes näher bestimmten.

      75. In einem Revisionsverfahren waren dem BGH erst 2 Jahre und 3 Monate nach Erlaß des tatrichterlichen Urteils die Verfahrensakten vorgelegt worden. Nach Auffassung des BGH ist das Verfahren damit seit der Verkündung des angefochtenen Urteils in einer gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verstoßenden Weise weiter verzögert worden (Urteil vom 21.12.1994 - 2 StR 415/94 - NJW 1995, 1101 = MDR 1995, 397 = NStZ 1995, 335). Da der Angeklagte selbst diesen Umstand nicht mehr rügen konnte, weil er sich erst nach Ablauf der Frist zur Begründung des Rechtsmittels verwirklicht hatte, hielt es der BGH für notwendig, das Revisionsrecht an die Gebote der EMRK anzupassen und diesen Umstand von Amts wegen zu berücksichtigen. Die Europäische Menschenrechtskonvention stelle zwingendes Recht dar und begrenze ihren Geltungsanspruch nicht auf die Zeit bis zum Urteilserlaß, dies führe zu einer von einer Rüge unabhängigen Prüfungspflicht des Revisionsgerichts.

      76. Eine Frist von etwas mehr als 2 Jahren zwischen Bekanntgabe des Schuldvorwurfs und der Berufungsverhandlung ist nach Ansicht des BayObLG noch nicht geeignet, einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK zu begründen. Nicht jede den Justizbehörden anzulastende Verzögerung des Verfahrens könne eine strafmildernde Wirkung aufgrund von Art. 6 Abs. 1 EMRK entfalten. Die bisher zu Art. 6 entschiedenen Fälle zeichneten sich dadurch aus, daß ihnen jeweils eine weit längere Verfahrensdauer zugrunde liege.