Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994


Inhalt | Zurück | Vor

Hans-Konrad Ress


X. Europäische Gemeinschaften

2. Diskriminierungsverbot

      93. Nach den § 96 Abs. 1, 125 Abs. 1 Urhebergesetz (UrhG) genießen ausübende Künstler, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, für alle ihre Darbietungen den nach den §§ 73 - 84 UrhG gewährten Schutz, d. h. sie können insbesondere die Verbreitung ihrer Darbietungen untersagen, die ohne ihre Einwilligung vervielfältigt werden, und zwar ohne Unterschied wo die Darbietungen stattfinden. Ausländische Künstler hingegen können sich nach § 125 Abs. 2 - 6 UrhG nicht auf das Verwertungsverbot des § 96 UrhG berufen, wenn die Darbietungen außerhalb Deutschlands stattfanden. Auf Vorlage des BGH87 hatte der EuGH in seinem Urteil vom 20.10.199388 das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrages im Sinne von Art. 7 Abs. 1 einbezogen und in dem nach den oben genannten Bestimmungen des Urhebergesetzes bewirkten Ausschluß von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten von dem Inländern zuerkannten Recht, den Vertrieb eines ohne ihre Einwilligung hergestellten Tonträgers im Inland zu verbieten, einen Verstoß gegen das in Art. 7 Abs. 1 EWG-Vertrag niedergelegte allgemeine Diskriminierungsverbot erblickt.

      Im Anschluß an dieses Urteil des EuGH befand der BGH, daß § 125 Abs. 1 UrhG durch die gemeinschaftsrechtliche Regelung des Art. 7 Abs. 1 EWG-Vertrag (jetzt Art. 6 Abs. 1 EGV) dahin ergänzt werde, daß dem nach den §§ 73 - 84 UrhG den ausübenden Künstlern für ihre Darbietungen gewährten Schutz sowohl deutsche Staatsangehörige als auch Angehörige anderer EG-Mitgliedstaaten unterfielen (Urteil vom 21.4.1994 - I ZR 31/92 - EuZW 1994, 637 = NJW 1994, 2607 = EWS 1994, 328 = NJW-RR 1994, 1463 [Ls.] = MDR 1994, 1199 = GRURInt 1995, 65 = BGHZ 125, 382 = LM H 12/94 EWG-Vertrag Nr. 38 mit Anm. Löwenheim). In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit hatte die Klägerin Tonträger mit Darbietungen der aus britischen Staatsangehörigen bestehenden englischen Gruppe "The Rolling Stones" vertrieben, die in den Jahren 1964 und 1965 in Großbritannien aufgenommen worden waren. Die Beklagte, Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an diesen Aufnahmen für den Bereich der Bundesrepublik, nahm im Wege der Widerklage die Klägerin auf Unterlassung des Vertriebs sowie auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr in Anspruch. Der BGH sprach der Beklagten Inlandsschutz unmittelbar aus Art. 7 Abs. 1 EWG-Vertrag zu. Unter Bezugnahme auf das oben erwähnte Urteil des EuGH führte der BGH aus, dem unmittelbar aufgrund des Art. 7 Abs. 1 bestehenden Anspruch auf Gleichbehandlung mit deutschen Staatsangehörigen stehe ein abweichendes nationales Recht - hier § 125 Urhebergesetz - nicht entgegen. Die Frage der Vereinbarkeit des § 125 Urhebergesetz mit dem Gemeinschaftsrecht habe der EuGH im Vorlageverfahren nach Art. 177 EWG-Vertrag zwar nicht entscheiden können, das einfache nationale Recht sei jedoch im Lichte des Gemeinschaftsrechts in der Auslegung durch den EuGH zu ergänzen. Mit der Einbeziehung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrags im Sinne des Art. 7 Abs. 1 habe der EuGH auch nicht die ihm durch Art. 164 EWG-Vertrag zugewiesene Kompetenz, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des EWG-Vertrages zu sichern, überschritten. Der EuGH habe nicht verkannt, daß das Urheber- und Leistungsschutzrecht bislang nur in Teilbereichen Gegenstand einer Harmonisierung gewesen sei, so daß es beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich Sache der nationalen Gesetzgeber sei, die Voraussetzungen und die Modalitäten dieses Schutzes festzulegen. Andererseits habe er aber auch berücksichtigt, daß das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte wie die anderen gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechte unmittelbare Auswirkungen auf den Handel und die Wettbewerbsverhältnisse innerhalb der Gemeinschaft haben könnten. Unter diesen Umständen halte sich eine Auslegung, die die verwandten Schutzrechte dem Anwendungsbereich des EWG-Vertrages zurechne, im Rahmen der dem EuGH zugewiesenen Entscheidungsbefugnis.

      Entgegen der Ansicht der Revision werde, so der BGH, bei einer solchen Auslegung auch nicht die Ermächtigungsgrundlage, nämlich das Zustimmungsgesetz zum EWG- bzw. jetzt zum EU-Vertrag, verlassen. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Maastricht-Urteil betont, daß mit Rücksicht darauf, daß der Text eines völkerrechtlichen Vertrages mit den Vertragsparteien ausgehandelt werden müsse, an die Bestimmtheit und Dichte der Vertragsregelungen nicht Forderungen gestellt werden könnten, wie sie der Parlamentsvorbehalt sonst für ein Gesetz vorgebe89. Für den EU-Vertrag habe das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, daß er - soweit er im dortigen Verfahren zu prüfen war - den Bestimmtheitsanforderungen genüge, weil er den künftigen Vollzugsverlauf, also die mögliche Inanspruchnahme der eingeräumten Hoheitsbefugnisse, hinreichend voraussehbar normiere. Dem Einwand der Revision, § 125 UrhG stehe gleichrangig neben Art. 7 Abs. 1 EWG-Vertrag und beanspruche deshalb als jüngere Norm Vorrang, begegnete der BGH mit dem Hinweis, nach allgemeinem Verständnis sei im Divergenzfall vom Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor dem einfachen nationalen Recht auszugehen.

      Schließlich verwarf der BGH das Argument, der Entscheidung des EuGH komme keine Rückwirkung zu. Er führte aus, aus dem Wesen der Vertragsauslegung folge, daß die Gerichte diese Vorschrift und diese Auslegung grundsätzlich auch auf Rechtsverhältnisse anwenden könnten und müßten, die vor Erlaß des auf das Suchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden seien. Die ex tunc-Wirkung der Vorabentscheidung sei danach die Regel.

      Das oben genannte Urteil des EuGH war auch Gegenstand eines Urteils des BGH vom 6.10.1994 (I ZR 155/90 - NJW 1995, 868 - Cliff Richard II) sowie eines Urteils des OLG Frankfurt a.M. vom 1.9.1994 (6 U 265/93 - NJW-RR 1995, 46 = GRUR 1995, 337 = EWS 1994, 404). Beide Gerichte erkannten Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten wegen der unmittelbaren Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots des Art. 7 Abs. 1 EWG-Vertrag Urheberrechtsschutz nach §§ 120 Abs. 1, 121 Abs. 1 und 4 bzw. § 96 Abs. 1 UrhG zu.



      87 Beschluß vom 25.6.1992 - EuZW 1992, 644.
      88 EuZW 1993, 710 = NJW 1994, 375.
      89 BVfG, NJW 1993, 3047.