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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1995


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Volker Röben


X. Rechtsstellung deutscher Volkszugehöriger

       Mit der Frage der deutschen Volkszugehörigkeit als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des BundesvertriebenenförderungsG hatte das Bundesverwaltungsgericht sich im Berichtszeitraum in mehreren Entscheidungen zu befassen.

       59. Mit Urteil vom 13.6.1995 (9 C 392.94 - BVerwGE 98, 367=NJW 1995, 2856) äußerte es sich im Rahmen eines Rechtsstreits um die Ausstellung eines Vertriebenenausweises nach § 15 Abs. 2 a.F. zu den Kriterien für die Beurteilung der Volkszugehörigkeit von Spätgeborenen aus der früheren Sowjetunion. Der Begriff des deutschen Volksangehörigen in § 6 BVFG a.F. sei ein Rechtsbegriff, und zwar in erster Linie ein Bekenntnisbegriff. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum, das Bekenntnisfähigkeit voraussetze und kurz vor dem Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen vorgelegen haben müsse, setze sich zusammen aus einer inneren Tatsache, nämlich dem von einem entsprechenden Bewußtsein getragenen Willen, ausschließlich dem deutschen Volk als einer national geprägten Kulturgemeinschaft anzugehören, und einer äußeren Tatsache, nämlich der Verlautbarung dieser Bewußtseinslage nach außen, zusammen. In rechtsähnlicher Weise sei die Lage solcher Personen zu beurteilen, die - wie die Klägerin - erst nach Beginn der in der früheren Sowjetunion am 22.6.1941 einsetzenden inneren Vertreibungsmaßnahmen geboren worden seien und deshalb das Bekenntnis im maßgeblichen Zeitpunkt nicht hätten abgeben können. Bei ihnen trete an die Stelle des eigenen Bekenntnisses ein durch Überlieferung volksdeutschen Bewußtseins hergestellter Bekenntniszusammenhang. Das Bundesverwaltungsgericht kommt im Falle der Kläger zu dem Ergebnis des Vorliegens einer deutschen Volkszugehörigkeit. Vor dem vom Bundesverwaltungsgericht im einzelnen dargelegten historischen Hintergrund der Situation der Rußlanddeutschen nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Jahre 1941 ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts trotz der in den letzten Jahren teilweise erfolgreichen Bemühungen um eine weitere allgemeine Verbesserung der Lage der Volksdeutschen in der früheren Sowjetunion wie z.B. die Wiederbegründung des deutschen nationalen Rayons in Halbstadt im Gebiet Slawgorod/Altai, der Errichtung eines deutschen nationalen Rayons Asowo, Gebiet Omsk, 1992 und neuer Ansiedelungen im Wolgagebiet davon auszugehen, daß diejenigen Volksdeutschen, die die Zeit der Deportation und der damit verbundenen jahrzehntelangen auch physischen Ausgrenzungen als Feinde, Faschisten und Verräter bewußt erlebt hätten, sich in bleibender Weise als Opfer eines mit ihrer deutschen Volkszugehörigkeit verknüpften ungerechten Schicksals fühlten, und daß ein solcher psychischer Zustand auch die in der Familie aufwachsenden Kinder beeinflussen könne. Das Berufungsgericht habe daher zutreffend einer Vermittlung der Familiengeschichte maßgebende Bedeutung zugemessen. Einer danach möglichen Vermittlung volksdeutschen Bewußtseins stehe eine sprachliche Assimilierung nicht entgegen. Ferner wies der Senat auf die hier maßgebliche Verordnung über das Paßsystem in der Sowjetunion hin. Danach habe jeder Bürger der UdSSR nach Vollendung des 16. Lebensjahrs einen Paß besessen, in dem seine Nationalität (Volkstum) eingetragen war. Habe sich der Abkömmling verschiedennationaler Eltern, der wegen seines Wahlrechts insoweit als selbständig anzusehen sei, im Hinblick auf den volksdeutschen Elternteil für den Nationalitäteneintrag "Deutscher" oder "Deutsche" entschieden, so liege darin ein bekenntnisähnliches Verhalten. Diese Voraussetzungen seien im Falle der Kläger erfüllt. Dem stehe auch nicht entgegen, daß die Nationalität der Klägerin möglicherweise während der Dauer ihrer etwa über zwei Jahre dauernden Ehe in ihrem Inlandspaß mit "Russin" eingetragen gewesen sei.

       60. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 29.8.1995 (9 C 391/94 - NVwZ-RR 1996, 232) zu Spätaussiedlern aus der früheren Sowjetunion richtet sich im Verfahren auf Erteilung eines Aufnahmebescheids die deutsche Volkszugehörigkeit einer nach dem 31.12.1923 geborenen Person auch dann nach § 6 Abs. 2 BVFG idF. des Art. 1 Nr. 5 des KriegsfolgenbeseitigungsG, wenn der Antrag vor dem Inkrafttreten des KfbG gestellt wurde. § 6 Abs. 2 BVFG n.F. verlange neben der Abstammung von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutscher Volkszugehörigkeit kumulativ wenigstens eines der in § 6 Abs. 2 Nr. 3 BVFG n.F. genannten Merkmale. Maßgebender Zeitpunkt für das Vorliegen einer Erklärung zur Deutschen Nationalität i.S.v. § 6 Abs. 2 Nr. 3 1. Alt. BVFG n.F. sowie für ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum auf andere Weise (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 2. Alt. BVFG) sei der Zeitpunkt des Verlassens der Aussiedlergebiete. Die nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 1. Alt. BVFG erforderliche Erklärungsfähigkeit richte sich grundsätzlich nach dem Recht des Herkunftsstaates. Habe sich jemand - bis zu seiner Aussiedlung fortwirkend i.S.d. § 6 Abs. 2 Nr. 3 1. Alt. BVFG n.F. zu einer nichtdeutschen Nationalität wie hier durch Angabe der russischen Nationalität bei Ausstellung des ersten sowjetischen Inlandspasses bekannt, so schließe dies die Annahme eines Bekenntnisses zum deutschen Volkstum auf andere Weise (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 2. Alt. BVFG) aus. Der Ausschluß deutscher Volkszugehöriger von einem Hochschulstudium wegen ihres Volkstums stelle einen schwerwiegenden beruflichen Nachteil i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 2 HS 2 BVFG dar, der zur Unbeachtlichkeit einer Erklärung zu einem nichtdeutschen Volkstum führe. Von einer Erklärung zu einem nichtdeutschen Volkstum könne bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes durch ein Verhalten, das sich als ein eindeutiges Bekenntnis zum deutschen Volkstum darstellt, abgerückt werden. Das ernsthafte Bemühen, im Paß statt der nichtdeutschen die deutsche Nationalität eingetragen zu bekommen, könne Bekenntnischarakter haben.