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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


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Kerrin Schillhorn


VII. Asylrecht

1. Asylverfahren

b) Sichere Drittstaaten

      37. Mit der verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit des Art. 16 a Abs. 2 GG befaßte sich das BVerfG in seinem Hauptsache-Urteil vom 14.5.1996 (2 BvR 1938, 2315/93 = BVerfGE 94, 49ff. = DÖV 1996, 447ff. = DVBl. 1996, 753ff. = NVwZ 1996, 700ff. = MDR 1996, 755 = NJW 1996, 1665 = VBlBW 1996, 295f. = NJ 1996, 332f.)56. Gegenstand des Verfahrens waren Verfassungsbeschwerden von irakischen Staatsangehörigen, die über Griechenland, bzw. Österreich in die Bundesrepublik eingereist waren und deren Asylanträge unter Hinweis auf die nunmehr geltende Regelung der sicheren Drittstaaten abgelehnt worden waren. In seinem Urteil bestätigte das Gericht die Regelung, nach der sich nicht auf Art. 16 a Abs. 1 GG berufen könne, wer aus einem Mitgliedstaat der EG oder aus einem Drittstaat eingereist sei, in dem die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK sichergestellt sei. Das Gericht betonte die Einbindung der Verfassungsänderung in die völkerrechtlichen Verträge, insbesondere in das Schengener Abkommmen sowie in das Dubliner-Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages vom 15.6.199057. Nach diesem Übereinkommen sei das allgemeine Ziel aufgestellt worden, die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages eines Ausländers auf nur einen Staat zu beschränken. Das Gericht stellte fest, daß die Änderung des Art. 16 a GG, der nach wie vor das Grundrecht auf Asyl gewährleiste, den persönlichen Geltungsbereich dieses Grundrechts einschränke, indem an den Reiseweg des Ausländers Folgerungen für dessen Schutzbedürftigkeit geknüpft würden. Insbesondere finde kein Asylverfahren mehr statt, wenn ein Ausländer über einen sicheren Drittstaat eingereist sei. Das Gericht führte aus, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Regelung des Art. 16 a Abs. 2 GG den Schutz vor politischer Verfolgung gewährleistet sehe, wenn der schutzbegehrende Ausländer in einem Staat Aufnahme finden könne, in dem die Genfer Flüchtlingskonvention angewendet und insbesondere das Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK, sowie die EMRK, insbesondere Art. 3, beachtet werden. Weiterhin seien die Mitgliedstaaten der EG kraft Verfassung als sichere Drittstaaten qualifiziert worden. Für andere Staaten sei die Einstufung als sicherer Drittstaat von der vorherigen Prüfung abhängig, ob dort ein Schutz entsprechend der GFK und der EMRK gewährt werde. Eine solche Einordnung erfolge durch ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedürfe. Ein "sicherer Drittstaat" müsse nicht nur der GFK und der EMRK beigetreten sein, sondern auch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.196758 ratifiziert haben. Weiterhin sei erforderlich, daß die nach den Konventionen vorgesehenen Kontrollverfahren, die dazu bestimmt sind, die Einhaltung der mit ihrer Ratifizierung übernommenen Verpflichtungen zu gewährleisten, für den jeweiligen Staat verbindlich seien. Auch müsse die Anwendung dieser Konventionen in dem jeweiligen Drittstaat sichergestellt sein. Davon könne in der Regel dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn entweder nach der nationalen Rechtsordnung oder nach politischen Vorgaben Gruppen von Personen von vornherein nicht als Flüchtlinge in Betracht gezogen würden, sei es, daß die GFK nur unter einem regionalen Vorbehalt gezeichnet worden sei, sei es, daß Flüchtlingen aus bestimmten Staaten generell keine Zuflucht gewährt würde. Nicht erforderlich dagegen sei, daß in dem Drittstaat ein Prüfungsverfahren für Asylsuchende offenstehe, das im wesentlichen dem deutschen Asylverfahren entspreche. Allerdings müsse es den schutzsuchenden Ausländern nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen im Drittstaat möglich sein, ein Schutzgesuch tatsächlich anzubringen und dadurch die Verpflichtung einer zuständigen Stelle zu begründen, hierüber nach vorheriger Prüfung eine Entscheidung zu treffen. Ein solcher Staat, der seinerseits eine Drittstaatenregelung vorsehe, könne gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG zum sicheren Drittstaat bestimmt werden. Dies gelte allerdings nicht, wenn nach der Rechtsordnung des Drittstaates eine Abschiebung in einen angeblichen Verfolgerstaat drohe, ohne daß in einem förmlichen Verfahren überprüft worden sei, ob die Voraussetzungen des Art. 33 GFK und Art. 3 EMRK vorlägen oder ein dementsprechender Schutz tatsächlich gewährleistet sei. Dies ergebe sich auch aus dem Refoulement-Verbot, wonach neben der unmittelbaren Verbringung in den Verfolgerstaat auch die Abschiebung oder Zurückweisung in solche Staaten, in denen eine Weiterschiebung in den Verfolgerstaat drohe, verboten sei. Hinsichtlich der Auslegung des Begriffes "aus einem sicheren Drittstaat einreisen" führte das Gericht aus, hiermit seien solche Staaten gemeint, in denen der Ausländer Schutz auf der Grundlage der GFK habe finden können. Dabei blieben jedoch vom Ausländer selbst zu verantwortende Hindernisse, ein Schutzgesuch anzubringen, außer Betracht. Für die Beurteilung der Frage, ob der Ausländer "aus" einem Drittstaat eingereist sei, sei von dem tatsächlichen Verlauf der Reise auszugehen. Dabei reiche es nicht aus, den Drittstaat mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu durchfahren, ohne daß es einen Zwischenhalt gegeben habe. Allerdings sei es auch nicht erforderlich, daß sich der Ausländer eine bestimmte Zeit in dem Drittstaat aufgehalten habe. Vielmehr gehe die Drittstaatenregelung davon aus, daß der Ausländer den im Drittstaat für ihn möglichen Schutz in Anspruch nehmen müsse und dafür ggf. auch die von ihm geplante Reise zu unterbrechen habe. Dabei sei nicht erforderlich, daß der sichere Drittstaat die letzte Station vor der Einreise des Ausländers in die Bundesrepublik Deutschland gewesen sei. Vielmehr reiche es aus, daß sich der Ausländer während seiner Reise irgendwann in einem sicheren Drittstaat befunden habe und dort Schutz nach den Bestimmungen der GFK habe finden können. Dann entfalle das Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland, ohne daß dabei geklärt werden müsse, aus welchem Drittstaat der Ausländer eingereist sei. Dies gelte insbesondere für Ausländer, die auf dem Landweg einreisten, da nach der geltenden Rechtslage alle Grenzstaaten der Bundesrepublik Deutschland zu den sicheren Drittstaaten gehörten. Schließlich führte das BVerfG aus, daß aus der Drittstaatenregelung folge, Ausländern, die unter ihren Geltungsbereich fielen, nicht den Schutz des § 51 Abs. 1 AuslG zu gewähren. Für die Anwendung dieser deutschen Regelung des völkerrechtlich geltenden Refoulement-Verbotes des Art. 33 GFK bestehe bei der Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Bedürfnis mehr. Dieser Schutz sei lediglich dann zu gewähren, wenn der Ausländer in seinen Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat, der nicht sicherer Drittstaat sei, abgeschoben werden solle. Ebenfalls ausgeschlossen sei die Anwendung der Abschiebungshindernisse in § 53 AuslG, wenn der Ausländer aus einem sicheren Drittstaat eingereist sei. Einer Abschiebung in einen solchen sicheren Drittstaat stünden die Abschiebungshindernisse des § 53 AuslG per definitionem nicht entgegen. Weiterhin sehe die Drittstaatenregelung keine Einzelfallprüfung wie im Rahmen des Art. 16 a Abs. 3 GG vor, wonach die verfassungsrechtliche Vermutung der Nichtverfolgung durch substantiierten Vortrag des Ausländers entkräftet werden könne, um hiermit eine Überprüfung des Einzelfalles einzuleiten.59 Der Bedarf für eine solche Einzelfallprüfung bestehe bei der Einreise aus einem sicheren Drittstaat nicht. Allerdings sei Raum für Ausnahmen zugelassen, so z.B. wenn sich der Ausländer gegenüber einer Zurückweisung oder Rückverbringung in den Drittstaat auf das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 2 AuslG berufen könne, daß ihm in dem jeweiligen Staat die Todesstrafe drohe oder daß sich die Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert hätten. Das Gericht stellte fest, daß der Ausländer eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstünden, nur erreichen könne, wenn sich die Vermutung aufgrund bestimmter Tatsachen aufdränge, daß er von einem in dem normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen sei. An diese Darlegung seien jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Schließlich führte das Gericht aus, daß die Neuregelung des Grundrechts auf Asyl in Art. 16 a GG nicht die Schranken des Art. 79 Abs. 3 GG durchbreche. Insbesondere sei keine Verletzung der Art. 1 und 20 GG durch die Änderung des Asylverfahrens festzustellen. Aus diesen Gründen bestätigte das BVerfG die angegriffenen Hoheitsakte und die ihnen zugrundeliegenden Vorschriften des AsylVfG und wies die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer als unbegründet ab. Hinsichtlich der Einreise aus Griechenland sei die Einordnung als sicherer Drittstaat nicht problematisch; auch die Aufnahme Österreichs in die Liste der anderen sicheren Drittstaaten sei entsprechend den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht zu beanstanden60.

      38. Im Anschluß an die soeben vorgestellte Grundsatzentscheidung vom 14.5.1996 stellte das BVerfG in seinem Beschluß vom 30.7.1996 (2 BvR 394/95 = NVwZ-Beilage 2/1997, 10f.) klar, daß es gegen das Willkürverbot des Art. 3 GG verstoße, wenn die einem abgelehnten Asylbewerber angedrohte Abschiebung in seinen Herkunftsstaat für rechtmäßig erklärt werde, weil er aus einem sicheren Drittstaat eingereist sei. Der Beschwerdeführer, ein albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo, war über die tschechisch-deutsche Grenze in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hatte seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragt. Das BVerfG führte aus, das VG habe zu Recht festgestellt, daß der Beschwerdeführer wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter habe. Außerdem sei zutreffend festgestellt worden, daß eine Prüfung der Voraussetzungen der §§ 51, 53 AuslG nicht mehr stattzufinden habe. Als schlechthin unhaltbar und objektiv willkürlich bezeichnete das BVerfG jedoch den daraus abgeleiteten Schluß des VG, daß die §§ 51, 53 AuslG, auch bei der Anordnung der Abschiebung in den Herkunftsstaat keine Anwendung fänden.

      39. Das thüringische OVG hatte sich in einem Urteil vom 30.10.1996 (3 KO 335/96 = DÖV 1997, 170f. = NVwZ-Beilage 6/1997, 44f.) mit der Frage zu beschäftigen, ob die Drittstaatenregelung auch dann eingreift, wenn ein Ausländer, der in der Bundesrepublik Deutschland um Asyl nachgesucht und dabei deren Zuständigkeit für sein Asylbegehren begründet hatte, während des Asylverfahrens kurzzeitig das Bundesgebiet verlassen hat, um in einen der Vertragsstaaten des Schengen-II-Übereinkommens auszureisen und von dort aus wieder in die Bundesrepublik einzureisen. Das Gericht kam zu dem Schluß, daß in einem solchen Fall die Drittstaatenregelung keine Anwendung finde. Zwar, so führte das Gericht aus, stünden Wortlaut und Systematik der Drittstaatenregelung einer anderslautenden Auslegung zur Drittstaatenregelung nicht entgegen, doch folge aus dem Sinn und Zweck der Drittstaatenregelung, daß "Einreisen" i.S.v. "Anreisen" zu verstehen sei. Das Ziel der Drittstaatenregelung sei es, daß ein vor politischer Verfolgung Flüchtender in dem ersten Staat um Schutz nachsuchen müsse, in dem es ihm möglich sei. Dies sei im vorliegenden Fall die Bundesrepublik gewesen, nicht aber das Großherzogtum Luxemburg, in das der Asylsuchende zwischenzeitlich ausgereist war, bevor er wieder in die Bundesrepublik zurückkehrte. So sei die Drittstaatenregelung auf die Fälle beschränkt, in denen der Asylsuchende vor der erstmaligen Einreise in die Bundesrepublik nach der Flucht bereits in einem sicheren Drittstaat hätte Schutz finden können.

      40. In einem Beschluß vom 23.5.1996 entschied das VG Frankfurt/M. (2 G 50290/96.A(1) = InfAuslR 1996, 331f.), daß die Bestimmungen des Schengen-II-Übereinkommens zur Übernahme eines Flüchtlings durch einen anderen Schengen-Staat (Art. 35, 36) keinen Rechtsanspruch des Flüchtlings beinhalteten, eine solche Übernahme vorzunehmen. Die Antragstellerin, eine iranische Staatsangehörige, die vergeblich die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Flughafenverfahren gem. § 18 a AsylVfG begehrt hatte, machte geltend, die deutschen Behörden hätten es rechtsfehlerhaft unterlassen, die Antragstellerin wegen des in den Niederlanden anhängigen Asylverfahrens ihres Ehemannes und Vaters in die Niederlande zur Entscheidung über ihren Asylantrag weiterzuleiten. Das Gericht führte aus, die Antragstellerin könne aus Art. 35 des Schengen-II-Übereinkommens keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens in einem anderen Vertragsstaat ableiten. Grundsatz des Schengen-Übereinkommens sei es, im Gebiet der Vertragsparteien nur ein Asylverfahren durchzuführen. Jedoch räume Art. 36 der Vertragspartei lediglich ein Ermessen ein. Einen Anspruch auf Übernahme könnten die Asylsuchenden nicht geltend machen; es bestehe nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und dies auch nur dann, wenn die Einreise in das Schengen-Gebiet bereits erfolgt sei.



      56 Vgl. dazu bereits Philipp (Anm. 1), [43]; aber auch Mark, Die Drittstaatenregelung des Art. 16 a II GG nach dem Urteil des BVerfG vom 14.5.1996, InfAuslR 1997, 208ff.; Göbel-Zimmermann/Masuch (Anm. 51). Zur Entwicklung der Rechtsprechung zur Drittstaatenregelung vgl. Ress (Anm. 1), [48]-[56] sowie Röben (Anm. 1), [52].

      57 BGBl. 1994 II, 792ff., noch nicht in Kraft getreten.

      58 BGBl. 1969 II, 1294ff.

      59 Vgl. Ausführungen zu [34].

      60 Qualifikation Österreichs als sicherer Drittstaat i.S.d. Art. 16 a Abs. 2 GG, vgl. auch Beschluß des BayVwG vom 4.6.1996 - 24 AA 31023/96 = BayVBl. 1997, 184. Jedoch wurde ein Verfahren vor dem VG Frankfurt ausgesetzt, da Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der Drittstaatenregelung in bezug auf die Tschechische Republik bestanden, Beschluß vom 21.2.1996 - 3 L 116/96. A = NVwZ-Beilage 6/1996, 46.