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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


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Kerrin Schillhorn


VII. Asylrecht

2. Politische Verfolgung

c) Frauenspezifische politische Verfolgung

      45. Das VG Frankfurt/M. entschied mit Urteil vom 23.10.1996 (5 E 33532/94.A(3) = InfAuslR 1997, 177ff. = NVwZ-Beilage 6/1997, 46f.), daß auch drohende Verfolgungsmaßnahmen gegen alleinstehende Frauen in Afghanistan eine politische Verfolgung darstellen können. Gegenstand des Verfahrens waren die Asylanträge zweier afghanischer Staatsangehöriger, die in ihrer Heimat von Taleban-Milizen als alleinstehende Frauen verfolgt worden waren, wobei es auch zu Vergewaltigungsversuchen gekommen war. Das Gericht führte aus, daß eine Verfolgung als politisch anzusehen sei, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung der Betroffenen abziele. Weiterhin könne einem Asylsuchenden, der bereits einmal politisch verfolgt war, eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sei. Das Gericht stellte fest, daß jedenfalls einer der Klägerinnen eine politische Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe, weil sie als alleinstehende Frau Gefahr liefe, von Angehörigen der Taleban-Milizen Vergewaltigungsversuchen ausgesetzt zu sein. Weiterhin bestünden bei ihrer Vorgeschichte überzeugende und überwiegende Anhaltspunkte, eine subjektive Verfolgungsfurcht zu begründen, die für sie eine Rückkehr in ihr Herkunftsland unzumutbar erscheinen lasse. Sollten die Klägerinnen nach Afghanistan zurückkehren, so drohe ihnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Mißhandlung, möglicherweise bis hin zu Vergewaltigungen. Das Gericht bezog sich dabei auf Informationen, nach denen alleinstehende Frauen in den Taleban-Gebieten vollständig rechtlos und zudem besonders akut gefährdet seien, mit drakonischen Strafen belegt zu werden, sofern nur der geringste Verdacht bestehe, daß sie islamischen Sitten zuwiderhandelten. So werde berichtet, daß Frauen in dem Herrschaftsgebiet der Taleban nur noch in männlicher Begleitung in die Öffentlichkeit gehen dürften und daß Frauen, die sich vermeintlich den islamischen Sitten nicht unterwürfen, einer menschenrechtswidrigen Behandlung unterworfen würden. Die drohenden Mißhandlungen bis hin zur Vergewaltigung und Steinigung stellten eine politische Verfolgung i.S.d. Art. 16 a Abs. 1 GG dar; sie zielten auf bestimmte persönliche Merkmale, die asylerheblich seien, nämlich auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, der Gruppe der alleinstehenden Frauen in Afghanistan. Schließlich lägen keine inländischen Fluchtalternativen vor, insbesondere sei nicht ersichtlich, daß die Klägerinnen familiären Schutz in den von den Taleban kontrollierten Gebieten genießen könnten.