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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


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Kerrin Schillhorn


VII. Asylrecht

3. Verfolgung von Gruppen - inländische Fluchtalternative

      46. Das BVerwG hatte sich in dem Urteil vom 30.4.1996 (9 C 171/95 = BVerwGE 101, 134ff. = InfAuslR 1996, 324ff. = NVwZ 1996, 1113ff.) mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen eine regionale Gruppenverfolgung einen Nachfluchtgrund i.S.d. Art. 16 a Abs. 1 GG darstellen könne. Gegenstand des Verfahrens war der Asylantrag eines kurdischen Volkszugehörigen türkischer Staatsangehörigkeit, der wegen der Verfolgung seines Volkes in der Türkei um Asyl nachsuchte. Das Gericht führte aus, daß auch solche Asylsuchende, die ihren Heimatstaat unverfolgt verlassen hätten, bei einer ihnen i.S. eines objektiven Nachfluchtgrundes jetzt drohenden regionalen Gruppenverfolgung eine inländische Fluchtalternative nur dort hätten, wo sie vor Verfolgung hinreichend sicher seien. Andernfalls könnten sie Asyl und Abschiebungsschutz beanspruchen. Zwar wurde die regionale Verfolgung von Kurden in der Türkei nicht in Frage gestellt, doch stellte das Gericht fest, daß es keine einzige Auskunft oder Stellungnahme gebe, aus der hervorginge, daß z.B. türkische Sicherheitskräfte auch im Westen der Türkei unterschiedslos und massenhaft Repressalien gegen Kurden allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit ausübten. Somit sei eine inländische Fluchtalternative nicht ausgeschlossen64. Auf eine regionale Gruppenverfolgung könne sich weiterhin nur derjenige berufen, der die Gefahr eigener politischer Verfolgung aus Maßnahmen des Verfolgerstaates gegenüber solchen Dritten ableiten könne, die wegen eines asylerheblichen Merkmales verfolgt würden, das er mit ihnen teile. Weiterhin müsse er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befinden, und seine eigene bisherige Verschonung vor ausgrenzenden Rechtsgutbeeinträchtigungen müsse deshalb als eher zufällig anzusehen sein65. Schließlich komme es angesichts der Vielgestaltigkeit tatsächlicher Erscheinungsformen politischer Einzel- und Gruppenverfolgung darauf an, wer bei realitätsgerechter Ermittlung und Bewertung des gesamten Verfolgungsgeschehens zum Kreis der gefährdeten Personen zu rechnen sei. Dabei seien bei der Abgrenzung einer kollektiv gefährdeten Gruppe grundsätzlich alle Personen einzubeziehen, gegen die der Verfolgerstaat, objektiv gesehen, seine Verfolgung betreibe oder voraussichtlich betreiben würde.



      64 Vgl. dazu auch das Urteil des BVerwG vom selben Tag (9 C 170/95 = BVerwGE 101, 123ff. = NVwZ 1996, 1110ff.) sowie den Beschluß des BVerfG vom 3.9.1996 (2 WvR 1230/94 = NVwZ-Beilage 4/1997, 26).

      65 Vgl. hierzu auch den Beschluß des BVerfG vom 2.4.1996 (2 BvR 2916/95 = NVwZ-Beilage 6/1996, 41f.).