Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


Inhalt | Zurück | Vor

Kerrin Schillhorn


IX. Internationaler Menschenrechtsschutz

1. Europäische Menschenrechtskonvention

d) Recht auf Familienleben (Art. 8 EMRK)

      56. Mit dem Verhältnis zwischen dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK und dem Schutzbereich des Art. 6 GG hatte sich das Schleswig-Holsteinische OVG in seinem Urteil vom 30.4.1996 (4 L 62/95 = InfAuslR 1996, 258ff.) auseinanderzusetzen75. Gegenstand des Verfahrens war das Begehren eines geschiedenen Vaters ausländischer Staatsangehörigkeit auf eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Zusammenlebens mit seiner Tochter, die ihrerseits im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik war. Das OVG gab dem Antrag des Klägers statt und führte aus, dieser habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht aus innerstaatlichem Recht, jedoch aus Art. 8 EMRK. Nach innerstaatlichem Recht sei der Antrag an § 17 Abs. 1 AuslG zu messen, nach dem Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zum Zwecke des Zusammenlebens mit Familienangehörigen das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft sei. Das Gericht führte weiter aus, daß unter den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG und damit in den Anwendungsbereich des § 17 Abs. 1 AuslG nur tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaften fielen, also ein Zusammenleben der Familienangehörigen unerläßlich sei, während bloße Begegnungsgemeinschaften nicht geschützt seien. Um eine solche bloße Begegnungsgemeinschaft gehe es in dem Fall des Klägers im Umgang mit seiner Tochter. Die Rechtslage stelle sich jedoch anders dar, wenn die Regelungen des Art. 8 EMRK in die Betrachtung einbezogen würden. Nach der Entscheidungspraxis der Europäischen Menschenrechtskommission und der Rechtsprechung des EuGMR entstehe zwischen Eltern und Kindern bereits durch die Geburt eine Familie i.S.d. Art. 8 Abs. 1 EMRK. Dabei sei es völlig unerheblich, ob die Eltern miteinander verheiratet seien oder nicht. Dies unterscheide den Art. 8 Abs. 1 EMRK in seinem Anwendungsbereich beträchtlich von dem des Art. 6 Abs. 1 GG, da das Zusammenleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern keine unabdingbare Voraussetzung für das Vorhandensein eines Familienlebens i.S.d. Art. 8 Abs. 1 EMRK sei. Weiterhin führte das Gericht aus, Art. 8 Abs. 1 EMRK gebe keinen Anspruch darauf, eine Aufenthaltserlaubnis für einen fremden Staat zu erhalten. Gleichwohl könne durch die Versagung der Aufenthaltserlaubnis eine Verletzung der Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. So sei in den Fällen der Vater-Kind-Beziehung ein Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK durch Verweigerung einer Aufenthaltsgenehmigung jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Vater den Kontakt zu dem Kind wolle, ihm dieser auch nicht durch zu respektierende Entscheidungen der Gerichte oder der Kindesmutter unmöglich gemacht werde und dem Kind nicht zuzumuten sei, dem Vater in sein Heimatland zu folgen. Schließlich sei dieser Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht gerechtfertigt, insbesondere müsse angesichts der relativ geringen Gewichtigkeit der öffentlichen Interessen an einer Ausreise des Klägers eine Abwägung zugunsten des Klägers und seines Familienlebens i.S.d. Art. 8 Abs. 1 EMRK ausfallen.76

      57. In einem Beschluß vom 3.6.1996 (4 T 29/96 = FamRZ 1997, 633f.) wandte das LG Zweibrücken im Verfahren über Prozeßkostenhilfe die Art. 8 und 14 EMRK dahin gehend an, daß bei Beachtung dieser Bestimmungen ein Umgangsrecht eines nicht-ehelichen Vaters lediglich dann völlig zu versagen sei, wenn dies für die psychische Gesundheit des Kindes nötig und im übrigen verhältnismäßig sei. Das Gericht wies weiter darauf hin, daß unter den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht-eheliche und eheliche Kinder und deren Eltern gleichermaßen fielen.



      75 Vgl. dazu auch die unter Kap. VI dargestellten Entscheidungen im Rahmen des Fremdenrechts mit Bezug zu Art. 8 EMRK.

      76 Vgl. hierzu auch Röben (Anm. 1), [77] und [78].