Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


Inhalt | Zurück | Vor

Kerrin Schillhorn


IX. Internationaler Menschenrechtsschutz

1. Europäische Menschenrechtskonvention

e) Recht auf freie Meinungsäußerung/Versammlungsfreiheit (Art. 10, 11 EMRK)

      58. Das BAG hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung insbesondere im Hinblick auf Art. 10 EMRK rechtmäßig sei (Urteil vom 27.6.1996 - 8 AZR 1024/94 = NZA 1997, 258ff. = DB 1996, 2183ff.). Gegenstand des Verfahrens war die Kündigung eines Hochschuldozenten wegen mangelnder persönlicher Eignung, der zur Zeit der DDR jahrelang als SED-Funktionär tätig gewesen war. Dabei war er als SED-Gruppenorganisator, als Mitglied der SED-Kreisleitung sowie als Sekretär der Grundorganisation Mathematik tätig gewesen. Das BAG bestätigte die ausgesprochene Kündigung und wies auf die Geltung der in Anlage I zum Einigungsvertrag vereinbarten Reglungen für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts der neuen Bundesländer hin. Hinsichtlich der mangelnden persönlichen Eignung als Kündigungsgrund führte das Gericht aus, diese sei eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben könne. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordere, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlich demokratischen Grundordnung i.S.d. des GG bekennen müsse. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung seien mindestens zu rechnen: die Achtung der im GG konkretisierten Menschenrechte, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien. Zwar sei ein Beschäftigter des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitgewirkt habe. Eine mangelnde persönliche Eignung sei aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit den Zielsetzungen der SED identifiziert habe. Dies sei anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen habe, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitgewirkt habe. Eine Kündigung aus diesem Grund verstoße auch nicht gegen Art. 10 EMRK, der die Freiheit der Meinungsäußerung garantiere. Die mangelnde Eignung eines Beschäftigten des öffentlichen Dienstes i.S.d. Bestimmung des Einigungsvertrages werde nicht aus der früheren und eventuell aufrechterhaltenen politischen Meinung des Beschäftigten, sondern aus der durch die Ausübung einer hervorgehobenen Funktion indizierten Ablehnung der Ziele einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung hergeleitet. Damit unterfalle eine auf Abs. 4 Ziff. 1 Einigungsvertrag gestützte ordentliche Kündigung, wie im vorliegenden Fall, nicht dem Anwendungsbereich des Art. 10 EMRK. Mit der gleichen Begründung lehnte das Gericht einen Verstoß gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25.6.195877 ab.

      59. Mit dieser Problematik hatte sich auch das LAG Chemnitz im Urteil vom 24.1.1996 (2 Sa 977/95 = NJ 1996, 389f.) zu befassen. Dabei kam es in dem zu entscheidenden Fall zu dem Ergebnis, daß die ausgesprochene Kündigung nicht wirksam sei, da sie u.a. gegen die Rechte aus Art. 10 und 11 EMRK verstoße. Grundlage dieses Verfahrens war die Kündigung einer Lehrerin, die zur Zeit der DDR als ehrenamtliche Parteisekretärin für die SED tätig gewesen war. Das Gericht führte zur Begründung aus, daß allein die Innehabung einer Funktion innerhalb der SED nicht ausreichend sei, um als ungeeignet für den Beruf der Lehrerin zu gelten. Außerdem sei im Falle der Klägerin unstreitig, daß diese im Rahmen der SED lediglich rein formale Funktionen wahrgenommen habe. Unabhängig von diesen Gründen ergebe sich die Unwirksamkeit der Kündigung jedenfalls auch daraus, daß diese gegen eine bindende Entscheidung des EuGMR auf der Grundlage der EMRK i.V.m. dem deutschen Verfassungsrecht verstoße. Dabei bezog sich das Landesarbeitsgericht auf die Entscheidung des EuGMR Vogt/Deutschland78, nach der die in der EMRK enthaltenen Garantien grundsätzlich auch für Beamte gelten. Danach könne die Entlassung eines Beamten aus seinem Dienstverhältnis wegen seiner Mitgliedschaft in einer als verfassungsfeindlich eingestuften Partei ein Eingriff in die Ausübung der Rechte des Betroffenen aus Art. 10 EMRK und aus Art. 11 EMRK sein. Zwar entfalteten die Urteile des EuGMR keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung, doch sei der betroffene Staat verpflichtet, sich nach den Entscheidungen des Gerichtshofs zu richten. Allein aus diesem Grund sei die Tatsache, daß die Klägerin Mitglied der SED gewesen sei, nicht ausreichend, um eine Kündigung aus mangelnder persönlicher Eignung zu rechtfertigen. Dabei sei nicht allein auf die Bekleidung bestimmter Funktionen in der DDR abzuheben, vielmehr müsse das innere dienstliche Verhalten der Gekündigten sowie eine gegebenenfalls nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes erfolgte Hinwendung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung berücksichtigt werden.



      77 BGBl. 1961 II, 98ff.

      78 NJW 1996, 375.