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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


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Kerrin Schillhorn


X. Europäische Gemeinschaften

2. Diskriminierungsverbot

c) Gleichbehandlung von Mann und Frau

      78. Über die Vereinbarkeit der Frauenquote mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht bei der Stellenbesetzung und der Beförderung hatte das OVG Lüneburg in seinem Beschluß vom 8.3.1996 (5 M 2835/95 = NVwZ 1997, 611ff. = DVBl. 1996, 1154) zu entscheiden. Grundlage der Entscheidung waren die §§ 5, 6 Niedersächsisches GleichberechtigungsG, wonach vorgesehen war, Frauen so lange vorrangig zu berücksichtigen, bis sie mit 50 von 100 in den Besoldungsgruppen oder in Ausbildungsbereichen einer Dienststelle vertreten sind. Nach dieser Bestimmung war keine Härtefallregelung vorgesehen. Im Anschluß an die Entscheidung des EuGH vom 17.10.199594 entschied das OVG, daß die niedersächsische Regel nicht mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar und damit unanwendbar sei. Zur Begründung führte das Gericht aus, die niedersächsische Regelung entspreche weitestgehend der vom EuGH überprüften Bestimmung des Bremer Rechts, für das der EuGH die Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht festgestellt hatte. Diese Unvereinbarkeit hatte der EuGH damit begründet, daß eine nationale Regelung, die den Frauen bei Ernennungen oder Beförderungen absoluten und unbedingten Vorrang einräume, über eine Förderung der Chancengleichheit hinausgehe und damit die Grenzen der in Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 76/207/EWG vorgesehenen Ausnahme überschreite. Hieran könne auch die Einfügung einer Härtefallklausel nichts ändern, da selbst diese nicht zu einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung der Bestimmung führen könne. Schließlich wies das Gericht darauf hin, daß der EuGH einen Anwendungsvorrang der Richtlinie angenommen hatte, obwohl diese durch die Bundesrepublik Deutschland noch nicht umgesetzt worden war. Aus diesen Gründen sei auch die niedersächsische Regelung zur Frauenquote mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar und wegen des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts unanwendbar.

      79. Über die gemeinschaftsrechtliche Vereinbarkeit der Berechnungsgrundlage für Zuschüsse zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 MutterschutzG hatte das BAG in seinem Urteil vom 31.7.1996 (5 AZR 9/95 = NZA 1996, 1205ff. = NJW 1997, 1460ff.) zu entscheiden. Nach der Bestimmung des § 14 Abs. 1 MutterschutzG ist für die Berechnung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld nur auf die Zeit vor Beginn der Schutzfristen abzustellen. Gegen diese Regelung wandte sich die Klägerin, die wegen des Mutterschutzes bei einer Gehaltserhöhung sowie der Erhöhung des Ortszuschlages infolge der Geburt ihres Kindes nicht berücksichtigt worden war. Das BAG stellte fest, daß es sich bei dem Zuschuß zum Mutterschaftsgeld um ein Entgelt i.S.d. Art. 119 EGV bzw. der Richtlinie 75/117/EWG handele. Die Bestimmung des § 14 Abs. 1 MutterschutzG habe zur Folge, daß alle Entgelterhöhungen außer Betracht blieben, die erst nach Beginn der Schutzfristen wirksam würden. Hiervon seien naturgemäß nur Frauen betroffen. Dies sei, so das Gericht, mit dem Grundsatz des gleichen Entgeltes für Männer und Frauen, wie er in Art. 119 EGV und der Richtlinie 75/117/EWG niedergelegt sei, nicht zu vereinbaren.

      80. Über die Rechtmäßigkeit der Altersermäßigung in einer Verwaltungsvorschrift über die Arbeitszeit von Lehrern an öffentlichen Schulen hatte der VGH Baden-Württemberg in seinem Beschluß vom 19.12.1996 (4 F 3419/95 = VBlBW 1997, 183ff.) zu entscheiden. Nach der Verwaltungsvorschrift ist vorgesehen, daß sich bei teilzeitbeschäftigten Lehrern mit mindestens einem halben Lehrauftrag, die ab dem Schuljahr 1995/96 das 55. Lebensjahr vollenden, das Regelstundenmaß erst zu Beginn des Schuljahres ermäßigt, in dem sie das 60. Lebensjahr vollenden. Der VGH entschied, daß diese Bestimmung nicht gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes oder den europäischen Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Beschäftigung verstößt. Zwar handele es sich wegen der weiten Auslegung des Begriffes Entgelt i.S.d. Art. 119 EGV auch bei der Herabsetzung des Regelstundenmaßes im Wege der Altersermäßigung um ein solches Entgelt, da es die Erhöhung des Arbeitsentgeltes pro Zeiteinheit bewirke. Trotzdem fehle es an einer Verletzung des Art. 119 EGV. Der VGH wies darauf hin, daß diese Bestimmung sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Diskriminierung erfasse. Der Gerichtshof stellte jedoch fest, daß es sich im vorliegenden Fall nicht um eine mittelbare Diskriminierung handele. Zur Begründung führte das Gericht aus, eine mittelbare Diskriminierung liege dann nicht vor, wenn die betreffende Regelung durch objektive Gründe gerechtfertigt sei, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hätten. Dies sei hier der Fall, wenn für die Unterscheidung Gründe der Verwaltungspraktikabilität angeführt würden. Dabei sei die Feststellung, ob und inwieweit solche Gründe für die betreffende Regelung vorliegen, Sache des für die Beurteilung des Sachverhaltes allein zuständigen nationalen Gerichts. Einer Vorlage an den EuGH bedürfe es insofern nicht.

      81. Über den Anspruch einer vormals Teilzeitbeschäftigten auf Gewährung einer Zusatzversorgung hatte das BAG in seinem Urteil vom 12.3.1996 (3 AZR 993/94 = NZA 1996, 939ff. = BB 1996, 1225ff. = NJW 1996, 2052) zu entscheiden. Grundlage der Entscheidung war der zwischen der deutschen Bundespost und der deutschen Postgewerkschaft abgeschlossene Tarifvertrag für Arbeiter der deutschen Bundespost, wonach Teilzeitbeschäftigten bis zu einer Änderung des Tarifvertrages 1991 kein Anspruch auf Zusatzversorgung nach Eintritt in die Rente zustand. Das Gericht hatte zu klären, in welchem Umfang sich die Beklagte auf einen Vertrauensschutz hinsichtlich der Rückwirkung der nunmehr auch Teilzeitbeschäftigte begünstigenden Regelung berufen kann. Dazu stellte das Gericht fest, daß Art. 119 EGV und die in Maastricht beschlossene Protokollerklärung zu Art. 119 EGV für eine Berufung der Beklagten zur Begründung ihres Anspruchs auf Vertrauensschutz nicht in Betracht kommen95. Zur Begründung führte das Gericht aus, es gehe hier nicht um die Frage des gleichen Entgeltes für Männer und Frauen, sondern nur um die Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten96. Dabei spiele das Geschlecht der Arbeitnehmer, so das Gericht, keine Rolle. Schließlich lasse sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte der in Maastricht beschlossenen Protokollerklärung zu Art. 119 EGV ein allgemeiner Grundsatz ableiten, wonach jede Rückwirkung in allen Fragen der Ungleichbehandlung ausgeschlossen sei.



      94 Kalanke-Entscheidung, NJW 1995, 3109 = DVBl. 1995, 1231ff.

      95 Vgl. zur Wirkung der in Maastricht geschlossenen Protokollerklärung auch das Urteil des BAG vom 16.1.1996 (3 AZR 767/94 = NZA 1996, 607ff.).

      96 Über die unterschiedliche Behandlung von Teil- und Vollzeitbeschäftigten und ihrer gemeinschaftsrechtlichen Vereinbarkeit vgl. auch das Urteil des BAG vom 25.7.1996 (6 AZR 350/93 = ZBR 1997, 185ff.).