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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


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Kerrin Schillhorn


X. Europäische Gemeinschaften

5. Vorabentscheidungsverfahren

b) Einzelfälle

      91. Im Anschluß an die Entscheidung des EuGH vom 17.10.1995 in der Sache Kalanke99 entschied das BAG im Urteil vom 5.3.1996 (1 AZR 590/92 (A) = EuZW 1996, 474 = NZA 1996, 751ff. = NJW 1996, 2529ff. = BB 1996, 1332ff. = MDR 1996, 937ff. = FamRZ 1996, 1211f.), daß der Kläger einen Anspruch auf eine erneute Auswahlentscheidung habe. Bei dieser erneuten Entscheidung dürfe die fragliche Regelung des Bremer Landesgleichstellungsgesetzes nicht angewendet werden. Jedoch stehe dem Kläger kein Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Diskriminierung wegen des Geschlechts zu. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch seien nicht erfüllt. Es fehle bereits an dem nach § 823 Abs. 1 BGB erforderlichen Verschulden. Ein Verschulden käme nur dann in Betracht, wenn die Unanwendbarkeit der Regelung offensichtlich gewesen wäre. Gegen die Annahme solcher Offensichtlichkeit spreche hier schon der Gang des vorliegenden Verfahrens mit der Vorlage an den EuGH.

      92. Mit Beschluß vom 7.3.1996 (VII R 73/95 = BFHE 179, 518ff. = HFR 1996, 527ff. = RIW 1996, 614 = EuZW 1996, 607f.) legte der BFH dem EuGH Fragen zur Gültigkeit eines Handelszugeständnisses nach dem Kooperationsabkommen EWG/Jugoslawien hinsichtlich dessen Kündigung und den Folgen einer völkerrechtswidrigen Aussetzung des Wirtschaftsabkommens vor. Grundlage des Verfahrens war das Problem, ob die Einführung von Waren aus dem Kosovo im Jahre 1992 noch unter den Präferenzzollsatz i.S.d. Kooperationsabkommens EWG/Jugoslawien falle. Dazu war die Frage entscheidend, ob die Verordnung Nr. 3300/91 des Rates, mit der die Aussetzung der vertraglichen Handelszugeständnisse bestimmt wurde, gültig sei. In seiner Begründung führte das Gericht aus, die Verordnung, durch welche die mit den Kooperationsabkommen zwischen der EWG und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien vom 2.4.1980 nur aufgrund dieses Abkommens gewährten Handelszugeständnisse mit Wirkung ab 15.11.1991 ausgesetzt worden seien, bildeten die Rechtsgrundlage für die hier streitige Nacherhebung. In dem für die Verzollung maßgeblichen Zeitpunkt, Anfang Mai 1992, sei das Abkommen gemäß seinem Art. 60 zwar bereits gekündigt gewesen, doch sei die Frist für das kündigungsbedingte Außerkrafttreten des Abkommens noch nicht abgelaufen gewesen. Desgleichen habe auch das gemeinschaftsrechtliche Wirtschaftsembargo gegenüber Serbien und Montenegro100 noch nicht gegolten. Fraglich sei, ob die einseitige Suspendierung der vertraglichen Handelsregelung völkerrechtskonform gewesen sei. So führte der BFH aus, die Gemeinschaft sei nicht nur an die von ihr geschlossenen Abkommen gebunden, sondern auch an die Regeln des allgemeinen Völkerrechts, wie z.B. an die Grundsätze der Wiener Konvention über das Recht der Verträge101. In Betracht komme hier die Anwendung des Grundsatzes clausula rebus sic stantibus, Art. 62 des Wiener Übereinkommens, auf die Vertragssuspendierung mit der Folge einer Befreiung von den Vertragspflichten. Voraussetzung dafür sei aber, daß das Vorhandensein der bezeichneten Umstände eine wesentliche Grundlage für die vertragliche Bindung darstelle und die Änderung der Umstände das Ausmaß der aufgrund des Vertrages noch zu erfüllenden Verpflichtungen tiefgreifend umgestalten würde. Fraglich sei, ob die letztere Voraussetzung für die Anwendung des Grundsatzes clausula rebus sic stantibus in diesem Fall vorliege. Schließlich sei fraglich, ob trotz Anwendung des Grundsatzes clausula rebus sic stantibus der Ablauf einer Drei-Monatsfrist bis zur Durchführung der beabsichtigten Maßnahme hätte abgewartet werden müssen. Dazu führte das Gericht aus, daß in besonders dringenden Fällen zwar die Einhaltung dieser Frist nicht geboten sei, sich jedoch die Frage stelle, ob besondere Dringlichkeit gegeben gewesen sei und ob etwaige verfahrensmäßige Mängel durch Zeitablauf dem hier maßgeblichen Verzollungszeitpunkt geheilt werden konnten. Somit legte der BFH dem EuGH folgende Fragen vor: 1. Ist die Verordnung (EWG) Nr. 3300/91 des Rates vom 11.11.1991 zur Aussetzung der Handelszugeständnisse nach dem Kooperationsabkommen zwischen der EWG und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (ABl. der EG L 315/1) gültig? 2. Im Falle der Verneinung von Frage 1: Welche Folgen sind aus einer Ungültigkeit (1.) für eine Anfang Mai 1992 erfolgte Verzollung von Weinen serbischen Ursprungs zu ziehen, die in der Zeit von Mitte November 1991 bis April 1992 eingeführt und zur Zollagerung abgefertigt worden waren? Sind insoweit die 1992 gewährten kontingent-gebundenen Zollbegünstigungen für Weine aus dem Gebiet des früheren Jugoslawiens mit Ausnahme von Serbien anwendbar?



      99 EuZW 1995, 762 = NZA 1995, 1095 = NJW 1995, 3109 = EuGRZ 1995, 546.

      100 Verordnung EWG Nr. 1432/92 vom 1.6.1992, ABl. L 151/4.

      101 Vom 21.5.1969, BGBl. 1985 II, 927ff.