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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


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Kerrin Schillhorn


XI. Stationierungsstreitkräfte

      95. Die Berücksichtigung ausländischer Entscheidungen für eine Rechtsfolgenentscheidung war Gegenstand des Beschlusses des BayOLG vom 24.7.1996 (2 ObOWi 545/96 = NJW 1997, 335ff. = BayOLGESt 1996, 123ff.). In dem zugrundeliegenden Sachverhalt war der Antragsgegner wegen einer fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer Geldstrafe verurteilt und mit einem Fahrverbot für die Dauer eines Monats belegt worden. Der Antragsgegner rügte die Entscheidung unter Hinweis auf die Verletzung materiellen Rechts, da er durch die US-Militärbehörde wegen des gleichen Vorfalls bereits zu einem Fahrverbot für die Dauer von sechs Monaten und der Ableistung von 40 Stunden eines sozialen Hilfsdienstes verurteilt worden war. Zunächst stellte das Gericht fest, daß der Entscheidung ein Prozeßhindernis wegen Fehlens der deutschen Gerichtsbarkeit nicht entgegenstehe. Zwar gelte das NATO-Truppenstatut gem. Teil 1 des Unterzeichnungsprotokolls106 auch für Ordnungswidrigkeiten, doch unterstehe der Betroffene nicht dem Militärstrafrecht der Vereinigten Staaten und unterliege somit gem. Art. VII Abs. 1 a und 2 b des NATO-Truppenstatuts uneingeschränkt der deutschen Gerichtsbarkeit. Weiter führte das Gericht aus, das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 103 Abs. 3 GG finde im Ordnungswidrigkeitenverfahren keine unmittelbare, sondern allenfalls analoge Anwendung. Der sich aus allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen ergebenden Beschränkung einer doppelten Sanktionierung trügen aber die eigenständigen Verfahrenshindernissse des Ordnungswidrigkeitenrechts Rechnung. Allerdings gelte das Verbot der Doppelbestrafung nicht im Verhältnis zu ausländischen Entscheidungen und disziplinarrechtlichen Ahndungen. Das Gericht kam bei der Überprüfung der amtsgerichtlichen Entscheidung zu dem Ergebnis, daß der Schuldspruch keinen rechtlichen Bedenken begegne. Hinsichtlich der Rechtsfolgenentscheidung habe das Amtsgericht es aber zu Unrecht unterlassen, die durch die US-Militärbehörden verhängten Sanktionen zu berücksichtigen. Auch wenn der Grundsatz ne bis in idem nicht gelte, forderten die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Ideen der Gerechtigkeit und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Prüfung der Frage, ob und in welchem Umfang mit den bereits verhängten und ggf. vollstreckten Sanktionen der US-Militärbehörden das Unrecht der Tat abgegolten sei. Ohne Bedeutung sei dabei, daß es sich im vorliegenden Fall um keine gerichtliche Ahndung, sondern nur um eine Disziplinarmaßnahme handele.

      96. Die verfassungsgerichtliche Überprüfung von NATO-Stationierungsverträgen war Gegenstand des Beschlusses des BVerfG vom 8.10.1996 (1 BvL 15/91 = BVerfGE 95, 39ff. = NJW 1997, 1359ff. = ZBR 1997, 122ff. = NVwZ 1997, 681ff.). Grundlage der Entscheidung war der Antrag einer Betriebsvertretung der zivilen Arbeitnehmer einer US-Dienststelle auf ein Mitbestimmungsrecht gem. § 69 BundespersonalvertretungsG bei der Einstellung von Arbeitnehmern. Das Gericht stellte fest, die Bestimmung, die die Betriebsvertretung bei US-Dienststellen anders behandele als die Vertretung bei vergleichbaren Einheiten der Bundeswehr, widerspreche dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Dazu führte es aus, die Zivilangestellten bei den ausländischen Stationierungsstreitkräften seien im Hinblick auf eine Beteiligung ihrer Vertretung bei Einstellungsentscheidungen gegenüber Zivilangestellten der Bundeswehr benachteiligt, weil deren Vertretungen durch das Mitbestimmungsverfahren ein größerer Einfluß eingeräumt werde. Für diese Ungleichbehandlung gebe es keinen im Regelungsgegenstand liegenden Grund. Insbesondere seien keine militärischen Notwendigkeiten hierfür erkennbar. Bundeswehr und Stationierungsstreitkräfte erfüllten vergleichbare Funktionen innerhalb des militärischen Bündnisses, was auf dem Grundsatz gleichberechtigter Partnerschaft beruhe. Jedoch sei der Widerspruch zu Art. 3 Abs. 1 GG mit Rücksicht darauf hinzunehmen, daß die Bundesrepublik beim Aushandeln der Stationierungsverträge in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt gewesen und es ihr trotz fortlaufender Bemühungen nicht gelungen sei, die Beteiligungsrechte der Zivilangestellten bei den Stationierungsstreitkräften denen der Bundeswehr völlig anzugleichen. Das Grundgesetz gestatte in diesem zeitgeschichtlichen Zusammenhang eine schrittweise Annäherung an eine volle Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Gebote, solange eine uneingeschränkte Beachtung nicht möglich sei. Um eine solche Regelung gehe es hier. Die Stationierungsstreitkräfte stünden in unlösbarem Zusammenhang mit dem Abbau der besatzungsrechtlichen Ordnung nach dem 2. Weltkrieg. Nach Art. 44 Abs. 9 des Truppenvertrages vom 26.5.1952107, der die Mitwirkungsregelung enthalte, seien die Regelungen in den Nachfolgeverträgen auf Drängen der Bundesrepublik Deutschland schrittweise dem deutschen Personalvertretungsrecht angepaßt worden. Der jetzige Zustand entspreche diesem Recht bereits weitgehend. Schließlich habe die Bundesregierung überzeugend dargelegt, daß sie sich fortlaufend um eine volle Gleichstellung bemüht habe, eine uneingeschränkte Übernahme des deutschen Rechts in das Vertragswerk jedoch nicht habe erreichen können. Diese Bemühungen hätten sich zuletzt in dem völkerrechtlich noch nicht in Kraft getretenen Änderungsabkommen vom 18.3.1993 niedergeschlagen108.



      106 BGBl. 1961 II, 1313ff.

      107 BGBl. 1955 II, 213ff.

      108 Abkommen zur Änderung des Zusatzabkommens vom 3.8.1959 in der durch das Abkommen vom 21.10.1971 und die Vereinbarung vom 18.5.1981 geänderten Fassung zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 18.3.1993, BGBl. 1994 II, 2598.