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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1997


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Lars-Jörgen Geburtig


VII. Fremdenrecht

1. Allgemeine Fragen der Einreise und des Aufenthalts

       32. Mit der Wirkung von Art. 20 Abs. 1 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) beschäftigte sich das OLG Köln in seinem Beschluß vom 22.8.1997 (16 Wx 224/97 - NVwZ-Beilage 1998, 39 = InfAuslR 1997, 459). Einer bolivianischen Staatsangehörigen, die sich vor ihrer Einreise nach Deutschland für mehr als drei Monate in Spanien aufgehalten hatte, wurde im Hinblick auf Art. 20 Abs. 1 SDÜ, wonach der Aufenthalt visumsfreier Drittausländer in dem Hoheitsgebiet einer Vertragspartei auf den gesamten räumlichen Geltungsbereich des Schengener Abkommens innerhalb einer Frist von sechs Monaten vom Datum der ersten Einreise anrechenbar ist, unerlaubte Einreise vorgeworfen und deswegen Abschiebungshaft angeordnet. Auf die dagegen gerichtete sofortige weitere Beschwerde hin stellte das OLG fest, daß die Betroffene nicht gemäß § 58 Abs. 1 AuslG unerlaubt eingereist ist. Sie habe sich gemäß § 1 Abs. 1 DVAuslG als bolivianische Staatsbürgerin visumsfrei für die Dauer von drei Monaten in Deutschland aufhalten dürfen. Auch wenn sie diese Aufenthaltsfrist von Anfang an überschreiten wollte, sei ihre Einreise nicht unerlaubt, da gem. § 9 Abs. 4 DVAuslG den Positivstaatlern39 nach § 1 Abs. 1 DVAuslG die Möglichkeit eingeräumt werde, nach ihrer Einreise einen Verlängerungsantrag zu stellen. Daran ändere Art. 20 Abs. 1 SDÜ nichts, weil Art. 20 Abs. 1 SDÜ die Rechte von Positivstaatlern nach § 1 Abs. 1 DVAuslG nicht rechtswirksam einschränke und der Aufenthalt in Spanien somit unschädlich sei. Art. 20 SDÜ stelle keine § 1 Abs. 1 DVAuslG spezialgesetzlich verdrängende Regelung dar, da Art. 20 Abs. 1 SDÜ keine aus sich heraus für Drittausländer klare und damit für diese verbindliche Regelung enthalte. Art. 20 Abs. 1 SDÜ lasse offen, welche Drittstaater sichtvermerksfrei einreisen können und überlasse diesbezügliche Regelungen dem nationalen Recht der vertragsschließenden Staaten. Die Anwendung von Art. 20 Abs. 1 SDÜ sei somit von nationalrechtlichen Bestimmungen abhängig, setze also keine aus sich heraus eindeutige Regelung und habe aus diesem Grunde keine unmittelbare Rechtswirkung gegenüber Drittausländern. An einer Transformation in nationales Recht fehle es bislang, weshalb der bisherige Rechtszustand maßgeblich sei. Daran ändere auch die Inkraftsetzung des Abkommens für Deutschland und Spanien zum 26.3.1995 durch den Exekutivausschuß gem. Art. 131 ff. SDÜ durch Beschluß vom 19.6.1990 nichts, da diese Entscheidung des Ausschusses einer Umsetzung in nationales Recht bedürfe.

       33. Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich auf die Klage eines Kosovo-Albaners, dessen Aufenthaltserlaubnis nach Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen nicht verlängert wurde, mit dem Begriff der besonderen Härte in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG auseinanderzusetzen. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG ermöglicht die Verlängerung des Aufenthaltsrechts des Ehegatten nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren reccfmäßig im Bundesgebiet bestanden hat und es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist. In seinem Beschluß vom 3.3.1997 (1 B 118/96 - DÖV 1997, 835) führte das BVerwG aus, daß es darauf ankommt, ob dem Ehegatten außerhalb des Bundesgebietes wegen der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erhebliche Nachteile drohen. Andere Nachteile im Heimatland, die nicht wegen der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern wegen der dortigen allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse drohten, könnten nicht zur Begründung einer besonderen Härte herangezogen werden. Auch der Regierungsentwurf zu § 19 Abs. 1 AuslG bestätige, daß es darauf ankomme, ob im Falle der Rückkehr erhebliche Nachteile wegen des Scheiterns der Ehe drohen.

       34. In seinem Beschluß vom 30.7.1997 (7 VE 1874/96 - InfAuslR 1998, 25) entschied der Hessische VGH, daß in der Weigerung eines ehemaligen rumänischen Staatsangehörigen, der auf eigenen Antrag aus dem rumänischen Staatsverband ausgeschlossen wurde und deshalb staatenlos ist, einen Antrag auf Wiedereinbürgerung zu stellen, ein Umstand liegt, der die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG ausschließt, weil der Ausländer zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses nicht erfüllt. In § 30 Abs. 4 AuslG werde auf die Obliegenheit des Ausländers abgestellt, alles in seiner Kraft Liegende dazu beizutragen, daß bestehende Abschiebungshindernisse überwunden werden. Dazu reiche Untätigkeit oder Verzögerung bei der Vornahme derjenigen Handlungen aus, die dem Ausländer zumutbar seien, um die Ausreise zu ermöglichen. Durch die Staatenlosigkeit sei die Abschiebung des Klägers unmöglich geworden. Es bestehe aber die Möglichkeit, die rumänische Staatsangehörigkeit im Wege der Repatriierung wiederzuerwerben, wenn die Betreffenden ein solches Begehren zum Ausdruck bringen. Damit sei den Klägern eine Möglichkeit gegeben, die Staatenlosigkeit als einen die Abschiebung hindernden Umstand zu beseitigen. Dies sei keine unzumutbare Anforderung, zumal die Kläger den Zustand der Staatenlosigkeit selbst geschaffen hätten. Dies gelte auch, wenn man davon ausgeht, daß die Kläger mit ihrem Ausbürgerungsantrag ein aus dem Recht zum Verlassen eines jeden Landes und damit auch ihres Heimatlandes herleitbares Recht auf Ausbürgerung wahrgenommen haben, daß das Staatsangehörigkeitsrecht die eigene Angelegenheit eines jeden Staates ist und daß darunter auch das Recht fällt, die Ausbürgerung selbst zu regeln, auch wenn dies zur Staatenlosigkeit führt,40 denn aus diesen Feststellungen ergebe sich nur die völkerrechtlich und staatsangehörigkeitsrechtlich verbürgte Möglichkeit der Kläger, einen Ausbürgerungsantrag zu stellen. Das werde durch die gesetzliche Regelung des § 30 Abs. 4 AuslG und die hier zugrunde gelegte Auslegung auch nicht in Frage gestellt. Umgekehrt werde durch die genannten Grundsätze aber auch die Gestaltungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers nicht berührt, die aufenthaltsrechtliche Stellung der staatenlos gewordenen Ausländer zu bestimmen und ihnen ggf. auch einen verfestigten Aufenthaltsstatus vorzuenthalten.

       35. Der VGH Baden-Württemberg stellte in seinem Beschluß vom 2.7.1997 (13 S 2025/96 - InfAuslR 1997, 453) fest, daß die Entstehung des eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 21 Abs. 3 AuslG bei Eintritt der Volljährigkeit voraussetzt, daß das Kind zu diesem Zeitpunkt noch im Besitz einer nach Maßgabe von § 17 AuslG zweckgebundenen Aufenthaltserlaubnis ist. Dafür spreche zum einen der Wortlaut des § 21 Abs. 3 AuslG, der mit der Formulierung "die ... Aufenthaltserlaubnis wird zu einem eigenständigen ... Aufenthaltsrecht" deutlich mache, daß die von der speziellen Zweckbindung des § 17 AuslG losgelöste erstarkte Rechtsposition nur erworben werden könne, wenn eine noch gültige Aufenthaltserlaubnis bei Eintritt der Volljährigkeit vorliegt. Zum anderen sei diese Auslegung unter Berücksichtigung des begünstigenden Zwecks der Vorschrift gerechtfertigt und geboten. Das Entstehen des eigenständigen Aufenthaltsrechts knüpfe an einen zuvor nach Maßgabe von § 17 AuslG zweckgebundenen Aufenthalt an und setze diesen voraus, weshalb das zweckgebundene Aufenthaltsrecht bis zum Erreichen der Volljährigkeit vorgelegen haben müsse.

       36. Das Sächsische OVG stellte in seinem Beschluß vom 27.1.1997 (3 S 437/96 - DÖV 1997, 380) fest, daß der ursprüngliche Zweck eines Aufenthaltes zur Durchführung eines Hochschulstudiums grundsätzlich mit dem berufsqualifizierenden Abschluß dieses Studiums erfüllt ist. Ein weiteres Hochschulstudium begründe deshalb einen neuen Aufenthaltszweck, es sei denn, es setze den erfolgreichen Abschluß des ersten Studiums voraus und führe dies weiter. Die Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung für den geänderten Aufenthaltszweck sei nach § 28 Abs. 3 Satz 1 AuslG zu versagen, wenn der Ausländer nicht zuvor das Bundesgebiet verlassen hat und besondere Gründe für einen Ausnahmefall nicht vorliegen.

       37. In seinem Urteil vom 25.9.1997 (1 C 3.97 - NVwZ 1998, 297 = DVBl 1998, 278 = DÖV 1998, 247 = BayVBl. 1998, 217 = InfAuslR 1998, 12) entschied das Bundesverwaltungsgericht, daß es für die Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG wegen Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen nicht darauf ankommt, ob der Ausländer freiwillig ausreisen könnte. Maßgeblich sei allein, ob der Abschiebung tatsächliche Hindernisse entgegenstehen, die es der Ausländerbehörde unmöglich machen, ihrer Abschiebeverpflichtung nachzukommen. Weder die Funktion der Duldung noch die gesetzliche Systematik spreche dafür, daß die Erteilung der Duldung von Umständen abhängen soll, die in der Sphäre des Ausländers liegen.

       38. In einem Nichtannahmebeschluß vom 16.6.1997 (1 BvR 236/97 - NVwZ-Beilage 1997, 73 = BayVBl. 1998, 112) führte das Bundesverfassungsgericht aus, daß es nicht gegen Verfassungsrecht verstößt, wenn einem Konventionsflüchtling, für den ein Abschiebeverbot besteht und der über eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis in der Bundesrepublik Deutschland verfügt, außerhalb des Bundeslandes, in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist, laufende Sozialhilfe verweigert wird.41 Die Regelung in § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG diene der angemessenen Verteilung der Sozialhilfelasten auf die Bundesländer und soll mißbräuchlicher (mehrfacher) Inanspruchnahme von Sozialhilfe entgegenwirken. Soweit die Verwaltungsgerichte die Bestimmungen des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge nicht als Sonderregelungen angesehen haben, die eine Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG ausschließen, und die damit verbundenen Nachteile für zumutbar gehalten haben, sei eine Auslegung gewählt, die weder auf sachfremden Erwägungen beruhe noch offensichtlich einschlägige Normen unberücksichtigt lasse oder kraß mißdeute. Die Anwendung von § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG verletze auch nicht das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG, da das Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsortes und des Wohnsitzes durch die verfassungsmäßige Ordnung begrenzt sei, zu der auch § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG gehöre und zudem das mit den Aufenthaltsbefugnissen gewährte Recht, sich in Deutschland frei zu bewegen, durch § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG nicht eingeschränkt werde.

       Dagegen war der Bayerische VGH in seinem Beschluß vom 1.7.1997 (12 CE 96.2856 - NVwZ-Beilage 1998, 5 = BayVBl. 1998, 216) der Auffassung, daß der Anwendung von § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG auf Konventionsflüchtlinge Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens und Art. 2 des Zusatzprotokolls zum Europäischen Fürsorgeabkommen entgegenstehen.

       39. Ebenfalls mit der Anwendung von § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG beschäftigte sich das OVG Berlin in seinem Beschluß vom 27.8.1997 (6 SN 218/97 / 6 SN 129/97 - NVwZ-Beilage 1998, 4). Danach gelte die Beschränkung der Sozialhilfe auf das Bundesland, in dem die räumlich unbeschränkte Aufenthaltsbefugnis erstmals erteilt worden sei, auch dann, wenn ihr Inhaber inzwischen in einem anderen Bundesland lebe und die Aufenthaltsbefugnis dort verlängert worden sei.

      



      39 Sog. Positivstaatler sind Staatsangehörige der in der Anlage 1 DVAuslG genannten Staaten. Sie werden ausländerrechtlich u.a. dadurch privilegiert, daß sie für Aufenthalte von bis zu drei Monaten Dauer keiner Aufenthaltsgenehmigung bedürfen (§ 1 Abs. 1 DVAuslG).
      40 Dagegen K. Doehring, Gutachtliche Stellungnahme zum Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 21.4.1993 - 11 S 1437/92 -, Bl. 111 bis 128 der Gerichtsakte.
      41 In der Sache ebenso hat das BVerfG in einem Nichtannahmebeschluß vom 17.9.1997 (1 BvR 1401/97 - FamRZ 1997, 1469) zur gleichen Frage im Fall von Staatenlosen entschieden.